2012-07-07 10:12:15

Mali: „Wir stehen vor den Trümmern jahrzehntelanger Arbeit“


RealAudioMP3 Die Vorgänge in Mali sind eine „Krise ungeheuren Ausmaßes“. Das sagt der Nuntius in dem westafrikanischen Land, Erzbischof Martin Krebs. Am Donnerstag hat der UNO-Weltsicherheitsrat den islamistischen Kämpfern im Norden Malis erstmals Sanktionen angedroht, nachdem sie seit drei Monaten die Macht in der Region an sich reißen, historische Stätten verwüstet und Hunderttausende Menschen zur Flucht gezwungen haben. Und an diesem Samstag berät die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft zusammen mit Vertretern Malis in Ouagadougou in Burkina Faso über Strategien zur Überwindung der Krise. Jedenfalls: Die Souveränität des Staates Mali sei bedroht, die Menschenrechte aufs schwerste beeinträchtigt, fasst Erzbischof Krebs die Lage zusammen. Und kirchlich gesprochen, „stehen wir vor den Trümmern jahrzehntelanger Arbeit von Priestern, Ordensleuten und Laien“, sagt der aus Deutschland stammende Vatikandiplomat im Gespräch mit Radio Vatikan.

„Christen sind entweder in den Süden Malis, also in die Hauptstadt Bamako, oder in die Provinzhauptstadt Mopti oder anderswohin geflohen. Das sind die Inlands-Flüchtlinge. Noch mehr sind aber ins Ausland geflohen, nach Benin, Togo, Kamerun, Nigeria, Burkina Faso. Man spricht von insgesamt über 300.000 Flüchtlingen, die Inlands- und Auslandsflüchtlinge zusammen genommen. Die geflohenen Christen sind aber nicht nur Katholiken, sondern in der Mehrzahl Protestanten. Die katholische Kirche im Süden kümmert sich mit ihren spärlichen Mitteln und den Zuwendungen, die sie bekommt, nicht nur um die eigenen Leute, sondern auch um die Protestanten. So hat etwa die Erzdiözese Bamako rund 20 protestantische Flüchtlingsfamilien in einer Schule untergebracht. Anfang Juni war ich in Bamako, um eine Kirche zu weihen, und habe dort einige der katholischen Flüchtlinge aus Timbuktu wiedergesehen, deren Besitz geplündert wurde. Im Gespräch ist beunruhigend, dass die Menschen ihren Schmerz nicht direkt zeigen, sondern eher durch ungewöhnliche Schweigsamkeit und Sprachlosigkeit. Ein Missionar vom Orden der Weißen Väter, der mehrere Jahre lang Pfarrer in Gao war, hat mir berichtet, dass Ende März die bis vor kurzem dort tätigen Missionare nur mit knapper Not den einfallenden Islamisten entkommen sind. Die Gruppe der Weißen Väter hatte ihre Abreise auf einen bestimmten Tag festgelegt und ist vor Morgengrauen aufgebrochen. Es ist anzunehmen, dass es um sie geschehen gewesen wäre, wenn sie nur 20 Minuten später losgefahren wären! In Gao sind die Pfarrkirche, das Pfarrhaus und das Haus der Ordensschwestern geplündert worden. Ich habe Bilder gesehen, die die Verwüstung zeigen. Dennoch: Das größte Elend haben die Flüchtlinge.“

In Nordmali gibt es kein Bodenschätze. Was ist für die von außen kommenden Islamisten dort interessant, und warum ist es ihnen scheinbar mühelos gelungen, die Macht an sich zu reißen?

„Was immer anziehend ist, ist das Machtvakuum. Das Wasser fließt immer dahin, wo Platz ist. Im Norden Malis ist kaum eine starke Regierung zu spüren gewesen und kein starkes Militär, deshalb ist Nordmali zusammen mit anderen Teilen der Sahelzone immer ein Durchgangsgebiet für Kriminelle gewesen. Dort, wo keine staatliche, polizeiliche, militärische Kontrolle vorhanden ist, kann man tun und lassen, was man will, deshalb ist das ein Durchgangsland für kriminelle Händler aller möglichen „Waren“, wenn Sie so wollen: Waffen, Drogen, Menschen. Das ist der Grund, warum Mali so interessant ist für diese Gruppen.“

Inwiefern wirkt sich der islamistische Umschwung in Mali auf den gesamten Sahel aus?

Ich weiß nicht, ob man bereits von einem islamistischen Umschwung reden kann. Wir haben es gegenwärtig zu tun mit einer Okkupation islamistischer Kräfte, die gestützt werden von diesen Gruppen, die als rein kriminell anzusehen sind, weil sie sich durch Entführungen, Erpressungen, Drogen- und Menschenhandel finanzieren. Die Kontrolle, die die islamistischen Gruppen im riesigen nordmalischen Territorium ausüben, hat ein enormes Prestige und könnte möglicherweise ähnliche Gruppen, die im Sahel aktiv sind, zur Zusammenarbeit bewegen. Es könnte allerdings auch zu Rivalitäten zwischen diesen Gruppen kommen, sodass die Zone am Ende für niemanden mehr kontrollierbar ist. Die Lage ist undurchsichtig, auch was die Zukunft angeht. Man kann natürlich Drohszenarien entwerfen, und sagen, es gibt in Mali ein neues, ein schlimmeres Afghanistan. Aber das sind theoretische Überlegungen. Ich möchte das Entwerfen von Bedrohungs-Szenarien eher als Mittel begreifen, um die internationale Gemeinschaft zu motivieren und zu mobilisieren. Aber die Zukunft voraussagen kann niemand.“

Stichwort „die internationale Gemeinschaft mobilisieren“: Seit Wochen diskutieren etwa die Staaten der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS darüber, ob sie eine militärische Eingreiftruppe in den Norden Malis entsenden. Aus Ihrer Sicht als Nuntius – wäre ein solcher Eingriff sinnvoll?

„Das ist eine strikt politische und militärische Frage, deren Beantwortung den Vereinten Nationen überlassen ist. Die UNO ist dabei, im Verein mit den Nachbarstaaten Malis, zumal der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, einen Plan zu entwerfen. Die Frage kann nur auf internationaler Ebene gelöst werden, weil es der genauen Abwägung der politischen und militärischen Möglichkeiten bedarf – und vor allem eines gemeinsamen politischen Willens. Aber das sind Fragen, die außerhalb meiner Kompetenz als Nuntius liegen und die auf internationaler Ebene geklärt werden müssen.“

Wenn die Islamisten ihr Werk ungehindert fortsetzen können, welche Perspektiven haben Mali und seine Bevölkerung mittelfristig?

„Mali ist eine hochzivilisierte Gesellschaft mit uralten Traditionen. Malier sind zurecht stolz auf ihre Zivilisation, sie werden sich nicht einfach der Gewalt beugen, sondern ihre Kultur verteidigen. Auf der anderen Seite beobachtet man gelegentlich einen Hang zum Fatalismus, wenn die Übermacht zu groß erscheint. Fatalismus ist aber kein Weg für die malischen Christen, die sich in ihrem Land nicht als Minderheit verstehen, sondern als echte Malier. Zusammen mit vielen anderen werden sie sich gegen eine Religion der Gewalt wenden. Orientierung hat der Heilige Vater gegeben, der bei seinem Besuch in Benin im vergangenen November gesagt hat: Geoffenbarte Worte, die Heilige Schrift oder den Namen Gottes zu gebrauchen, um unsere Interessen, unsere so leicht willfährige Politik oder unsere Gewalttätigkeit zu rechtfertigen, ist ein sehr schwerer Fehler. Ich möchte sagen, es gilt mittelfristig, die nationale und internationale Gemeinschaft zu mobilisieren für eine gewaltfreie Ausübung von Religion. Das ist die Perspektive, die ich für Mali sehe, und zumal für die Christen.“

(rv 06.07.2012 gs)








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