Wenn den Päpsten heiß ist, brechen sie nach Castelgandolfo auf. Das Städtchen liegt
nicht weit weg von Rom, ist aber eine andere Welt: unten ruht ein See, rundherum sind
Eichenwälder, eine leichte Brise weht. Hier in den Albaner Bergen haben die Päpste
seit langer Zeit ihren Sommersitz, eine mächtige Anlage, die den ganzen Ort bestimmt.
Hierher kommen und nicht verweilen, das ist fast schon eine Sünde. Solches
haben vielleicht die Päpste empfunden, die Castelgandolfo zu jenem Castelgandolfo
machten, das Katholiken auf der ganzen Welt heute kennen. Die Sommerresidenz gehörte
nicht immer schon zum Vatikan. Im Gegenteil, sie ist ziemlich neu: Erst vor 400 Jahren
kam das Schloss von Castelgandolfo in den Besitz der Päpste. Der Schlossherr war pleite
gegangen, und der Papst griff zu. Man kann es verstehen. Der dunkelblaue See, die
malerischen Hügel, der gute Wein: Castelgandolfo hat echtes Wellness-Potential. Auch
geistlich gesprochen. Letztes Jahr lobte Papst Benedikt XVI., als er sich von seinen
Mitarbeitern im päpstlichen Palast verabschiedete, ganz besonders die Stille in Castelgandolfo.
„In diesem Ort lebt man in beständigem Kontakt mit der Natur und in einem
Klima der Stille. Mit dem einen wie mit dem anderen – und ich freue mich über die
Gelegenheit, daran zu erinnern – nähern wir uns Gott an. Die Natur ist ein Meisterwerk,
das den Händen des Schöpfers entspringt; die Stille erlaubt uns, ohne ablenkung über
das Wesentliche uneres Daseins nachzudenken und zu meditieren. In dinem Ambiente wie
diesem ist es einfacher, sich selbst zu finden, indem man seine innere Stimme und
damit, ich würde sagen, die Gegenwart Gottes hört, der unserem Leben einen tiefen
Sinn gibt.“
Castelgandolfo hat einen ausgedehnten Park: 55 Hektar, das
ist größer als der Vatikan selbst. Papst Benendikt unternimmt hier lange Rosenkranz-Gebete
beim Spazierengehen zwischen gestutzten Hecken und antiken Kapitellen. Sein Vorgänger,
Papst Johannes Paul II., ließ in diesem Park unerhörterweise ein Schwimmbecken anlegen.
Ungewöhnlich sind an Castelgandolfo aber auch die Kuppeln. Nein, keine Kirchenkuppeln
– vielmehr handelt es sich um ein Observatorium. In der päpstlichen Sommerresidenz
war seit 1936 die vatikanische Sternwarte untergebracht. Vor einigen Jahren erst sind
die Jesuitenpatres, die hier Astronomie machen, ans andere Ende des päpstlichen Parkes
gezogen, aber das alte Obervatorium aus den 30er Jahren ist immer noch hier. Wenn
er wollte, könnte der Papst in seinem Palast ein paar Treppen nach oben steigen, sich
vom Sternwartendirektor die Kuppel öffnen lassen und durch ein riesiges altes Zeiss-Teleskop
in den Himmel schauen. Sternegucken in Castelgandolfo ist jedenfalls eine ehrwürdige
Disziplin.
Wenn der Papst in Castelgandolfo hier ist, tritt er ein wenig kürzer,
hat aber dennoch ein Arbeitsprogramm. Er empfängt Staats- und andere Gäste und außerdem
Pilger zum Angelusgebet, und Benedikt XVI. wird wohl auch wieder an einem Buch schreiben.
„Heitergelassene Momente des Studiums, des Gebets und der Erholung“ verbringt Benedikt
in Castelgandolfo, wie er den ihn umsorgenden Angestellten letztes Jahr verriet. In
diesem Jahr wird der Aufenthalt unterbrochen von der Reise in den Libanon im September.
Wie schon die Päpste vor ihm, bleibt Benedikt immer drei Monate in Castelgandolfo,
von Juli bis September. In den Tagen vor seiner Ankunft wird das ganze Städtchen gefegt
und getüncht, in diesem Jahr hat es auch die Pfarrkirche getroffen, San Tommaso. Sie
steht auf dem Hauptplatz von Castelgandolfo und stammt von dem berühmten Barockarchitekten
Gianlorenzo Bernini. Immer zu Maria Himmelfahrt am 15. August geht der Papst die paar
Schritte von seinem Palast in die Pfarrkirche und feiert die Messe, fast wie ein kleiner
Landpfarrer. Das ist der absolute Höhepunkt des Jahres für die Stadt und ihre Besucher,
der Moment, in dem Castelgandolfo wirklich zur Papststadt wird. (rv 04.07.2012
gs)