„Sieg des Lobbyismus
über die parlamentarische Politik“ oder „Verhinderung eines sozialistischen Staates“?
Der ehemalige katholische Bischof Fernando Lugo wurde von den Paraguayern 2008 zum
Staatsoberhaupt gewählt – nach einem blitzartigen Amtsenthebungsverfahren ist er an
diesem Freitag aber abgesetzt worden. Die Meinungen über diese Absetzung sind geteilt.
Adveniat-Länderreferent Michael Kuhnert hält die Absetzung für ein fatales Signal,
da Lugo ein Hoffnungsträger gerade für die arme und benachteiligte Bevölkerung gewesen
sei. Als Kandidat der Liberalen Partei „PLRA“ habe der frühere Bischof 2008 nach mehr
als 60 Jahren das Machtmonopol der Colorado-Partei gebrochen. Man könne bei dieser
Absetzung also durchaus von einem Sieg des Lobbyismus gegen die parlamentarische Politik
sprechen. Für den Seelsorger der deutschen Gemeinde in Asunción, Oblatenpater Othmar
Grüber, ist es hingegen vor allem dem Verhalten Lugos zuzurechnen, wenn er nun abgesetzt
wurde. Hören wir die Standpunkte im Vergleich.
„Zunächst einmal muss man
etwas weiter ausholen, denn es gab ja schon seit 2009/2010 Bestrebungen, Lugo des
Amtes zu entheben. Man hatte aber keinen richtigen Grund dafür gefunden. Jetzt gab
es am 16. Juni Ausschreitungen im Rahmen einer Landbesetzung durch arme Campesinos.
Es kam zu Schießereien und einige Polizisten sowie etliche Campesinos kamen dabei
ums Leben, und das hat man dann zum Anlass genommen, ein Amtsenthebungsverfahren gegen
Lugo einzuleiten. Man hat am letzten Donnerstag dieses Amtsenthebungsverfahren begonnen
und am Freitag war es eigentlich schon wieder mit seiner Absetzung beendet. Man hat
ihm keine Chance zur Verteidigung gegeben und das Ganze eigentlich im Ad-hoc-Verfahren
durchgepeitscht.“
Michael Kuhnert bedauert die Amtsenthebung des Präsidenten
sehr. Das habe vielfältige Gründe, unter anderem sei Lugo schon als Bischof ein wertvoller
Partner der Adveniat gewesen und habe sich als Verteidiger der Armen verdient gemacht.
Man habe deshalb große Hoffnungen in ihn gesetzt:
„Das Tragische war nur,
dass er als Präsident nie die Mehrheit im Parlament hatte, und deshalb wesentliche
Gesetze von der Opposition blockiert wurden. Insgesamt hat er sich aber doch in einigen
Punkten verdient gemacht, gerade im Hinblick auf die Armen: Er hat beispielsweise
die Gesundheitsversorgung für die Armen durchgesetzt und Bildung für alle zugänglich
gemacht. Das ist ein großer Erfolg nach jahrzehntelanger Ausgrenzung der Armen. Das
war das Machbare, er konnte aber keine Agrarreform durchsetzen, mit der er eigentlich
gewählt wurde. Das ist aber zunächst einmal nicht seine Schuld gewesen, sondern das
wurde von der Opposition stets blockiert.“
Sein Nachfolger Federico Franco
war der Vizepräsident aus der liberalen Partei, mit deren Unterstützung Lugo zum Präsidenten
gewählt worden war. Die Zukunft des Landes sei jetzt ungewiss, angesichts der Tausenden
von Demonstranten, die gegen die Amtsenthebung demonstrierten, könne es aber auch
zu einer Eskalation der Gewalt kommen:
„Federico Franco wird wohl die Amtsperiode
bis April 2013 zu Ende bringen, und dann wird ein neuer Präsident gewählt werden.
Der wird dann wohl aus der Colorado-Partei kommen, die über 60 Jahre Paraguay regiert
hat. Die Armen haben das Signal erhalten, dass sie auf der Agenda weit nach unten
gerutscht sind und dass wohl kaum etwas für sie getan werden wird. Wir alle, auch
die Bischofskonferenz Paraguays, haben wirklich Angst, dass der Konflikt eskaliert.
Sie hat wiederholt dazu aufgerufen, Friedensmärsche zu machen und zu beten, um eine
Polarisierung zu vermeiden.“
Internationaler Druck, wie er in den letzten
Tagen aufgebaut worden ist, werde die Amtsenthebung wohl aber nicht rückgängig machen
können:
„Welche Regierung lässt sich schon in innere Angelegenheiten reinreden.
Immerhin gibt es die Proteste, und am kommenden Freitag wird Lugo auch nach Mendoza
in Argentinien fliegen, um dort an dem Treffen der vier großen Länder Lateinamerikas
teilnehmen. Es wird eben nicht der Präsident Franco teilnehmen. Lugo hat auch gesagt,
er werde sich dort nochmals zu dem Sachverhalt äußern. Das sind natürlich Chancen,
die ihm von den Nachbarstaaten gegeben werden, aber ich denke nicht, dass der Druck
von außen da etwas hilft.“
Die einzige Chance für Paraguay sei eine Rückbesinnung
auf die nationale Identität und das Gemeinwohl, so Kuhnert weiter:
„Das
Land ist gespalten zwischen Großgrundbesitzern und großen völlig verarmten Bevölkerungsteilen.
40 Prozent der Bevölkerung ist immer noch arm. Paraguay ist das zweitärmste Land Südamerikas.
Was sie brauchen, wäre eine nationale Umkehr, eine Identifizierung mit dem Gemeinwohl.
Es darf nicht zugelassen werden, dass zwei Prozent der Bevölkerung über 80 Prozent
des Landes verfügt. Es braucht dringend eine Landreform und ehrenhafte Politiker,
die die Korruption bekämpfen und mit Vetternwirtschaft und Klientelismus aufhören.“
Der
Oblatenpater und Missionar Othmar Grüber ist seit über 50 Jahren als Seelsorger in
Paraguay tätig. Seit einigen Jahren leitet er die deutsche Gemeinde in Asuncion. Er
hat seine eigenen Ansichten zum Sturz des Präsidenten. Lugo habe sich zu sehr dem
linken Spektrum angenähert, auch seine Freundschaft mit Chavez sei ein Indiz dafür:
„Ich
muss ohne Weiteres sagen, dass er wohl wegen seiner linken Orientierung abgesetzt
worden ist. Lugo wollte ja eine neue Bewegung aufbauen, die links sein sollte und
dementsprechend versucht hätte, an die Macht zu kommen. Er war ein Freund von Chavez,
und das ist wohl schon im extrem linken Spektrum anzusiedeln. Deshalb erfährt er jetzt
auch von Argentinien Hilfe. Christina Kirchner ist selbst sehr weit im linken Spektrum
einzuordnen und da kann man verstehen, warum sie so wütend darüber ist, dass Lugo
abgesetzt wurde, auch wenn sie eigentlich die Paraguayer gar nicht so schätzt.“
Dabei
sei es auch problematisch, dass ein Bischof der katholischen Kirche Politik betreiben
wollte, so Pater Grüber weiter. Zwar habe er sich aus dem Klerikerstand verabschiedet,
um kandidieren zu können, aber ein ungutes Grundgefühl bleibe doch:
„Die
Meinung der katholischen Kirche und meine Ansicht waren, dass er als Bischof sich
nicht als Kandidat aufstellen lassen sollte. Aber er hat es getan. Ich selbst habe
ihm das auch persönlich gesagt.“
Die Zukunft Paraguays liege nun beim Volk,
zunächst einmal sei der Pater aber nur dankbar, dass der Machtwechsel ohne Gewaltausbrüche
vonstattengegangen sei:
„Ich bin froh, dass die ganze Sache ohne Gewalt
ausgegangen ist. Das ist wirklich das Beste, das passieren konnte. Man muss aber auch
sagen, dass die Paraguayer nicht so weit links stehen, wie man vielleicht meinen könnte.
Es gibt ohne Zweifel eine Gruppe, die links steht, aber die Mehrheit der Leute will
nicht zu sehr nach links tendieren. Die wollen natürlich den Sozialstaat, das ist
wichtig, aber nicht, dass alles vom Staat abhängt. Ich behaupte einmal, der Sozialismus
ist der Kapitalismus des Staates.“
Die südamerikanische Staatengemeinschaft
UNASUR hat einstweilen diplomatische Konsequenzen aus dem Vorfall gezogen. In einer
ersten Reaktion erkannten die UNASUR-Außenminister den ernannten Federico Franco nicht
als Nachfolger Lugos an; sie sahen das festgeschriebene Bekenntnis der Staatengemeinschaft
zur Demokratie in Frage gestellt. Mitgliedstaaten äußerten tiefe Besorgnis; einige
sprachen von einem „verdeckten Putsch“. Argentinien, Brasilien und Uruguay zogen ihre
Botschafter ab. Der Generalsekretär der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAE)
José Miguel Insulza hat am Dienstag bekannt gegeben, er werde in die Region reisen,
um die Umstände, die zum Impeachment und der Absetzung des Präsidenten geführt haben,
näher zu untersuchen. Unterdessen hat sich auch Lugo selbst zu Wort gemeldet. Wie
er in einem Interview des staatlichen venezolanischen TV-Senders TeleSur am Dienstag
sagte, sei er von den katholischen Bischöfen des Landes zum Rücktritt gedrängt worden:
„Die Bischöfe haben mir einen Handel angeboten: Wenn ich akzeptiere zurückzutreten,
werde man mich nicht anklagen“. Er habe den Vorstoß jedoch zurückgewiesen und erklärt,
er werde nur das Urteil eines Gerichtes akzeptieren, um weiteres Blutvergießen zu
verhindern. Paraguays Senat hatte Lugos Amtszeit am Freitag mit 39 zu 4 Stimmen vorzeitig
für beendet erklärt. Zuvor hatte die Abgeordnetenkammer des südamerikanischen Landes
eine Amtsenthebungsklage gegen den linksgerichteten Präsidenten eingereicht. Begründet
wurde die Klage mit einer mangelhaften Amtsführung in Zusammenhang mit Bauernprotesten,
bei denen zuletzt laut Medienberichten 17 Menschen ums Leben kamen. (domradio/kna/rv
27.06.2012 cs)