2012-06-25 14:51:00

Ägypten: „Bedrohliche Stimmung auf dem Tahrir-Platz“


RealAudioMP3 Der Wahlsieger in Ägypten steht fest. Nach zusätzlichen Auszählungen und Prüfungen hat die Wahlkommission am Sonntag das Ergebnis der historischen Präsidentenwahl bekannt gegeben. Der Muslimbruder Mohammed Mursi hat mit einem hauchdünnen Vorsprung und bei einer extrem geringen Wahlbeteiligung gegen seinen Kontrahenten Achmed Shafik gewonnen. Die Masse auf dem Tahrir-Platz, die im Falle eines Wahlsieges durch Shafik Gewaltaktionen angekündigt hatte, hat nun das Ergebnis mit Jubel begrüßt. Bischof Kyrillos William, der in den vergangenen Tagen mehrfach bei uns im Gespräch war, hat dem neuen Präsidenten bereits seine herzlichen Glückwünsche übermittelt und verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, der „Zusammenhalt der Nation möge der bleiben, der er auch in der Vergangenheit war“. Was bedeutet aber dieses Ergebnis jetzt konkret für das Land, und insbesondere die christliche Minderheit? Das wollten wir von Monsignore Schroedel, der die deutschsprachige Gemeinde in Kairo leitet, wissen:

„Die Gesellschaft ist im Moment gespalten. Es überwiegt wohl das allgemeine Gefühl der Zustimmung, dass man auf demokratische Weise einen Präsidenten gewählt hat, aber die Verunsicherung auf christlicher Seite ist sehr groß. Sie haben fürchterliche Angst, dass jetzt der Islamismus in diesem Land greift. Andererseits hat Mursi eigentlich nur vielleicht sechs Millionen Stimmen hinter sich, denn viele haben ihn ja gewählt, um sozusagen das kleinere Übel zu wählen. Wir werden jetzt sehen. Mursi selbst ist ein recht schwacher Präsident, er ist kein geschliffener Redner - regieren wird wohl jemand anders im Hintergrund. Man darf auch nicht vergessen, dass der Militärrat letztlich durch die zwei Beschlüsse sehr deutlich gemacht hat, wer die Macht im Lande hat.“

Ganz genau, der Präsident scheint ja auch sehr wenige Machtbefugnisse zu bekommen, sobald die neue Verfassung mit den Aufgabenbereichen des Präsidenten festgezurrt sein wird. Heißt das, dass das Militär Mursi eigentlich für kontrollierbar hält und ihn auch deshalb durchgewunken hat?

„Das vermute ich in der Tat. Die letzten Tage, als es hieß, es werde nochmals ausgezählt und kontrolliert, dienten meiner Ansicht nach eher zu intensiven Gesprächen zwischen dem Militärrat und den Muslimbrüdern. Da hat man wohl viele Kompromisse gefunden. Man muss ja auch mal anders herum überlegen, was wäre gewesen, wenn Shafik zum Präsidenten erklärt worden wäre? Es wäre wohl zu einem Blutbad gekommen. Die aufgeheizte Atmosphäre auf dem Tahrir-Platz habe ich selbst mitbekommen, und ich war das erste Mal in meinem Leben froh, als ich wieder vom Platz runter war. Ich habe den Platz noch nie so islamistisch erlebt, da bekommt man dann doch Ängste. Das war bei der Revolution eine völlig andere Situation. Es ist eine ambivalente Situation, natürlich müssen wir dem neuen Präsidenten auch alle Chancen geben, er hat gestern auch wieder sehr positiv geklungen, aber wenn man dem Ansatz der Muslimbrüder gegenüber kritisch ist, muss man natürlich sagen: Vorsicht, da kann noch Schlimmes nachkommen.“

Ganz abgesehen davon, dass die Muslimbrüder jetzt während ihrer Zeit im Parlament nicht unbedingt demokratisches Erwachsensein demonstriert haben?

„Ganz richtig, sie haben ja auch keinerlei Erfahrung in demokratischen Gepflogenheiten, von daher musste man viele Dinge mit Schmunzeln zur Kenntnis nehmen. Aber das Problem ist jetzt meines Erachtens, sollte die Staatengemeinschaft und vor allem Amerika darauf bestehen, dass der Militärrat zurücktreten und alle Macht dem Staat übergeben sollte. In diesem Fall bitte keine Lösung nach amerikanischem Demokratieverständnis. Das geht nicht, hier brauchen wir noch die Macht des Militärs, die natürlich zu hinterfragen ist, aber im Moment gibt es keine andere Lösung, sonst würde diese arabische Republik in zwei große Teile zerfallen und ein Bürgerkrieg könnte die Folge sein.“

Als Beispiel wurde ja auch immer wieder Tunesien genannt. Könnte Tunesien denn als Vorbild für Ägypten dienen?

„Das sind ja immer wieder diese kleinen Länder. Wenn wir von sechs bis sieben oder meinetwegen auch 15 Millionen Menschen in diesen arabischen Ländern Nordafrikas, dann ist das etwas anderes, wenn Sie 80 Millionen Menschen haben mit einer Hauptstadt, die 25 Millionen Einwohner hat. Das lässt sich auch in besten Zeiten nicht richtig lenken, wie sollte es denn jetzt zu moderat islamischen Zuständen kommen? Hier muss noch viel mehr an basisdemokratischer Arbeit geleistet werden. Viele Oppositionskandidaten und Politiker klagen immer wieder ein, dass Demokratie erlernt werden muss. Es gibt auch viele Christen, und auch moderate Muslime, die sagen, die Muslimbruderschaft kann ja gar nicht demokratisch sein, weil es keinen demokratischen Islam gibt. Das ist ein Gegensatz, der eigentlich nicht aufzulösen ist. Ein Muslimbruder ist ein strenger Islamist, der als letzters Ziel den Gottesstaat hat. Das ist mit Demokratie, trotz aller Beteuerungen, nicht zu vereinen.“

Es gibt ja noch die große Unbekannte der vielen Wahlberechtigten, die nicht zur Wahl gegangen sind ...

„Ja, das ist schon wichtig, dass etwa die Hälfte aller Ägypter, die wahlberechtigt waren, nicht zur Wahl gegangen sind. Das heißt, etwa 25 Millionen Ägypter sind zur Wahl gegangen, und von diesen hat etwas weniger als die Hälfte Shafik gewählt. Da ist ein potential dahinter, das wir noch gar nicht verstehen. Außerdem gibt es etwa 50 Prozent Analphabeten, die in den Demokratisierungsprozess eingebunden werden sollen, wenn sie es denn überhaupt wollen. Wie sich das entwickelt, ist noch mit vielen Fragezeichen versehen.“

(rv 25.06.2012 cs)







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