In Ägypten gehen die
Proteste weiter: Nach dem Freitagsgebet versammelten sich zehntausende Personen auf
dem Tahrir-Platz in Kairo, um gegen die Parlamentsauflösung durch den Militärrat zu
protestieren. Die Demonstranten wollen ein permanentes Sit-in auf dem symbolträchtigen
Platz fortführen, bis der Wahlsieger der Präsidentschaftswahlen bekannt gegeben ist.
Auch am Samstag haben sie sich nicht von glühend heißen Temperaturen abschrecken lassen
und harren weiter auf dem Platz aus. Viele Menschen sind der Ansicht, die Militärjunta
lenke den Wandel zur Demokratie auf autoritäre und undurchsichtige Weise, was de facto
einer Kontrolle der anderen Regierungsinstitutionen gleichkäme. Der ägyptische Islamexperte
und Jesuit Samir Khalil Samir, Vatikan-Berater in Islamfragen und Dozent in Beirut
und Rom, rät dazu, jetzt zunächst abzuwarten:
„Die Armee versucht, alles
im Gleichgewicht zu halten und alle möglichen Spielvarianten, auch die Manipulationen,
die begangen worden sind, zu prüfen. Wir müssen etwas abwarten. Es gibt das Risiko,
dass die Armee versucht, die Macht wieder an sich zu reißen, wie sie sie zu Mubaraks
Zeiten hatte, als sie besonders mächtig war. Andererseits gibt es auch das gegenteilige
Risiko, dass sie dort Ordnung schaffen wollen, wo eine Gruppierung einen ungerechtfertigten
Vorteil gegenüber einer anderen genießt: Schon allein die Tatsache, dass die Islamisten
bereits am vergangenen Montag den Sieg ihres Kandidaten angekündigt haben, um das
Ergebnis in ihrem Sinne zu steuern, kann auch als rechtswidrig angesehen werden.“
Dabei
sei positiv hervorzuheben, dass die Kopten mit einer ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung
in die Wahlkabine gegangen seien – das sei bei den letzten Wahlen nicht passiert,
so Pater Samir. Es bedeute, dass die Christen sich nun, im Gegensatz zu früher, als
aktive Mitglieder des politischen Lebens begriffen und auch ihre Stimme sprechen lassen
wollten. Über die Präferenzen der Kopten bei der Wahl sagt der Pater:
„Die
Präferenz für Schafik galt nicht seiner Person, sondern es handelte sich um eine Wahl
gegen den Islamismus. Was ist das Problem mit dem Islamismus? Dass nochmals der Artikel
2 der Verfassung verstärkt wird, der besagt, die Scharia sei die Basis der Rechtsprechung.
Aber die Scharia ist nicht wie die Verfassung, sondern sie unterliegt der persönlichen
Auslegung durch islamische Rechtsgelehrte. Die islamischen Strömungen sagen an einem
Tag: ,Nein, wir wollen die Scharia nicht‘, und am nächsten Tag sagen sie: ,Ja, wir
wollen die Scharia anwenden‘ – und dies je nach dem Gesprächspartner, den sie gerade
vor sich haben. Das bedingt natürlich ein gewisses Misstrauen bei den Christen, wie
auch bei den liberalen Muslimen, die deswegen lieber eine andere Partei wählen.“
Pater
Samir ist soeben aus Tunis zurück gekommen, wo er an dem Treffen der OASIS-Stiftung
teilgenommen hat. Auf der Tagung ging es um die Auswirkungen des arabischen Frühlings,
der von Tunesien aus seinen Anfang nahm. Tunesien könne, so Pater Samir, durchaus
als Vorbild auch für die anderen Staaten im Umbruch gelten:
„Tunesien ist
immer schon weit voraus auf dem Weg der Demokratisierung gewesen, auch bereits vor
50 Jahren mit Habib Bourguiba. Insbesondere die Rolle der Frau ist durch die Verfassung
wunderbar korrigiert worden. Das können wir noch heute beobachten. Auch wenn die Partei
Ennahda, die mit den Muslimbrüdern zusammenhängt, an der Macht ist, ist klar gesagt
worden, dass sie die Scharia nicht als Basis der Rechtsprechung einführen werden,
und dies umso mehr, weil sie gegen jede Form von Extremismus sei. Während der OASIS-Versammlung
kam sogar der Staatspräsident Moncef Marzouki persönlich hinzu, der eine kurze, aber
hervorragende Rede gehalten hat. Der Präsident hat insbesondere von der Gewissensfreiheit
gesprochen, und er hatte den Mut, vor allen Teilnehmern in französischer Sprache zu
sagen: Wir sind für eine Gesellschaft der Bürger. Wir wollen, dass Muslime, Christen,
Juden oder Atheisten – und er hat wiederholt, ,oder Atheisten‘ – die gleichen Rechte
wie alle anderen haben.“