2012-06-23 11:40:22

Ägypten: Erfreuliche Wahlbeteiligung der Kopten


RealAudioMP3 In Ägypten gehen die Proteste weiter: Nach dem Freitagsgebet versammelten sich zehntausende Personen auf dem Tahrir-Platz in Kairo, um gegen die Parlamentsauflösung durch den Militärrat zu protestieren. Die Demonstranten wollen ein permanentes Sit-in auf dem symbolträchtigen Platz fortführen, bis der Wahlsieger der Präsidentschaftswahlen bekannt gegeben ist. Auch am Samstag haben sie sich nicht von glühend heißen Temperaturen abschrecken lassen und harren weiter auf dem Platz aus. Viele Menschen sind der Ansicht, die Militärjunta lenke den Wandel zur Demokratie auf autoritäre und undurchsichtige Weise, was de facto einer Kontrolle der anderen Regierungsinstitutionen gleichkäme. Der ägyptische Islamexperte und Jesuit Samir Khalil Samir, Vatikan-Berater in Islamfragen und Dozent in Beirut und Rom, rät dazu, jetzt zunächst abzuwarten:

„Die Armee versucht, alles im Gleichgewicht zu halten und alle möglichen Spielvarianten, auch die Manipulationen, die begangen worden sind, zu prüfen. Wir müssen etwas abwarten. Es gibt das Risiko, dass die Armee versucht, die Macht wieder an sich zu reißen, wie sie sie zu Mubaraks Zeiten hatte, als sie besonders mächtig war. Andererseits gibt es auch das gegenteilige Risiko, dass sie dort Ordnung schaffen wollen, wo eine Gruppierung einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber einer anderen genießt: Schon allein die Tatsache, dass die Islamisten bereits am vergangenen Montag den Sieg ihres Kandidaten angekündigt haben, um das Ergebnis in ihrem Sinne zu steuern, kann auch als rechtswidrig angesehen werden.“

Dabei sei positiv hervorzuheben, dass die Kopten mit einer ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung in die Wahlkabine gegangen seien – das sei bei den letzten Wahlen nicht passiert, so Pater Samir. Es bedeute, dass die Christen sich nun, im Gegensatz zu früher, als aktive Mitglieder des politischen Lebens begriffen und auch ihre Stimme sprechen lassen wollten. Über die Präferenzen der Kopten bei der Wahl sagt der Pater:

„Die Präferenz für Schafik galt nicht seiner Person, sondern es handelte sich um eine Wahl gegen den Islamismus. Was ist das Problem mit dem Islamismus? Dass nochmals der Artikel 2 der Verfassung verstärkt wird, der besagt, die Scharia sei die Basis der Rechtsprechung. Aber die Scharia ist nicht wie die Verfassung, sondern sie unterliegt der persönlichen Auslegung durch islamische Rechtsgelehrte. Die islamischen Strömungen sagen an einem Tag: ,Nein, wir wollen die Scharia nicht‘, und am nächsten Tag sagen sie: ,Ja, wir wollen die Scharia anwenden‘ – und dies je nach dem Gesprächspartner, den sie gerade vor sich haben. Das bedingt natürlich ein gewisses Misstrauen bei den Christen, wie auch bei den liberalen Muslimen, die deswegen lieber eine andere Partei wählen.“

Pater Samir ist soeben aus Tunis zurück gekommen, wo er an dem Treffen der OASIS-Stiftung teilgenommen hat. Auf der Tagung ging es um die Auswirkungen des arabischen Frühlings, der von Tunesien aus seinen Anfang nahm. Tunesien könne, so Pater Samir, durchaus als Vorbild auch für die anderen Staaten im Umbruch gelten:

„Tunesien ist immer schon weit voraus auf dem Weg der Demokratisierung gewesen, auch bereits vor 50 Jahren mit Habib Bourguiba. Insbesondere die Rolle der Frau ist durch die Verfassung wunderbar korrigiert worden. Das können wir noch heute beobachten. Auch wenn die Partei Ennahda, die mit den Muslimbrüdern zusammenhängt, an der Macht ist, ist klar gesagt worden, dass sie die Scharia nicht als Basis der Rechtsprechung einführen werden, und dies umso mehr, weil sie gegen jede Form von Extremismus sei. Während der OASIS-Versammlung kam sogar der Staatspräsident Moncef Marzouki persönlich hinzu, der eine kurze, aber hervorragende Rede gehalten hat. Der Präsident hat insbesondere von der Gewissensfreiheit gesprochen, und er hatte den Mut, vor allen Teilnehmern in französischer Sprache zu sagen: Wir sind für eine Gesellschaft der Bürger. Wir wollen, dass Muslime, Christen, Juden oder Atheisten – und er hat wiederholt, ,oder Atheisten‘ – die gleichen Rechte wie alle anderen haben.“

(rv 23.06.2012 cs)








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