Nigeria: Gewalt von Boko Haram treibt Christen auf die Barrikaden
Der Terror in Nigeria
will kein Ende nehmen, im Wochentakt schlägt die islamistische Sekte Boko Haram zu
und greift christliche Kirchen an. Neuerdings, da sich die Kirchen durch Barrikaden
schützen, detonieren die Sprengsätze auf den Straßen und töten und verletzen Passanten.
Nachrichtenagenturen zählen allein in diesem Jahr über 600 Tote, die auf das Konto
von Boko Haram gehen. Die Opferzahlen weiter in die Höhe getrieben haben die Anschläge
vom vergangenen Wochenende in Kaduna und Zaria: 52 Tote und 74 Verletzte wurden im
Laufe der vergangenen Tage bestätigt. Dazu kamen Tote und Verletzte durch die Racheaktionen
junger Christen, die sich mit Muslimen Gefechte lieferten. Papst Benedikt XVI. hatte
bei der Generalaudienz am Mittwoch auch seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass es
zu eben solchen Rachefeldzügen nicht komme. Auch die Bischöfe des Landes hatten wiederholt
zu interreligiöser Solidarität und Verständigung aufgerufen.
Schwester
Semira Carozzo von der Kongregation der Oblatinnen von Nazareth lebt seit 22 Jahren
in Nigeria. Sie hat in Kaduna, das jetzt zum Schauplatz der Gewalt wurde, eine Schule
für 800 Kinder gegründet. Sie sagte im Interview mit Radio Vatikan zur aktuellen Lage:
„Die Situation ist sehr angespannt. Die Regierung hat eine Ausgangssperre
verhängt, es gibt kein Licht und wir können niemanden erreichen, weil wir nicht heraus
kommen. Dazu kommt der Stress und die Spannung von der Erwartung, dass jederzeit ein
neuer Angriff kommen könnte. Die Schule liegt nahe bei einem der Anschlagsorte, weniger
als einen Kilometer entfernt.“
Die jüngsten Angriffe hätten
Gegengewalt ausgelöst; vor allem jugendlichen Christen sei diesmal der Kragen geplatzt.
Mit fatalen Folgen:
„In Kaduna wurden zwei Kirchen angegriffen und Häuser
abgebrannt. Dieses Mal sind die Christen aber nicht ruhig geblieben, sondern sie haben
sofort reagiert und zwar auf die schlimmste Weise. Sie wollten sich verteidigen und
haben aber Häuser von Muslimen angezündet und sie haben auch Muslime selbst, denen
sie begegnet sind, getötet. Nach den Erfahrungen aus dem Jahr 2000, als es ein Massaker
gegeben hat, wollte man ,vorbereit‘ sein; so haben sie – als sie sich angegriffen
sahen – sofort reagiert.“
Man befinde sich in einer ernsten
Situation, so Sr. Semira, denn es gebe keinerlei Anzeichen, dass Boko Haram in der
Gewalt nachlasse.
„Boko Haram sagt, dass die Sekte weitere Menschen
anwerben will und dass sie finanziert werde allein zu dem Zweck, die Gemeinschaft
der Christen vollständig auszulöschen. Sie wollen Angst verbreiten und greifen deswegen
die Kirchen am Sonntag an, wenn sich die Menschen dort versammeln. Im Blick auf die
nächsten Präsidentschaftswahlen wollen sie, dass es ein vollständig islamisches Regime
gibt.“
Nach 20 Jahren in Nigeria betont Sr. Semira aber auch, dass
es natürlich nicht alle Muslime seien, die dieses Ziel verfolgten.
„Wir
selbst haben gute Beziehungen hier, vor allem mit den Familien, die ihre Kinder zu
unserer Schule bringen, seit wir sie im Jahr 2000 geöffnet haben. Wir haben viele
Freunde unter den Muslimen, ich kaufe auf den Märkten täglich bei ihnen das Essen
für die Kinder ein. Das macht uns ja so ratlos angesichts der Gewalt. Ich weiß nicht,
was ich davon halten soll. Es sind eben die Extremisten, die diese Situation geschaffen
haben.“
Die Papstappelle blieben in Nigeria nicht ungehört,
berichtet Sr. Semira weiter. Sie seien ein fester Bestandteil des Gebetes, vor allem
des öffentlichen Gebetes der Christen – wie zum Beispiel bei der Gebetsvigil in Abuja,
zu der die Bischöfe aufgerufen hatten. Dieses Gebet sei fast die einzige Verteidigung,
die den Christen noch bliebe, wenn man nicht selber zur Gewalt greifen wolle.
Sie
selber hat in ihren 22 Jahren in Afrika gute Zeiten und schlechte Zeiten erlebt. Die
aktuelle Situation sei für sie völlig neu, doch die Bevölkerung ermutige sie zu bleiben,
berichtet die Schwester:
„Die Eltern der Schüler haben mir gesagt: ,Sr.
Semira, Sie müssen die Sicherheit der Schule erhöhen, denn unsere Kinder sind so nicht
sicher!‘ Ich habe sie versucht zu beruhigen und Gottvertrauen zu haben, aber es ist
doch wahr: Wir wissen nicht, ob die Extremisten vorhaben, eine Bombe in die Schule
zu werfen, und wir wissen auch nicht den Tag und die Stunde.“