D: „Kirche soll offen und positiv über Sexualität reden“
Der Münsterschwarzacher Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller will, dass in
der katholischen Kirche offen und positiv über Sexualität gesprochen wird. „Ich würde
mir wünschen, dass die Kirche hinter Sexualität die Schöpfermacht Gottes und nicht
einen lüsternen Satan sieht“, sagte der Leiter des Recollectio-Hauses am Mittwochabend
in München bei einer Veranstaltung der Eugen-Biser-Stiftung. Sexualität könne heilig
sein.
In seiner therapeutischen Arbeit im Recollectio-Haus mit Seelsorgern
in Lebenskrisen stelle er immer wieder fest, dass Sexualität „sehr wohl ein Thema“
für viele Hauptamtliche sei, sagte Müller weiter. In der Ausbildung sei sie jedoch
in früheren Jahren tabuisiert worden. Mit dem Zölibat hätten zehn bis 15 Prozent seiner
Klienten große Schwierigkeiten. „Ich bin ein Vertreter des Zölibats. Aber ich bin
dafür, dass er freigestellt wird“, so Müller wörtlich.
Der Brixener Moraltheologe
Martin Lintner sieht die Zölibatsdebatte nicht als deutsche Besonderheit. Auch in
anderen Teilen der Welt werde die für Priester verpflichtende Ehelosigkeit infrage
gestellt. Weiter forderte Lintner, mit „historischen Irrtümern“ aufzuräumen, etwa
bei der Interpretation einer Passage aus dem Paulusbrief an die Korinther. In der
ursprünglichen Fassung seien mit denen, die der Eucharistie „würdig“ seien, Menschen
gemeint gewesen, die die Nächstenliebe lebten. Erst später sei „würdig“ als Enthaltsamkeit
interpretiert worden.
Lintner räumte ein, die Lehre der katholischen Kirche
werde dadurch einseitig, dass sexuell enthaltsame Männer sie prägten. Auch er hoffe,
dass eine neue Sprache über Sexualität gefunden werde. Dazu dürfe die Kirche nicht
nur auf die Einhaltung von Normen pochen, sondern müsse die Werte dahinter stärker
herausstellen. Treue etwa sei ein Wert, der hohe Zustimmung in der Bevölkerung genieße.
Auch Liebe und Achtung voreinander seien derartige Werte.
Müller sagte, wenn
Homosexuelle von Liebe sprächen, könne er ihnen diese nicht absprechen. Ihm zufolge
könnte katholische Sexualmoral anders aussehen, wenn Frauen mitreden dürften. Weibliche
Führungskräfte in der Kirche wären auch sensibler mit dem Problem des sexuellen Missbrauchs
umgegangen, sagte der Psychotherapeut in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
(kna 21.06.2012 gs)