2012-06-19 11:00:57

Ägypten: „Macht des Militärs geht weiter“


RealAudioMP3 Auch nach der Präsidentenwahl in Ägypten wird die Macht weiter in den Händen des Militärs liegen. Das betont der Seelsorger der deutschsprachigen Gemeinde in Kairo, Pfarrer Joachim Schroedel, nach dem Urnengang im Interview mit Radio Vatikan. Ägypten hatte am vergangenen Wochenende zum ersten Mal demokratisch ein Staatsoberhaupt gewählt. Erste Hochrechnungen legen nahe, dass der Muslimbruder Mohammed Mursi die Wahl gewonnen hat. Das Militär hat derweil weitreichende Befugnisse des aufgelösten Parlaments übernommen. Pfarrer Schroedel:


„Der Ablauf der Wahlen war recht friedlich, die Menschen sind normal und auch wohlgestimmt zur Wahl gegangen. Aber ich hatte es mir ehrlich gesagt gedacht, dass es einen Gleichstand geben würde. Was wiederum keiner vorausgesehen hat, war die Tatsache, dass der Hohe Militärrat nur einen Tag vorher mitgeteilt hat, wie er sich einen Präsidenten vorstellt. Die Geschichte droht zu einem Schmierentheater zu werden, aber wir haben in der letzten Zeit einfach vergessen, dass die Militärs hier die ,Ruler‘ sind, die alles zu bestimmen haben.“


Obwohl das offizielle Ergebnis der Wahlen erst am Donnerstag vorliegen soll, zeigte sich der Muslimbruder Mohammed Mursi siegesgewiss: bereits um sechs Uhr am Montagmorgen, nach der Auszählung nur eines geringen Teils der Stimmen, hatte er sich in einer Presseerklärung zum neuen Präsidenten erklärt. Dabei gab er sich kompromissbereit: Die Minderheiten hätten vor ihm nichts zu befürchten. Dazu Schroedel:


„Der Wolf frisst so viel Kreide, dass es schon fast penetrant ist. In der Konferenz sagte er, dass er natürlich der Präsident aller ist, dass die Christen seine Freunde sind und zu seiner Familie gehören – das sagen in Ägypten alle, die etwas werden wollen. Ich denke aber, dass das Militär ihm sehr genaue Vorgaben macht. Durch den Zusatz zur provisorischen Verfassung kann man eigentlich sagen, dass Mursi mittlerweile fast den Status eines bundesdeutschen Präsidenten genießt, der zwar Minister ernennen und Urkunden überreichen darf, aber politisch eigentlich keinerlei Macht mehr hat. Das haben wir im Westen noch nicht so gesehen, aber das ist ja noch ganz frisch. Andererseits muss man sich auch daran erinnern, dass das Militär damals die Macht von Mubarak in die Hände gelegt bekommen hat, und da ist sie eben auch heute noch. Was die Demokratie betrifft, da müssen wir erst einmal abwarten. Außerdem sind 50% der Ägypter Analphabeten. Wie können Sie mit einem Volk, das zur Hälfte nicht lesen und schreiben kann, eine Demokratie aufbauen? Das sind Menschen, die hören auf ihre Pfarrer, auf ihre Imame, und machen das, was die ihnen sagen.“


Der Militärrat habe durch die überraschende Entscheidung des Verfassungsgerichtes seine Pfründe erst einmal gesichert – einmal davon abgesehen, dass ein Präsident gewählt wurde, dessen Aufgabenfelder und Kompetenzen vor der Wahl nicht klar umrissen waren:


„Wir werden nicht einfach eine friedliche Übergabe erleben, sondern wir werden erleben, dass der Hohe Militärrat klar machen wird, dass die Macht bis auf Weiteres in seinen Händen liegt. Dies vor allem nach der sehr interessanten Auflösung des Parlamentes und der erst danach erfolgten Bestimmung der Aufgaben des Präsidenten. Darunter findet sich beispielsweise, dass er nicht mehr oberster Militärbefehlshaber ist, dass er keine juridischen Befugnisse hat, solange es kein Parlament gibt, und vor allem, dass das Budget nicht mehr in Hand des Präsidenten sein wird. Wichtig ist auch, dass ein Militärsprecher erst vor ein paar Stunden mitgeteilt hat, dass natürlich mit einer neuen Verfassung und einem neuen Parlament der jetzt gewählte Präsident sofort wieder außer Amt sein wird und ein neuer Präsident gewählt werden wird. Es bleibt also weiter spannend, und meine Hoffnung ist nur, dass es nicht zu bösen Auseinandersetzungen zwischen den beiden großen Gruppierungen kommt, die einerseits für Schafik und andererseits für Mursi gestimmt haben.“


Pfarrer Schroedel ist trotzdem vorsichtig optimistisch, was die Zukunft der religiösen Minderheiten im Land betrifft:


„Die religiösen Minderheiten werden wohl nicht in Gefahr sein. Insbesondere die Christen sind zwar eine Minderheit, aber eine sehr qualifizierte Minderheit, an der man in diesem Land nicht vorbeikommt. Man wird ihnen wohl nicht irgendwelche Lasten auferlegen. Aber die Angst ist natürlich sehr groß, das muss man schon auch sagen.“

Wie die Agentur adnkronos in der Zwischenzeit mitteilt, finden auf dem symbolbehafteten Tahrirplatz in Kairo bereits seit Dienstagmorgen Demonstrationen der Muslimbrüder statt, die den Sieg ihres Kandidaten Mursi zementieren sollen. Gleichzeitig beharren die Anhänger von Achmed Shafik darauf, am Donnerstag werde der Sieg ihres Kandidaten verkündet werden. Zu Ausschreitungen soll es bislang aber nicht gekommen sein.

(rv/adnkronos/ansa 19.06.2012 cs)









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