Auch nach der Präsidentenwahl
in Ägypten wird die Macht weiter in den Händen des Militärs liegen. Das betont der
Seelsorger der deutschsprachigen Gemeinde in Kairo, Pfarrer Joachim Schroedel, nach
dem Urnengang im Interview mit Radio Vatikan. Ägypten hatte am vergangenen Wochenende
zum ersten Mal demokratisch ein Staatsoberhaupt gewählt. Erste Hochrechnungen legen
nahe, dass der Muslimbruder Mohammed Mursi die Wahl gewonnen hat. Das Militär hat
derweil weitreichende Befugnisse des aufgelösten Parlaments übernommen. Pfarrer Schroedel:
„Der
Ablauf der Wahlen war recht friedlich, die Menschen sind normal und auch wohlgestimmt
zur Wahl gegangen. Aber ich hatte es mir ehrlich gesagt gedacht, dass es einen Gleichstand
geben würde. Was wiederum keiner vorausgesehen hat, war die Tatsache, dass der Hohe
Militärrat nur einen Tag vorher mitgeteilt hat, wie er sich einen Präsidenten vorstellt.
Die Geschichte droht zu einem Schmierentheater zu werden, aber wir haben in der letzten
Zeit einfach vergessen, dass die Militärs hier die ,Ruler‘ sind, die alles zu bestimmen
haben.“
Obwohl das offizielle Ergebnis der Wahlen erst am Donnerstag
vorliegen soll, zeigte sich der Muslimbruder Mohammed Mursi siegesgewiss: bereits
um sechs Uhr am Montagmorgen, nach der Auszählung nur eines geringen Teils der Stimmen,
hatte er sich in einer Presseerklärung zum neuen Präsidenten erklärt. Dabei gab er
sich kompromissbereit: Die Minderheiten hätten vor ihm nichts zu befürchten. Dazu
Schroedel:
„Der Wolf frisst so viel Kreide, dass es schon fast penetrant
ist. In der Konferenz sagte er, dass er natürlich der Präsident aller ist, dass die
Christen seine Freunde sind und zu seiner Familie gehören – das sagen in Ägypten
alle, die etwas werden wollen. Ich denke aber, dass das Militär ihm sehr genaue Vorgaben
macht. Durch den Zusatz zur provisorischen Verfassung kann man eigentlich sagen, dass
Mursi mittlerweile fast den Status eines bundesdeutschen Präsidenten genießt, der
zwar Minister ernennen und Urkunden überreichen darf, aber politisch eigentlich keinerlei
Macht mehr hat. Das haben wir im Westen noch nicht so gesehen, aber das ist ja noch
ganz frisch. Andererseits muss man sich auch daran erinnern, dass das Militär damals
die Macht von Mubarak in die Hände gelegt bekommen hat, und da ist sie eben auch heute
noch. Was die Demokratie betrifft, da müssen wir erst einmal abwarten. Außerdem sind
50% der Ägypter Analphabeten. Wie können Sie mit einem Volk, das zur Hälfte nicht
lesen und schreiben kann, eine Demokratie aufbauen? Das sind Menschen, die hören auf
ihre Pfarrer, auf ihre Imame, und machen das, was die ihnen sagen.“
Der
Militärrat habe durch die überraschende Entscheidung des Verfassungsgerichtes seine
Pfründe erst einmal gesichert – einmal davon abgesehen, dass ein Präsident gewählt
wurde, dessen Aufgabenfelder und Kompetenzen vor der Wahl nicht klar umrissen waren:
„Wir
werden nicht einfach eine friedliche Übergabe erleben, sondern wir werden erleben,
dass der Hohe Militärrat klar machen wird, dass die Macht bis auf Weiteres in seinen
Händen liegt. Dies vor allem nach der sehr interessanten Auflösung des Parlamentes
und der erst danach erfolgten Bestimmung der Aufgaben des Präsidenten. Darunter findet
sich beispielsweise, dass er nicht mehr oberster Militärbefehlshaber ist, dass er
keine juridischen Befugnisse hat, solange es kein Parlament gibt, und vor allem, dass
das Budget nicht mehr in Hand des Präsidenten sein wird. Wichtig ist auch, dass ein
Militärsprecher erst vor ein paar Stunden mitgeteilt hat, dass natürlich mit einer
neuen Verfassung und einem neuen Parlament der jetzt gewählte Präsident sofort wieder
außer Amt sein wird und ein neuer Präsident gewählt werden wird. Es bleibt also weiter
spannend, und meine Hoffnung ist nur, dass es nicht zu bösen Auseinandersetzungen
zwischen den beiden großen Gruppierungen kommt, die einerseits für Schafik und andererseits
für Mursi gestimmt haben.“
Pfarrer Schroedel ist trotzdem
vorsichtig optimistisch, was die Zukunft der religiösen Minderheiten im Land betrifft:
„Die
religiösen Minderheiten werden wohl nicht in Gefahr sein. Insbesondere die Christen
sind zwar eine Minderheit, aber eine sehr qualifizierte Minderheit, an der man in
diesem Land nicht vorbeikommt. Man wird ihnen wohl nicht irgendwelche Lasten auferlegen.
Aber die Angst ist natürlich sehr groß, das muss man schon auch sagen.“
Wie
die Agentur adnkronos in der Zwischenzeit mitteilt, finden auf dem symbolbehafteten
Tahrirplatz in Kairo bereits seit Dienstagmorgen Demonstrationen der Muslimbrüder
statt, die den Sieg ihres Kandidaten Mursi zementieren sollen. Gleichzeitig beharren
die Anhänger von Achmed Shafik darauf, am Donnerstag werde der Sieg ihres Kandidaten
verkündet werden. Zu Ausschreitungen soll es bislang aber nicht gekommen sein.