Mindestens zwei „Schicksalswahlen“
hatten wir an diesem Wochenende: Während die Wahlen in Frankreich ein zwar beachtliches
Ergebnis für Hollande und seine Sozialisten brachten, war es doch im Grunde keine
große Überraschung für die Wahlbeobachter, was hier passierte. Anders sieht es in
zwei südlichen Ländern aus: Griechen und Ägypter waren aufgerufen, ihr neues Parlament
bzw. ihren neuen Präsidenten zu wählen. Für die Griechen ging es um nichts weniger
als um die Entscheidung, den Euro zu behalten oder aus der Währungsunion auszusteigen
– in beiden Fällen mit allen dazugehörigen Konsequenzen. In Ägypten hingegen wurde
zum ersten Mal demokratisch ein Staatsoberhaupt gewählt, und das in einem Klima eines
enttäuschten arabischen Frühlings, der Angst vor der Rückkehr des Regimes oder der
Etablierung eines Gottesstaates, und unter den wachsamen Augen des Militärs, das mittlerweile
weitreichende Befugnisse des aufgelösten Parlaments übernommen hat.
Jörg Schill
war lange Jahre Pfarrgemeinderatsmitglied in Athen. Nach der Wahl warnt er im Interview
mit dem Domradio aber vor allzu großer Euphorie: Zunächst einmal sei der Kelch des
unberechenbaren Sammelsuriums linker Parteien unter der Leitung von Alexis Tsipras
zwar an den Griechen vorbei gegangen, aber es sei noch lange nicht gesagt, ob überhaupt
ein regierungsfähiges Bündnis zustande kommen werde:
„Der Vertreter der
Sozialisten sagte erst gestern Abend noch, er müsse für eine Regierung auch Tsipras
mit seiner Partei dabei haben und das wurde dann nachher etwas widerrufen. Und zum
Zweiten bleibt ja doch das von stolzen 27,5% der Wahlberechtigten ausgedrückte Unbehagen
über das mit der Troika, also der Europäischen Kommission, der Zentralbank und dem
Währungsfonds ausgehandelte Memorandum. Das ist ja nicht nur eine griechische Erscheinung,
sondern das hat man mittlerweile auch in Frankreich, Spanien und Italien. Die Stimmen
werden lauter, die sagen, Sparen ist zwar gut, aber es reicht nicht allein, um die
Wirtschaft wieder auf die Beine zu bekommen und das Volk zur Arbeit zu kriegen. Insofern
hat ja auch Frau Merkel angefangen, darüber nachzudenken, ob nicht parallel zum Sparen
auch ein Aufbauprogramm, fast schon ein Marshallplan, angebracht wäre.“
Große
Erwartungen richteten sich dabei auf eine Nachverhandlung der Sparauflagen, so Schill
weiter:
„Das will die griechische Regierung wie andere Regierungen auch.
Ich finde das auch angemessen, und das sage ich nicht als ein ,Linker‘. Vielmehr,
wenn man sich die Maßnahmen in diesem Memorandum anschaut, dann sind diese doch sehr
zu Lasten der ärmeren Schichten getroffen worden, während die sogenannten Reichen
immer Möglichkeiten haben, sich diesen zu entziehen.“
In Ägypten stellt
sich die Situation vielleicht noch komplizierter dar: Zwar scheint der Muslimbruder
Mursi die Wahl zum Präsidenten gewonnen zu haben, unabhängige Wahlbeobachter sprechen
aber von Unregelmäßigkeiten, und es ist noch lange nicht gesagt, ob das Militär wie
versprochen die Macht abgeben wird. Die christliche Gemeinschaft hatte eher auf einen
Sieg des Herausforderers Schafik gehofft, da die Befürchtungen groß sind, der „Wolf,
der Kreide gefressen hat“ – wie es Pfarrer Schrödel von deutschsprachigen Gemeinde
Kairo ausdrückte – , werde letztlich doch einen Gottesstaat mit weitreichenden Konsequenzen
für die christliche Minderheit einrichten. Der Bischof von Assiut und Administrator
des Patriarchats von Alexandrien, Kyrillos William, ist im Gespräch mit Radio Vatikan
noch vorsichtig: man müsse erst einmal abwarten, wie sich der vermeintliche neue Präsident
äußern werde, bevor man Schlüsse ziehen könne. Diie endgültigen Wahlergebnisse werden
für Donnerstag erwartet.