Das umstrittene
Betreuungsgeld soll eingeführt werden. Das hat die deutsche Regierung am Mittwoch
beschlossen. Damit sollen Eltern Geld bekommen, die für ihre Kleinkinder nicht die
staatlich geförderte Betreuung in Anspruch nehmen. Diese Regelung wird vor allem von
der CSU verlangt. Noch vor der Sommerpause soll der Bundestag das Gesetz verabschieden.
Aus
kirchlicher Sicht gibt es verschiedene Meinungen zu dem Thema. So hat an diesem Freitag
die Freie und Hansestadt Hamburg angekündigt, gegen das Gesetz zu klagen. Auch die
Evangelische Kirche lehnt das Betreuungsgeld ab, viele katholische Bischöfe und Verbände
machen sich hingegen für diese finanzielle Hilfeleistung stark. Ihr Argument: Eltern
brauchen mehr Anerkennung ihrer Erziehungsleistung. Eine andere Meinung hat der Deutsche
Caritasverband. Der katholische Wohlfahrtsverband erklärte wörtlich: „Ein Betreuungsgeld,
das nur bezahlt wird, wenn auf öffentliche Kinderbetreuung verzichtet wird, ist ungerecht
und unterstützt die Wahlfreiheit von Eltern nicht.“
Der ehemalige CDU-Arbeitsminister
Norbert Blüm kritisiert die ganze Betreuungsgelddebatte. In der „Frankfurter Allgemeine
Zeitung“ warnte er vor dem Verlust der Kindheit durch übertriebene Fremdbetreuung.
Im Gespräch mit dem Kölner Domradio sagte er:
„Ich mache das ganz handfest:
Die Kinder in Fremdbetreuung haben zu wenig Zeit für Mama, Papa, Geschwister oder
Freunde, weil das ganze Leben von Schul und Schulbank dominiert ist. Das meine ich
nicht nur abstrakt. Viele Kinder haben eine Schulwochenzeit, die bei weitem die Arbeitszeit
des Vater übertrifft. Früher waren für uns die Ferien die Zeit der Abenteuer, auf
die wir uns gefreut haben. Und es gibt keine Lücken mehr. Nun wird auch noch der freie
Raum erobert, wenn das geht, sogar schon kurz nach der Geburt.“
Für die
Deutsche Liga für das Kind sieht das anders aus. Geschäftsführer Jörg Maywald erläutert
im Gespräch mit Radio Vatikan, weshalb sich sein Netzwerk gegen das Betreuungsgeld
ausspricht.
„Es gibt ein ganz grundsätzliches Argument und zwar die Frage,
ob es überhaupt sinnvoll ist, dass der Staat die Betreuung eines Kindes durch die
eigenen Eltern finanziert. Wir gehen davon aus – das entspricht im Übrigen auch dem
christlichen Menschenbild – dass es eine Freude und Privileg ist, Eltern zu werden
und für ein Kind Sorge zu tragen. Das nennt man ja auch Elternrecht oder auch Elternpflicht.
Die Frage ist dann, ob es dem Staat zukommt, die Betreuung durch die eigenen Eltern
überhaupt zu finanzieren. Wir sind hier anderer Auffassung. Wir meinen, dass die Betreuung
an sich eine üblicherweise gern übernommene Verpflichtung ist, die nicht durch den
Staat finanziert werden braucht und kann. Das würde ja immense Summen verschlingen,
wenn man die Tätigkeit der Eltern in Form von Betreuung finanzieren würde.“
Norbert
Blüm fügt an, dass die Eltern aus Expertensicht oft als Dilettanten betrachtet werden.
„Und
deshalb wird gesagt, dass wir für alles und jede Frage professionelle Erzieher brauchen.
Das finde ich eben als Verlust der Kindheit. Ich selber habe mehr auf der Strasse
gelernt, von Freunden und Kumpanen, als ich je aus Büchern gelernt habe. Ich glaube,
es ist eine völlige Überschätzung des pädagogischen Schulbetriebs.“
Spielen,
Freiheit und die Welt erobern gehört zur Kindheit dazu. Diese Meinung teilt auch Maywald
von der Deutschen Liga für das Kind, bei dem Verbände und Organisationen aus dem Bereich
der frühen Kindheit dabei sind.
„Wir wissen zunehmend, wie wichtig diese
ersten Lebensjahre für Kinder sind. Es gab ja früher noch volkstümliche Vorstellungen,
die vom „dummen ersten Viertel Jahr“ sprachen. Die Kinder würden da noch nicht so
richtig alles mitkriegen. Wir wissen aber, dass dies sowohl wissenschaftlich als auch
ethisch sehr fragwürdig ist. Gerade das christliche Menschenbild geht davon aus, dass
Kinder von Beginn an vollwertige Menschen sind. Auch von der wissenschaftlichen Seite
gesehen, wissen wir, dass die ersten Jahre sehr prägend für Kinder sind. Auch die
Eltern spielen da eine zentrale Rolle. Sie sind in erster Linie die wichtigsten Figuren.
Das gilt im Übrigen auch dann, wenn ein Kind eine Krippeneinrichtung besucht. Auch
dann bleiben die Eltern die wichtigsten Personen für das Kind.“
Die Gegner
des Betreuungsgelds bezeichnen diese Leistung auch als „Herdprämie“, weil sie falsche
Anreize schaffe. Sie befürchten, dass vor allem Kinder aus sozial schwachen Familien
von der frühkindlichen Bildung in den Kitas ferngehalten werden. Maywald:
„Wir
wissen – und es ist keine Spekulation – dass an den Orten, wie beispielsweise Skandinavien,
wo das Betreuungsgeld bereits eingeführt wurde, insbesondere die Kinder keine Einrichtung
besuchen, deren Eltern finanziell knapp sind oder deren Eltern Migranten sind. Das
bedeutet aber wiederum, dass gerade die Kinder, die am meisten von diesen Einrichtungen
profitieren könnten, zusätzlich benachteiligt werden würden. Man muss zusätzlich sagen,
dass in den vergangenen Jahren enorme Wandlungen stattgefunden haben. Heutzutage gehen
nicht diejenigen Kinder zu Einrichtungen für Tagebetreuung, deren Eltern irgendwie
darauf angewiesen sind, weil sie beispielsweise im Supermarkt usw. arbeiten, sondern
vielmehr handelt sich um Kinder wohlhabender und bildungshungriger Eltern. Die haben
gewisse Bildungsvorteile und das macht uns auch skeptisch gegenüber dem Betreuungsgeld.“
Die
Familie sei aber zu einer Garage verkommen, wo man nur noch morgens und abends rein
fährt, so Norbert Blüm.
„Erziehung besteht aus meiner Sicht nicht nur aus
Wissensvermittlung. Da gibt es eine völlige Überschätzung des Wissens. Das ist zwar
in der modernen Welt notwendig, aber ich unterstütze diejenigen, die Gleichstellung
von Mann und Frau bei der Arbeit. Aber die Mütter, die Zuhause bleiben,werden ja wie
Trottel behandelt. Ich bin nicht für das alte Patriachalsystem, wo die Mutter
Zuhause bleibt und der Vater arbeiten geht. Da muss man vorsichtig sein. Es geht ja
bei dieser Debatte nicht um Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie, es geht vor allen
Dingen ums Kind.“
Nach dem derzeit vorliegenden Gesetzentwurf kommt das
Betreuungsgeld zum 1. Januar 2013. Beantragen können es Eltern von Kindern im zweiten
Lebensjahr. Sie erhalten zunächst 100 Euro monatlich. Ab 2014 soll der Zuschuss auch
für Kinder im dritten Lebensjahr greifen. Dann wird er für alle auf 150 Euro monatlich
angehoben.