2012-06-05 16:24:48

Das Verfahren gegen den Kammerdiener: Der Vatikan-Richter erklärt


RealAudioMP3 Der inhaftierte päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele könnte nicht nur wegen schweren Diebstahls, sondern möglicherweise auch wegen anderer Delikte angeklagt werden. Diese – allerdings ausdrücklich hypothetische – Perspektive umriss der Richter am Tribunal des Vatikanstaates, Paolo Papanti Pelletier, an diesem Dienstag vor Journalisten. Gudrun Sailer fasst die wichtigsten Inhalte der zweistündigen Pressekonferenz zusammen.

„Die Anklage lautet derzeit auf schweren Diebstahl. Das schließt aber nicht aus, dass im Lauf der Ermittlungen Anzeichen auftauchen, die den Ermittlungsrichter dazu veranlassen, andere Anklagepunkte zu formulieren. Sollten beispielsweise – ich betone, das ist hypothetisch – mehrere Personen in diese Ermittlungen involviert sein, mindestens fünf, dann könnte man an den Straftatbestand „kriminelle Vereinigung“ denken. Vorstellbar wären auch die Anklagepunkte Hehlerei, also das bewusste Kaufen illegal erworbenen Objekten, oder die Enthüllung politischer Geheimnisse. Das sind Tatbestände, die unsere Gesetzbücher vorsehen.“

Seit diesem Dienstagmorgen läuft ein formales Untersuchungsverfahren gegen Paolo Gabriele, der über seine Anwälte seinen Willen zur Zusammenarbeit mit der Vatikan-Justiz bekundet hat. Die Vatikan-Gendarmerie untersucht parallel dazu immer noch die in der Wohnung des Kammerdieners sichergestellten gestohlenen Dokumente, unter anderem auch darauf, ob sie echt sind, sagte der Richter. Nach vatikanischem Recht haben auch die Anwälte des Angeklagten die Möglichkeit, private Ermittlungen durchzuführen, um ihren Mandanten zu entlasten. Papanti Pelletier:

„Es steht dem nichts entgegen, dass die Verteidiger eigene Ermittlungen durchführen und sie dem vatikanischen Ermittlungsrichter präsentieren, der sie nicht ignorieren kann. Ich möchte betonen: Der Ermittlungsrichter ist ein wirklicher Richter, er ist nicht die Staatsanwaltschaft. Er hat die Pflicht, alle Instrumente zur Wahrheitsfindung zu nutzen. Wenn also die Verteidiger zusammenarbeiten und eigene private Ermittlungen durchführen, muss der Richter ihre Ergebnisse berücksichtigen.“

Die Vatileaks-Affäre wird vornehmlich über italienische Medien gespielt, die ebendiese vertraulichen Dokumente aus dem Vatikan veröffentlichen. Deshalb stellt sich den Beobachtern die Frage, inwieweit die Ermittlungen auch nach Italien übergreifen müssten. Vatikansprecher Pater Federico Lombardi zufolge haben die vatikanischen Behörden bisher noch kein Ansuchen auf Rechtshilfe in Italien gestellt. In welchen Fall wäre das sinnvoll? Papanti Pelletier:

„Die Vatikan-Gendarmerie hat ausschließlich im Vatikanstaat polizeiliche Aufgaben. Sie kann also außerhalb des Vatikans keinerlei Ermittlungen führen. Sollte es nötig sein, dort Dokumente sicherzustellen, Zeugen zu hören oder Beschuldigte einzuvernehmen, so braucht es ein Ersuchen um Rechtshilfe; das läuft auf dem diplomatischen Weg. Formal wäre es das vatikanische Staatssekretariat, das ein solches Ansuchen an das italienische Außenministerium richten müsste.“

Wenn es nach dem Untersuchungsverfahren zur Aufnahme eines Hauptverfahrens kommt, wäre dieses öffentlich und könnte demzufolge auch von Journalisten verfolgt werden. Ob und wann es dazu kommt, ist freilich offen, denn das Untersuchungsverfahren unterliegt der Geheimhaltung, „zum Schutz des Angeklagten“, wie der Richter klarstellte.

„Eine festgelegt Dauer des Ermittlungsverfahrens gibt es nicht. Es gibt aber eine Höchstdauer der Untersuchungshaft – sie liegt für schweren Diebstahl bei höchstens 50 Tage, die eventuell um weitere 50 Tage verlängert werden können, wenn die Ermittlungen besonders komplex sind. Sollte es zur Aufnahme eines Hauptverfahrens kommen, dann beginnt eine neue Höchstdauer für die Untersuchungshaft, das sind höchstens drei Jahre, eine Frist, die niemals erreicht wird, weil das definitive Urteil sicher früher fällt.“

Jedenfalls sei die vatikanische Gerichtsbarkeit sehr viel fixer als die italienische, sagte der Richter, der selbst - wie übrigens auch die beiden anderen Richter des Vatikantribunals - Italiener und Laie ist und an der römischen Universität Tor Vergata Zivilrecht lehrt. Er habe in seinen sechs Jahren am Vatikan Verfahren erlebt, die bis in die zweite Instanz gingen, keines davon habe länger als zweieinhalb Jahre gedauert.

Einen Unterschied zwischen Beschuldigten im Laienstand und beschuldigten Klerikern machen die vatikanischen Gesetze nicht, erklärte der Richter die Besonderheiten der Rechtslage im Papststaat. Die einzige Ausnahme betreffe Kardinäle.

„Die Kardinäle sind nämlich nicht der Gerichtsbarkeit unseres Tribunals erster und zweiter Instanz unterworfen, sondern einzig des Höchstgerichts des Vatikanstaates. Nun sind die Richter des vatikanischen Höchstgerichts drei Kardinäle, und das ist der Grund, warum Kardinäle nur vor dem Höchstgericht verantwortlich sind: weil man möchte, dass sie ausschließlich dem Urteil von Gleichrangigen unterworfen sind - und dann natürlich dem Urteil des Heiligen Vaters.“

Im übrigen könnte der Papst als Souverän des Vatikanstaates theoretisch jederzeit in das Verfahren gegen seinen Kammerdiener eingreifen und etwa den Angeklagten begnadigen, sagte der Richter. „Vorgesehen“ sei eine solches Eingreifen des Papstes in ein laufendes Verfahren allerdings nicht, betonte Paolo Papanti Pelletier.

Für schweren Diebstahl ist im Vatikan eine Haftstrafe von bis zu acht Jahren vorgesehen, die Strafen für die anderen möglichen Delikte liegen darunter. So wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet, die Enthüllung politischer Geheimnisse oder solcher, die die Sicherheit des Staates gefährden, mit maximal drei Jahren. Hehlerei bringt maximal vier Jahre Haft, die Beleidigung des Souveräns - also des Papstes - bis zu sechs Jahre. Kommt es zu einer Verurteilung in mehreren Punkten, summieren sich die Strafen, allerdings nicht bis zur jeweils vollen Höhe.

Paolo Gabriele sitzt seit zwei Wochen in einer von vier Sicherheitszellen des Vatikanstaates. Es handelt sich um Zimmer mit Bad, Fenster und Kreuz, aber ohne Fernseher. Theoretisch schließen die Vatikangesetze nicht aus, dass Beschuldigte ihre Untersuchungshaft im Hausarrest verbringen, sagte der Richter. Sollte der Angeklagte verurteilt werden, müsste er seine Haftstrafe in einem italienischen Gefängnis absitzen. Die Aufgabe Gabrieles als päpstlicher Kammerdiener hat bis auf weiteres ein anderer Bediensteter übernommen, Sandro Mariotti. Er begleitete Papst Benedikt auch auf seiner Reise nach Mailand.

(rv 05.06.2012 gs)








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