Das Verfahren gegen den Kammerdiener: Der Vatikan-Richter erklärt
Der inhaftierte päpstliche
Kammerdiener Paolo Gabriele könnte nicht nur wegen schweren Diebstahls, sondern möglicherweise
auch wegen anderer Delikte angeklagt werden. Diese – allerdings ausdrücklich hypothetische
– Perspektive umriss der Richter am Tribunal des Vatikanstaates, Paolo Papanti Pelletier,
an diesem Dienstag vor Journalisten. Gudrun Sailer fasst die wichtigsten Inhalte der
zweistündigen Pressekonferenz zusammen.
„Die Anklage lautet derzeit auf
schweren Diebstahl. Das schließt aber nicht aus, dass im Lauf der Ermittlungen Anzeichen
auftauchen, die den Ermittlungsrichter dazu veranlassen, andere Anklagepunkte zu formulieren.
Sollten beispielsweise – ich betone, das ist hypothetisch – mehrere Personen in diese
Ermittlungen involviert sein, mindestens fünf, dann könnte man an den Straftatbestand
„kriminelle Vereinigung“ denken. Vorstellbar wären auch die Anklagepunkte Hehlerei,
also das bewusste Kaufen illegal erworbenen Objekten, oder die Enthüllung politischer
Geheimnisse. Das sind Tatbestände, die unsere Gesetzbücher vorsehen.“
Seit
diesem Dienstagmorgen läuft ein formales Untersuchungsverfahren gegen Paolo Gabriele,
der über seine Anwälte seinen Willen zur Zusammenarbeit mit der Vatikan-Justiz bekundet
hat. Die Vatikan-Gendarmerie untersucht parallel dazu immer noch die in der Wohnung
des Kammerdieners sichergestellten gestohlenen Dokumente, unter anderem auch darauf,
ob sie echt sind, sagte der Richter. Nach vatikanischem Recht haben auch die Anwälte
des Angeklagten die Möglichkeit, private Ermittlungen durchzuführen, um ihren Mandanten
zu entlasten. Papanti Pelletier:
„Es steht dem nichts entgegen, dass die
Verteidiger eigene Ermittlungen durchführen und sie dem vatikanischen Ermittlungsrichter
präsentieren, der sie nicht ignorieren kann. Ich möchte betonen: Der Ermittlungsrichter
ist ein wirklicher Richter, er ist nicht die Staatsanwaltschaft. Er hat die Pflicht,
alle Instrumente zur Wahrheitsfindung zu nutzen. Wenn also die Verteidiger zusammenarbeiten
und eigene private Ermittlungen durchführen, muss der Richter ihre Ergebnisse berücksichtigen.“
Die Vatileaks-Affäre wird vornehmlich über italienische Medien gespielt,
die ebendiese vertraulichen Dokumente aus dem Vatikan veröffentlichen. Deshalb stellt
sich den Beobachtern die Frage, inwieweit die Ermittlungen auch nach Italien übergreifen
müssten. Vatikansprecher Pater Federico Lombardi zufolge haben die vatikanischen Behörden
bisher noch kein Ansuchen auf Rechtshilfe in Italien gestellt. In welchen Fall wäre
das sinnvoll? Papanti Pelletier:
„Die Vatikan-Gendarmerie hat ausschließlich
im Vatikanstaat polizeiliche Aufgaben. Sie kann also außerhalb des Vatikans keinerlei
Ermittlungen führen. Sollte es nötig sein, dort Dokumente sicherzustellen, Zeugen
zu hören oder Beschuldigte einzuvernehmen, so braucht es ein Ersuchen um Rechtshilfe;
das läuft auf dem diplomatischen Weg. Formal wäre es das vatikanische Staatssekretariat,
das ein solches Ansuchen an das italienische Außenministerium richten müsste.“
Wenn
es nach dem Untersuchungsverfahren zur Aufnahme eines Hauptverfahrens kommt, wäre
dieses öffentlich und könnte demzufolge auch von Journalisten verfolgt werden. Ob
und wann es dazu kommt, ist freilich offen, denn das Untersuchungsverfahren unterliegt
der Geheimhaltung, „zum Schutz des Angeklagten“, wie der Richter klarstellte.
„Eine
festgelegt Dauer des Ermittlungsverfahrens gibt es nicht. Es gibt aber eine Höchstdauer
der Untersuchungshaft – sie liegt für schweren Diebstahl bei höchstens 50 Tage, die
eventuell um weitere 50 Tage verlängert werden können, wenn die Ermittlungen besonders
komplex sind. Sollte es zur Aufnahme eines Hauptverfahrens kommen, dann beginnt eine
neue Höchstdauer für die Untersuchungshaft, das sind höchstens drei Jahre, eine Frist,
die niemals erreicht wird, weil das definitive Urteil sicher früher fällt.“
Jedenfalls
sei die vatikanische Gerichtsbarkeit sehr viel fixer als die italienische, sagte der
Richter, der selbst - wie übrigens auch die beiden anderen Richter des Vatikantribunals
- Italiener und Laie ist und an der römischen Universität Tor Vergata Zivilrecht lehrt.
Er habe in seinen sechs Jahren am Vatikan Verfahren erlebt, die bis in die zweite
Instanz gingen, keines davon habe länger als zweieinhalb Jahre gedauert.
Einen
Unterschied zwischen Beschuldigten im Laienstand und beschuldigten Klerikern machen
die vatikanischen Gesetze nicht, erklärte der Richter die Besonderheiten der Rechtslage
im Papststaat. Die einzige Ausnahme betreffe Kardinäle.
„Die Kardinäle
sind nämlich nicht der Gerichtsbarkeit unseres Tribunals erster und zweiter Instanz
unterworfen, sondern einzig des Höchstgerichts des Vatikanstaates. Nun sind die Richter
des vatikanischen Höchstgerichts drei Kardinäle, und das ist der Grund, warum Kardinäle
nur vor dem Höchstgericht verantwortlich sind: weil man möchte, dass sie ausschließlich
dem Urteil von Gleichrangigen unterworfen sind - und dann natürlich dem Urteil des
Heiligen Vaters.“
Im übrigen könnte der Papst als Souverän des Vatikanstaates
theoretisch jederzeit in das Verfahren gegen seinen Kammerdiener eingreifen und etwa
den Angeklagten begnadigen, sagte der Richter. „Vorgesehen“ sei eine solches Eingreifen
des Papstes in ein laufendes Verfahren allerdings nicht, betonte Paolo Papanti Pelletier.
Für schweren Diebstahl ist im Vatikan eine Haftstrafe von bis zu acht Jahren
vorgesehen, die Strafen für die anderen möglichen Delikte liegen darunter. So wird
die Bildung einer kriminellen Vereinigung mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet, die
Enthüllung politischer Geheimnisse oder solcher, die die Sicherheit des Staates gefährden,
mit maximal drei Jahren. Hehlerei bringt maximal vier Jahre Haft, die Beleidigung
des Souveräns - also des Papstes - bis zu sechs Jahre. Kommt es zu einer Verurteilung
in mehreren Punkten, summieren sich die Strafen, allerdings nicht bis zur jeweils
vollen Höhe.
Paolo Gabriele sitzt seit zwei Wochen in einer von vier Sicherheitszellen
des Vatikanstaates. Es handelt sich um Zimmer mit Bad, Fenster und Kreuz, aber ohne
Fernseher. Theoretisch schließen die Vatikangesetze nicht aus, dass Beschuldigte ihre
Untersuchungshaft im Hausarrest verbringen, sagte der Richter. Sollte der Angeklagte
verurteilt werden, müsste er seine Haftstrafe in einem italienischen Gefängnis absitzen.
Die Aufgabe Gabrieles als päpstlicher Kammerdiener hat bis auf weiteres ein anderer
Bediensteter übernommen, Sandro Mariotti. Er begleitete Papst Benedikt auch auf seiner
Reise nach Mailand.