Kardinal Tettamanzi: „Arbeitslosigkeit amputiert Familien“
Was heißt in Zeiten
der Krise genau, Familien zu stärken? Darüber tauschen sich in Mailand auf einem Internationalen
Kongress im Rahmen des Weltfamilientreffens Kirchenleute, Theologen und Laien aus.
Dabei wird auch der eine oder andere Appell an die Politik gerichtet, leiden doch
in Italien derzeit gerade junge Leute und Familien an den Sparmaßnahmen und der Wirtschaftskrise.
Aussichtslos erscheint die Lage der Menschen, die gerade in dieser Zeit
ihren Job verlieren: Die Arbeitslosigkeit in Italien ist so hoch wie schon seit zehn
Jahren nicht mehr; besorgniserregend ist die Jugendarbeitslosigkeit mit über 30 Prozent,
sie hat sich seit Beginn der Krise im Jahr 2008 verdoppelt. Die Bedeutung der Arbeit
für familiäres und gesellschaftliches Leben hat Kardinal Dionigi Tettamanzi, der emeritierte
Erzbischof von Mailand, jetzt auf dem Familienkongress unterstrichen:
„Die
Frage ist nicht nur eine wirtschaftliche, denn Arbeit heißt aktives Einfügen in die
Gesellschaft und verantwortliches Teilnehmen am Aufbau der Stadt. Wenn die Familie
davon ausgeschlossen ist, ist sie wie amputiert, an den Rand gedrängt, verunstaltet
durch eine Verletzung, die sie dazu bringen kann, sich zu schämen, zu verstecken,
schlecht ausgeleuchtete Wege vorzuziehen und die Räume zu vernachlässigen, in denen
sich Menschen begegnen, Beziehungen knüpfen und ein gesellschaftliches Leben führen.“
„Markt
muss dem Menschen dienen, nicht umgekehrt“
Der Arbeitsmarkt darf arbeitende
Menschen nicht dazu zwingen, „die tiefsten Werte des Familienlebens aufgrund einer
Arbeit zu opfern, die ihnen alles abverlangt“, so der Kardinal wörtlich. Die Regeln
des Marktes dürften hier nicht wild um sich greifen, sie müssten eingedämmt werden,
damit der Markt dem Menschen diene und nicht umgekehrt. Der Geistliche appelliert
hier explizit an die Politik:
„Wer in der Politik und in den Gewerkschaften
organisiert ist, darf nicht nur der Logik wirtschaftlicher Effizienz folgen, sondern
muss auch die ,menschliche Effizienz‘ im Blick behalten, wie zum Beispiel die Pflege
zwischenmenschlicher Beziehungen in der Familie und in anderen sozialen Gefügen.“
Ausführlich
ging der Kardinal auf das Motto des Familientreffens ein. Es lautet „Familie: Arbeit
und Fest“. Der Papst hatte in seinem Schreiben zum VII. Weltfamilientreffen kritisiert,
dass die Arbeitswelt der heutigen Gesellschaft zu sehr an Wettbewerb und Profit orientiert
sei und dazu beitrage, „die Familie und Gemeinschaft aufzulösen“. Die Anforderungen
der Arbeit und ihre Zeiten müssten mit denen der Familie zu vereinbaren sein, forderte
der Papst, der sich in diesem Kontext auch für energischen Sonntagsschutz aussprach.
Kardinal Tettamanzi sieht Freizeit und Festtage zusätzlich als Gelegenheit zur Überwindung
sozialer Unterschiede:
„Die Arbeitszeit teilt und unterscheidet zwangsläufig.
Wenn man dagegen ausruht und feiert, werden die sozialen Ungleichheiten abgemildert:
man lernt sich kennen, teilt, kommuniziert. Wir brauchen – heute umso mehr – eine
Zeit des Festes, die von der ganzen Familie erlebt werden kann, denn diese Zeit ist
wichtig und unter sozialen und erzieherischen Gesichtspunkten unerlässlich!“