Österreich/Frankreich: Katholisches Lob für Hanekes Siegerfilm
Auch katholische Filmkritiker loben Michael Hanekes Film „Amour", der bei den Filmfestspielen
in Cannes am Sonntagabend die „Goldenen Palme" errang. Im Blog des deutschen kirchlichen
Magazins „Film-Dienst", der das Festival an der Croisette begleitet, war die Rede
von einem „tief berührenden Film über die Liebe und die Vergänglichkeit der menschlichen
Natur". Neben der „Goldenen Palme" für Haneke hätte auch an Preisen für die Hauptdarsteller
Riva und Trintignant „kein Weg vorbei führen dürfen", so die Filmexperten weiters.
Das Cannes-Reglement verhindert jedoch Mehrfach-Auszeichnungen für einen Film. Jury-Vorsitzender
Nanni Moretti berichtete denn auch bei einer Pressekonferenz, dass einige Mitglieder
der Jury gerne mehrere Preise an „Amour" vergeben hätten.
Im Zentrum der Handlung
steht ein alt gewordenes Ehepaar, das sich in berührender Weise in Liebe zugetan ist
- erst recht nach einem Schlaganfall der Frau Anne (Emmanuelle Riva) und deren Angewiesensein
auf ihren Gatten Georges (Jean-Louis Trintignant). Mit der Auszeichnung für „Amour"
erhielt Regisseur Haneke als erst siebenter Filmemacher ein weiteres Mal die „Goldene
Palme". 2009 war er für „Das weiße Band" geehrt worden.
Als Grundfrage seines
Films „Amour" bezeichnet Haneke im Gespräch mit der katholischen österreichischen
Wochenzeitung „Die Furche", „wie man mit dem Leiden des Menschen, den man liebt, umgeht".
Das könne „eine bittere Angelegenheit" sein. Der Anstoß zum Film sei eine Begebenheit
gewesen, „die in meiner Familie stattfand und mich berührte". Dementsprechend habe
er als Drehort ein Appartement in Paris gewählt, das jenem seiner Eltern nachempfunden
war, allerdings ohne dass er deren Geschichte erzähle, wie er hinzufügte. Herausgekommen
sei ein Film mit der klassischen Einheit von Ort, Zeit und Handlung.
Haneke
hat die letzten gemeinsamen Wochen des Ehepaares Anne und Georges „mit großer Schwere
inszeniert", heißt es in der „Furche". Die Handlung ausschließlich in den eigenen
vier Wänden des Paares anzusiedeln entspreche der Lebensrealität vieler alter Menschen.
Ungeschönt werde gezeigt, dass schon das Überstreifen eines Pullovers oder der Gang
zur Toilette voller Beschwerlichkeiten sein könne. Der kürzlich 70 gewordene Haneke
„findet die für diesen Lebensabschnitt richtige filmische Form: Sie ist beklemmend
und ohne große Perspektiven", so „Die Furche"; die Zukunft, das sei der nahende Tod.
Die Tochter der beiden Alten - dargestellt von Isabelle Huppert - sitzt am Schluss
ratlos und allein in einer erkalteten Wohnung.
„Meine Filme sind offen für
Interpretation, auch für religiöse", hatte der Regisseur einmal bei einem Gesprächsabend
unter dem Titel „Im Kino beten lernen?" im Wiener Otto-Mauer-Zentrum gesagt. Haneke
vertrat den Standpunkt, dass ein Film erst im Kopf des Zuschauers entstehe, die Bilder
des Regisseurs seien lediglich die „Schanze", die zum „Absprung" in Imagination und
Interpretation diene. Kunst, die diesen Namen verdient, sei deutungsoffen und stülpe
dem Publikum keine Botschaft über. Haneke sieht zwar Berührungspunkte zwischen Kunst
und Religion, da der Mensch „Sehnsucht nach Transzendenz" habe und sich existenziellen
Fragen nach dem Woher oder Wohin des Lebens nicht entziehen könne. Doch im Unterschied
zu Glaubenstraditionen wolle Kunst „keine Antworten vorgeben". Ihr wichtigstes Anliegen
müsse es vielmehr sein, nach der adäquaten Form für ihre Inhalte zu suchen und im
Speziellen das Verallgemeinerbare darzustellen.