Auch an diesem Donnerstag sind noch die Wahllokale offen bei der ersten freien Präsidentenwahl,
die es in der ägyptischen Geschichte jemals gegeben hat. Über fünfzig Millionen Ägypter
können ihre Stimme für einen von zwölf Kandidaten abgeben; die Stichwahl ist für Juni
angesetzt. Ministerpräsident Kamal el-Ganzuri spricht jetzt schon von einer „beispiellosen
Wahlbeteiligung“. Am Mittwoch mussten wegen des großen Andrangs viele Stimmlokale
länger als vorgesehen geöffnet bleiben. Als Favoriten unter den säkularen Bewerbern
gelten der ehemalige ägyptische Außenminister Amre Mussa und Ex-Ministerpräsident
Ahmed Schafik. Ebenfalls gute Chancen werden dem von den Salafisten unterstützten
Abdel Moneim Abdul Futuh sowie dem Muslimbruder Mohammed Mursi eingeräumt. Nach letzten
Umfragen wird jedoch kein Kandidat auf Anhieb die absolute Mehrheit erreichen.
Der
koptisch-katholische Weihbischof von Alexandria, Botros Fahim Awad Hanna, spricht
von einem „historischen Moment“. „In früheren Zeiten waren Präsidentenwahlen eine
Formalität, sie wurden von außen gesteuert“, so der Bischof zur Nachrichtenagentur
der italienischen Bischofskonferenz. „Diesmal kann das Volk wirklich im Geheimen seine
Wahl treffen. Ich glaube, das ist eine greifbare Frucht der Revolution vom Tahrir-Platz.“
Allerdings seien die Ägypter „noch nicht an die Demokratie gewöhnt, darum sind die
Leute weiterhin besorgt“. Vor allem bei den Angehörigen von Minderheiten sei „Angst
spürbar, dass die Islamisten alle Machthebel in Ägypten besetzen könnten“. Er hoffe
auch sehr, „dass es keine Probleme beim Übergang von der Macht auf den Präsidenten
geben wird“. Allerdings wüssten die Militärs sehr genau, „dass eine eventuelle Machtübernahme
der Muslimbrüder sie – die Militärs – an den Rand drängen würde“. Noch komplizierter
werde die Lage Ägyptens dadurch, dass es noch keine endgültige Verfassung gebe. Vom
neuen Präsidenten werde viel abhängen, so Bischof Hanna: „Aber am meisten interessiert
uns eine künftige Verfassung, in der Freiheit, Menschenrechte und Gleichheit aller
Bürger garantiert werden müssten.“