Papst Benedikt XVI.
ermuntert dazu, zum 50. Jubiläum des Zweiten Vatikanischen Konzils dessen Texte wieder
zu lesen. Das sagte er an diesem Donnerstag der Italienischen Bischofskonferenz. Wenn
man die Konzilsdokumente durch die Brille „der Kontinuität und der Reform“ lese und
nicht durch die des „Bruchs“, dann könne die Kirche „eine Antwort auf die großen sozialen
und kulturellen Umwälzungen unserer Zeit geben“. Diese Umwälzungen hätten allerdings
„Folgen, die auch im religiösen Bereich sichtbar sind“, so der Papst, der das Konzil
als Berater selbst miterlebt hat.
„Der Säkularismus wird zu einem Merkmal
vor allem der Gesellschaften, die eine alte christliche Tradition haben. Dadurch wird
das kulturelle Gewebe zerstört, das bis vor kurzem ein einigender Faktor war und die
ganze menschliche Existenz zu umspannen vermochte. Auch ein fruchtbarer Boden kann
irgendwann mal zur unwirtlichen Wüste werden, wo der gute Same erstickt, zertreten,
verloren wird! Das zeigt sich am Rückgang in der religiösen Praxis, vor allem was
das Beichtsakrament betrifft. Viele Getaufte kennen die wesentlichen Glaubensinhalte
nicht mehr oder glauben, ohne kirchliche Vermittlung auszukommen. Manche lassen das
Reich Gottes auf ein paar große Werte zusammenschnurren, die zwar etwas mit dem Evangelium
zu tun haben, aber nicht den zentralen Kern des christlichen Glaubens betreffen.“
Doch
das Reich Gottes „ist eine Gabe, die uns übersteigt“, so der Papst. Es sei, so zitierte
er seinen Vorgänger, den Konzilspapst Johannes XXIII., „kein Konzept, kein Lehrgebäude,
sondern vor allem eine Person, nämlich Jesus, das Bild des unsichtbaren Gottes“.
„Leider
bleibt Gott aus dem Blickfeld vieler Menschen ausgeschlossen, und auch wenn das Reden
über Gott nicht auf Gleichgültigkeit oder Verweigerung stößt, will man es doch in
den Bereich des Subjektiven abdrängen, als ginge es da nur um etwas Intimes, Privates,
das nichts mit dem öffentlichen Bewusstsein zu tun hätte. Von diesem Verlust, von
dieser mangelnden Öffnung zum Transzendenten geht letztlich die Krise aus, die Europa
schüttelt: Es ist eine spirituelle und moralische Krise. Der Mensch tut so, als hätte
er eine Identität, die er sich ganz alleine basteln könnte.“
Um in einer
solchen Lage das Reich Gottes zu verkünden, reichen nach Ansicht des Papstes „neue
Evangelisierungsmethoden oder Pastoralaktionen“ nicht aus. Das Konzil zeige, dass
man „neu von Gott ausgehen“ müsse. Nicht zufällig sei die erste Konstitution, die
das Konzil beschloss, die über die Liturgie gewesen: Der Kult, so Benedikt, „orientiert
den Menschen zu Gott hin und gibt Gott seinen Primat wieder“.
„In einer
Zeit, in der Gott für viele der große Unbekannte und Jesus einfach eine große Persönlichkeit
der Vergangenheit geworden ist, wird uns nur ein missionarischer Aufbruch gelingen,
wenn wir die Qualität unseres Glaubens und unseres Betens erneuern. Wir werden nicht
imstande sein, adäquate Antworten zu geben, wenn wir nicht neu offen werden für die
Gnade. Wir werden die Menschen nicht fürs Evangelium zu gewinnen wissen, wenn wir
nicht zuerst selbst zu einer tiefen Gotteserfahrung hin umkehren!“
Und
genau diesem Ziel, so Benedikt, diene das von ihm ausgerufene „Jahr des Glaubens“.
Es startet am 11. Oktober, zur Erinnerung an die Konzilseröffnung vor einem halben
Jahrhundert. Er hoffe, dass die Katholiken sich die Fähigkeit neu aneigneten, „die
Männer und Frauen unserer Zeit zu einer Beziehung mit Gott zu führen“. Ziel sei auch
bei den Katholiken selbst ein „erwachsener, reifer Glaube“, der zu einem „Verstandes-
und Handelnskriterium wird“ und „die ganze Existenz umfasst“.