Kardinal Maradiaga: „Arm sein heißt nicht, Würde zu verlieren“
Der Präsident von
Caritas Internationalis, Kardinal Oscar Rodríguez Maradiaga, hat bei verschiedenen
Gelegenheiten auf die Situation von Frauen, die zur Migration gezwungen sind, hingewiesen.
Oftmals finden sich gerade die Frauen im fremden Land in einer Zwangslage, aus der
sie sich schwerlich befreien können und sind dem Missbrauch durch skrupellose Menschen
schutzlos ausgeliefert. Kardinal Maradiaga äußerte sich zum Thema vor dem Mikrofon
von Radio Vatikan:
„Arm zu sein heißt ja nicht, seine Würde zu verlieren.
Oftmals werden die Armen ausgenützt, aber sie dürfen diesen Horizont nicht aus dem
Blick verlieren. Sie bleiben weiterhin Personen mit ihrer Würde, und man darf sie
nicht missbrauchen. Vor allem die Frauen werden oft für die Prostitution missbraucht,
man täuscht sie und verspricht ihnen eine Arbeit; stattdessen finden sie sich in einer
richtiggehenden Sklaverei wieder, weil sie in unwürdigen Konditionen leben müssen
und sexuellen Missbrauch erleiden.“
In der Familie, so der Kardinal weiter,
treffe es also in der Regel die zentrale Figur der Mutter, was bedeute, dass die Würde
und das Empfinden der gesamten Familie in Mitleidenschaft gezogen werden. Einen wichtigen
Anteil an der gravierenden Situation der Migranten habe aber auch die Wirtschaftskrise,
die die Menschen in den Industriestaaten immer mehr dazu bringe, sich gegen Immigranten
abzukapseln und sie als „Arbeitsplatzräuber“ zu betrachten. Aber:
„Man
muss ja nur bedenken, dass die Jungfrau Maria zusammen mit Jesus Christus und dem
Heiligen Josef Migranten waren! Im christlichen Glauben sind wir uns einig, dass wir
allen Migranten helfen müssen, die unsere Brüder und Schwestern sind, und nicht unsere
Feinde. Das sind keine Menschen, die kommen, um uns unsere Arbeit wegzunehmen, sondern
sie kommen, um Arbeit und Würde zu finden.“
Wie die Hilfe für Migranten
konkret aussehen kann, erfahren wir von Martina Liebsch, die in leitender Position
bei Caritas Internationalis in Rom arbeitet. Am Rande einer Konferenz zur Migration
von Frauen, die an diesem Donnerstag von der amerikanischen Botschaft am Heiligen
Stuhl in Rom organisiert wurde, hat sie Radio Vatikan näheres zum Thema berichtet.
„Caritas
Internationalis mit seinen 164 Mitgliedsorganisationen arbeitet schon lange im Bereich
der Migration und hat in den letzten vier Jahren einen Fokus auf die Frauenmigration
gelegt, weil man festgestellt hat, dass von den 214 Migranten circa die Hälfte Frauen
sind und man darüber eigentlich wenig redet. Vor allem hat sich auf diesem Gebiet
eine leichte Veränderung ergeben: während früher Frauen mit der Familie ausgewandert
oder weitergewandert sind, wandern sie heute oft alleine aus, weil die Bedingungen
in den Herkunftsländern es ihnen unmöglich machen, selber eine Arbeit aufzunehmen.
Andere Fälle sind, dass der Mann aufgrund der Wirtschaftskrise keine Arbeit findet.
Das heißt, Frauen werden Alleinverdiener der Familien.“
Caritas Internationalis
bemüht sich seit einigen Jahren darum, das Phänomen der Frauenmigration zunächst in
der Öffentlichkeit sichtbar zu machen, und dann die eigenen Mitarbeiter, die über
die ganze Welt verstreut sind, zu sensibilisieren. Wert wird dabei auf konkrete Praxisbeispiele
gelegt:
„Es gibt da insbesondere ein Projekt, das es in anderen Caritas-Organisationen
auch gibt, nämliche eine „Beratung vor der Auswanderung“. Wenn Frauen die Absicht
haben, auszuwandern, um irgendwo anders einen Job aufzunehmen, werden sie einerseits
mit Erfahrungen von Leuten, die schon ausgewandert sind, konfrontiert, so dass sie
wissen, welche Risiken möglicherweise auf sie zukommen können. Andererseits kann man
ihnen aber auch kleine Ratschläge geben, wie zum Beispiel sicherzustellen, dass eine
Kopie des Passes zu Hause verbleibt für den Fall, dass eine Frau ihrer Dokumente beraubt
wird, so dass man über das Netzwerk jederzeit darauf zurückgreifen kann. Oder man
gibt ihnen Adressen von Caritasorganisationen, die ja auf der ganzen Welt verstreut
sind, wo sie sich hinwenden können, falls sie im fremden Land in eine Notlage gelangen.
Sie erhalten auch eine Belehrung darüber, was eigentlich würdige Arbeitsbedingungen
und allgemeine internationale Rechte sind.“
Das Phänomen der Arbeitsmigrantinnen,
die unter teils unmenschlichen Bedingungen leben müssen, existiert aber nicht nur
in fernen Ländern Asiens und Arabiens, sondern auch mitten unter uns. Martina Liebsch
erläutert uns an einem konkreten Beispiel die Arbeit ihrer Organisation:
„Es
gibt das Beispiel einer junge Frau aus Albanien, die nach Italien gehandelt wurde
und dann über ein weitverzweigtes Netzwerk von Hilfsorganisationen letztlich nach
England auswandern konnte. Dort konnte sie sich eine neue Identität aufbauen. Diese
Frau arbeitet jetzt mit der englischen Polizei zusammen und das ist ein schönes Beispiel
dafür, wie man die guten und manchmal leider auch schlechten Erfahrungen positiv nutzen
kann. Das heißt, es gibt diese Situation auch hier in Europa, selbst wenn sie sicherlich
nicht so eklatant ist, weil es hier ein großes Netzwerk an Hilfsorganisationen gibt
und die Leute recht aufmerksam sind. Aber man sollte auch nicht meinen, das Phänomen
wäre nicht existent.“
Prävention ist beim Kampf gegen Arbeitssklaverei
und Menschenhandel ein wichtiger Verbündeter, auch auf europäischem Boden:
„Deshalb
versuchen wir mit unserer Arbeit, möglichst viele Menschen zu sensibilisieren, auch
Leute, von denen man vielleicht im ersten Moment denkt, die hätten damit nichts zu
tun. Die Caritas in Rumänien arbeitet zum Beispiel mit jungen Leuten, die möglicherweise
irgendwann in die Situation kommen, Opfer von Menschenhandel zu werden, damit sie
erfahren, was das überhaupt ist und die Zeichen erkennen. Denn wenn man nicht direkt
damit konfrontiert ist und nicht auf gewisse Indikatoren achtet, dann denkt man nicht
so direkt an so etwas. Deshalb: Ja, das Phänomen existiert, aber es muss noch viel
mehr investiert werden in die Umsetzung der ganzen Richtlinien, die wir auf europäischer
Ebene haben, Protokolle und vieles mehr. Es gibt sehr viel Material, und sehr viel
Untersuchungen dazu – wir wissen eigentlich, was zu tun ist, aber wir müssen es umsetzen.“