Türkei: Vikar von Istanbul zur aktuellen Lage der Kirche im Land
Der Apostolische Vikar von Istanbul, Bischof Louis Pelatre, hat sich vorsichtig optimistisch
im Hinblick auf die Situation der katholischen Kirche in der Türkei geäußert. „Es
braucht Geduld, aber es fehlt nicht an positiven Zeichen“. Das betonte Pelatre laut
der Stiftung „Pro Oriente“ in einem Interview mit dem Informationsdienst der in Venedig
ansässigen Stiftung „Oasis“, die sich mit den Beziehungen zwischen Christentum und
Islam beschäftigt. Eines dieser „positiven Zeichen“ sei die Einladung an die katholischen
Bischöfe gewesen, sich am Diskussionsprozess über die neue türkische Verfassung zu
beteiligen. Die Nationalversammlung in Ankara hatte sich zunächst nur an die Führungspersönlichkeiten
der griechisch-orthodoxen, der armenisch-apostolischen und der syrisch-orthodoxen
Kirche gewandt, dann intervenierte der türkische Vatikanbotschafter und auch die katholischen
Bischöfe wurden zu Konsultationen eingeladen.
Als zentrales Problem der katholischen
Kirche in der Türkei bezeichnete Bischof Pelatre die fehlende juridische Anerkennung:
„Wir existieren offiziell nicht, aber wir sind da“, sagte der Apostolische Vikar von
Istanbul. Man müsse die Situation mit der in Frankreich vergleichen, wo die katholische
Kirche seit den Trennungsgesetzen von 1905 ebenfalls nicht als solche gesetzlich anerkannt
ist. In Frankreich seien nach 1905 gesetzlich anerkannte diözesane Vereinigungen –
„associations cultuelles“ – gegründet worden, um im Hinblick auf juridische Akte wie
Käufe, Verkäufe, Vermietungen usw. handlungsfähig zu bleiben. Diesen Weg werde wahrscheinlich
auch die katholische Kirche in der Türkei gehen müssen.
Ebenso schwierig sei
die Frage der kirchlichen Grundstücke und Immobilien, unterstrich Pelatre. Alle katholischen
Kirchen und Klöster in der Türkei hätten bereits in osmanischer Zeit - vor der Ausrufung
der Republik 1923 - existiert. Aber die Besitztitel der katholischen „frommen Stiftungen“
– vakiflar - würden immer wieder in Zweifel gezogen. Pelatre: „Ich bin nicht einmal
sicher, ob eine allfällige juridische Anerkennung der katholischen Kirche mit einem
Schlag diese Situation bereinigen könnte. Man müsste alle Aspekte der Eigentumsfrage
klären und regeln“.
Bei den Verfassungskonsultationen in Ankara sei klar geworden,
dass eine Änderung der gesetzlichen Lage der Kirchen und Religionsgemeinschaften durch
eine Verfassungsbestimmung nicht in Frage komme. Es sei die Rede von einem einfachen
Gesetz gewesen, aber er sei skeptisch, dass ein solches Gesetz zustande kommt, unterstrich
der Apostolische Vikar von Istanbul und betonte: „Wir wollen keine Privilegien, sondern
gleiche Rechte wie die anderen Bürger“. Im Hinblick auf die Religionsfreiheit sagte
er, dass es für die Katholiken in der Türkei nur Kultfreiheit gebe, Religionsfreiheit
sei aber mehr als das: „Man zwingt uns in ein Gehege, im Grunde fürchten sie den Proselytismus,
dass Türken katholisch werden“.
Hoffen auf EU-Beitritt
Ein
EU-Beitritt der Türkei würde aber die Situation der Christen im Land verbessern, ist
Pelatre überzeugt. Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. und die anderen Kirchenführer
hätten offen den Beitritt Ankaras befürwortet: „Und mit ihnen hoffen auch wir, dass
der Beitritt die Lösung unserer Probleme erleichtern würde“.
Allerdings sei
in der Türkei bereits eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Zu Beginn seien die Türken
sehr motiviert gewesen, aber heute breite sich Müdigkeit aus. Einige stellten die
Frage: Warum insistieren, wenn sie uns nicht wollen? Andere meinten, dass es ein Staat
wie die Türkei nicht notwendig habe, in die Europäische Union einzutreten. Türkische
Unternehmer hätten ihm gesagt, dass die Türkei de facto schon dabei sei, auch wenn
sich das noch nicht auf der Ebene der Gemeinschaftsinstitutionen abbilde, berichtete
der Bischof. Aber die wirtschaftlichen und kulturellen Vereinbarungen würden gut funktionieren.
Im Hinblick auf die Regierungspartei AKP betonte Pelatre, dass es sich um
keine „islamistische“ Partei handle, das sei eine mediale Vereinfachung. Im Namen
der „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ komme nicht einmal das Wort Islam vor.
Zweifellos hätten Recep T. Erdogan und die Seinen Wahlen gewonnen, indem sie sich
auf die islamische Identität beriefen. Dass Erdogan auf die gläubigen Muslime gesetzt
habe, bedeute nicht, dass er Islamist sei. Aber man müsse zur Kenntnis nehmen,
dass auch die Gläubigen das Recht haben, ihre Meinung kundzutun.
Die derzeitige
Regierung lege die Laizität des Staates und die davon inspirierten Gesetze weniger
streng aus, sagte der Bischof. Als er vor mehr als 40 Jahren in die Türkei kam, sei
das nicht so gewesen. Daher sehe man jetzt auch öfter religiöse Symbole in der
Öffentlichkeit, zum Beispiel den Schleier der Frauen. An sich sei es nicht gefährlich,
wenn sich die Frauen verschleiern, aber das, was zähle, sei die Freiheit. Gefährlich
sei, dass die Frauen ideologischen Pressionen ausgesetzt werden. Das sei aber nicht
eine Konsequenz lokaler Traditionen, sondern von Einflüssen aus dem Ausland. Zum Beispiel
habe er gehört, dass einige Frauen bezahlt wurden, damit sie sich verschleiern.