Es ist gegenwärtig „kaum einzuschätzen, ob der ‚Arabische Frühling’ zu einem ‚christlichen
Winter’ zu werden droht“. Das sagte der Menschenrechts-Experte Otmar Oehring am Donnerstag
bei einer öffentlichen Anhörung im Menschenrechte-Ausschuß des Deutschen Bundestags
in Berlin. In Syrien habe es in den letzten Monaten eine Zunahme an Verletzten und
Toten aus der christlichen Minderheit gegeben. Es sei nicht auszuschließen, dass es
zu einem Bürgerkrieg komme, der auch Elemente eines Religionskrieges in sich
trage. Christen könnten dabei zu Opfern der muslimischen Mehrheit werden. Der Leiterin
des Instituts für Islamfragen der Deutschen Evangelischen Allianz, Christine Schirrmacher,
zufolge hat der Einsatz für Toleranz und Religionsfreiheit im Nahen Ost momentan wenig
Anhänger. Eigentlich müsste sich eine positive Begründung der Religionsfreiheit
aus der islamischen Theologie selbst entwickeln; dies sei aber nicht sehr wahrscheinlich.
Vielmehr sei eine Verhärtung der Fronten gegenüber religiösen Minderheiten zu beobachten
und für die Zukunft ein dramatischer Rückgang des christlichen Bevölkerungsanteils
zu befürchten. Schirrmacher forderte die westliche Welt dazu auf, ihre Solidarität
mit den Minderheiten klarzustellen und dabei auch Konflikte mit arabischen Ländern
nicht zu meiden. Die Regionalreferentin Nordafrika und Naher Osten des Bischöflichen
Hilfswerkes Misereor, Maria Haarmann, informierte über Reaktionen auf einen Religionswechsel
von Muslimen. In islamischen Gesellschaften werde dies meist als Verrat angesehen.
Das Werben für andere Religionen gelte als Störung der öffentlichen Ordnung. Wenn
ein Muslim Christ werde, so werde dabei häufig Zwang oder Täuschung unterstellt. Hingegen
stünden Übertritte zum Islam in aller Regel unter staatlichem Schutz. Deutschland
müsse deutlichere Worte für Menschenrechtsverletzungen in arabischen Staaten finden,
so Haarmann. Sie forderte auch mehr „sichtbare Solidarität“ der Kirchen: „Christen
im Orient fühlen sich häufig alleingelassen von ihren westlichen Glaubensbrüdern und
-schwestern.“ Gefragt seien Einzelinitiativen und Gemeindepatenschaften. Der palästinensische
evangelisch-lutherische Pfarrer Mitri Raheb aus Bethlehem ging auf die Lage von Christen
im Heiligen Land ein. Nach seiner Einschätzung genießen Christen in Palästina
mehr Freiheiten als in Israel. Im Nahen Osten gebe es drei Staaten mit einem problematischen
Verhältnis von Staat und Religion: Der Iran verstehe sich als islamische Republik,
Saudi-Arabien orientiere sich an einem salafistischen Verständnis des Islam, und Israel
sehe sich mehr und mehr als jüdischen Staat. Christen würden als Bürger zweiter oder
dritter Klasse behandelt. Raheb: „Jeder, der nicht jüdisch ist, wird systematisch
benachteiligt.“ (idea 11.05.2012 sk)