Pater Samir: „Warum kann der Libanon eine Botschaft sein?“
Für die päpstliche
Botschaft an die Christen des Nahen Ostens hätte Benedikt XVI. kein besseres Reiseziel
wählen können als den Libanon, denn das Land ist heute „Zentrum der arabischen Welt“.
Davon ist der ägyptische Islamexperte und Jesuit Samir Khalil Samir überzeugt. Im
Gespräch mit Radio Vatikan geht er auf die besondere Bedeutung ein, die das Land heute
und in der Geschichte in der Region spielt und gespielt hat. Pater Samir, Vatikan-Berater
in Islamfragen und Dozent in Rom und Beirut, äußerte sich am Rande einer Konferenz
zur Lage der Christen in Nahost, die am Freitagabend im Päpstlichen Maronitischen
Kolleg in Rom stattfand:
„Der Papst wird den Christen sagen: Ihr habt eine
Mission, der Libanon ist nicht zufällig ein solch freies Land. Und es ist auch kein
Zufall, dass die ,Nahda‘, die Renaissance der arabischen Welt, aus dem Libanon nach
Ägypten kam. Das wird die Botschaft sein, kulturell, soziologisch, aber auch geistlich-spirituell:
Die Christen haben eine Mission. Sie müssen dort bleiben – nicht wegen des Klimas,
Geldes, der Landschaft – nein, sie müssen bleiben, weil sie eine Mission in der arabischen
Welt haben. Und wir müssen diese Mission neu entdecken. Wir haben dieses Gefühl verloren,
jeder denkt an seine Gemeinschaft und kleine Gruppe – es wäre schlimm, wenn das so
bleibt.“
Im Libanon stellen Muslime und Christen die größten Religionsgemeinschaften,
in der politischen Führung des Landes müssen beide Religionen vertreten sein. Somit
ist den Christen im Libanon im Kontrast zu den anderen Ländern der Region mehr Entscheidungsgewalt
eingeräumt. Pater Samir nennt weitere Beispiele für die Sonderstellung des Landes:
„Der
Libanon ist tatsächlich ein besonderer Staat im Nahen Osten, der einzige, der arabisch
ist, aber nicht muslimisch. Dazu kommt, dass der Libanon heute das Zentrum der arabischen
Welt ist. All diejenigen, die irgendetwas schreiben sollen, das nicht ,klassisch‘
ist und mit ,mehr Freiheit‘ zu tun hat, schreiben im Libanon, seien es Ägypter, auch
Leute aus Marokko, Tunesien oder andere. Früher war Ägypten das Zentrum, heute ist
es der Libanon. Der Libanon ist ein freies Land. Ein Beispiel: Im Libanon gibt es
eine staatliche Universität und 41 freie Universitäten. Dieselbe Vielfalt gilt für
die Medien, Radio, Fernsehen – es gibt mehr freie Medien als nationale. Das ist typisch
für den Libanon.“
Papst Johannes Paul II. hatte bei seinem historischen
Besuch in Beirut im Jahr 1997 an die Christen appelliert, in der Region zu bleiben.
Da lagen der erste Libanonkrieg und die erste Intifada der Palästinenser nur wenige
Jahre zurück. Johannes Paul habe auch bei den Muslimen damals tiefen Eindruck hinterlassen,
erzählt Pater Samir:
„Ich glaube, dass das, was der frühere Papst gesagt
hat, nämlich dass der Libanon mehr als ein Land ist, eine Botschaft für die Welt ist.
Das wird heute von allen Muslimen noch immer wiederholt! Und ich glaube, das bleibt.
Die Frage ist heute: Warum ist der Libanon eine Botschaft? Und ich hoffe, dass der
Papst dieses Thema auch weiterführen wird. Er ist eine Botschaft durch die Christen,
die das Evangelium durch ihre Kultur und all das weitergeben.“
Sorgt die
Krise im benachbarten Syrien denn aktuell im Libanon für neue religiöse und politische
Spannungen? Der Pater beschwichtigt: Momentan seien wenige Auswirkungen der Syrien-Krise
spürbar. Freilich könnte die Lage durch den Flüchtlingsstrom eine dramatische Wende
nehmen und gefährlich werden. Mit dem Feuer spielen wolle aber keine Partei im Libanon,
da ist sich der Islamfachmann ganz sicher:
„Ich glaube, der ganze Libanon
und auch die Hisbollah weiß, dass man mit diesem Thema nicht spielen kann. Syrien,
ich meine die Regierung, versucht auch, die Leute nicht in den Libanon fliehen zu
lassen.“
Der päpstliche Nuntius in Damaskus, Erzbischof Mario Zenari,
hatte jüngst einen gemeinsamen Friedensappell aller im Land vertretenen Religionen
angeregt. Ob ein solcher Appell die politischen Fronten überhaupt beeindrucken würde,
kann Pater Samir auch nicht beantworten. Er ist sich aber sicher:
„Dass
wir alle, Vertreter aller Religionen sagen müssen: Der Frieden ist die erste Pflicht.
Es gibt keine andere Möglichkeit als eine friedliche Botschaft mit allen Stimmen,
mit allen Gruppen der Christen und Muslime, der ganzen Nation, die heute durch ihre
geistlichen Führer repräsentiert wird. Und ich hoffe – ja, ich werde auch selbst in
diesem Sinne etwas tun, wenn ich morgen zurück nach Beirut fliege!“