Wahl in Frankreich: „Ich sehe gar nicht, wohin das steuern soll“
Am Sonntag geht Frankreich
in die zweite Runde der Präsidentenwahlen, und alle Umfragen sprechen dafür, dass
der Sozialist Francois Hollande den Konservativen Nicolas Sarkozy aus dem Amt des
Staatschefs verdrängen wird. In der ersten Runde haben Frankreichs Katholiken überdurchschnittlich
für Sarkozy gestimmt – glaubt die Kirche, dass sie mit dem möglichen Präsidenten Hollande
schlechter auskommen wird? Das fragten wir an diesem Donnerstag in Rom den Erzbischof
von Dijon, Roland Minnerath.
„Das werden wir am nächsten Sonntag sehen,
wer (bei der Wahl als Sieger) herauskommt! Aber egal, wer herauskommt: Wir sind ja
ein Rechtsstaat. Da muss man sich an das Recht halten und nicht meinen, dass man der
allgemeinen Gesellschaft Normen aufzwingen könnte, die gegen das Empfinden und die
Grundrechte sind.“
Mit dieser Bemerkung zielt der ursprünglich aus
dem Saarland stammende Erzbischof aus Burgund auf ein Wahlversprechen von Hollande
ab. Dieser will die Trennung von Staat und Religion in der Verfassung verankern. Minnerath
dazu:
„Erster Punkt: Die Laizität steht ja schon in der Verfassung!
Dort heißt es: Die Republik ist ,laique‘, das heißt säkular. Hollande sagt nun, er
wolle das Gesetz der Trennung (von Staat und Religion) von 1905 in der Verfassung
verankern. Das ist aber nicht möglich, juristisch gesehen, weil dieses Gesetz mindestens
vierzigmal in einem Jahrhundert verändert wurde, und in diesem Gesetz haben Sie Normen,
die schon längst nicht mehr angewandt werden, die obsolet sind! Also, in die Verfassung
kann man nur allgemeine Prinzipien einschreiben, und ich sehe gar nicht, wohin das
steuern soll. Dieser Punkt ist nicht umzusetzen!“
Der Erzbischof macht
keinen Hehl daraus, dass die französische Kirche das Wahlergebnis mit einer gewissen
Unruhe abwartet. Rechts wie links in Frankreichs Gesellschaft gebe es Kreise, die
„die Religion ganz vom offenen Markt ausschließen möchten“, so Minnerath. Aber das
sei gar nicht möglich.
„Religion kann nicht nur im persönlichen Wohnzimmer
gefeiert werden, sondern Religion ist von sich aus für die Öffentlichkeit. Der französische
Staat tut sich schwer mit dem Islam – da ist das Problem. Und dadurch möchte mancher
allgemeine Normen veranlassen, um die Religion als solche – also alle Religionen –
immer mehr aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Das ist auch nicht haltbar! Was wir
immer mehr betonen, auf jeden Fall die katholische Kirche: Wir sind alle für Religionsfreiheit,
aber die heißt, sich an die Vorschriften z.B. der Europäischen Menschenrechtskonvention,
Artikel 9, zu halten. Das ist, was für uns Europäer normativ ist – und da steht mehr
drin als im französischen Trennungsgesetz!“
Die Angst vieler Franzosen
vor der Überfremdung durch muslimische Zuwanderer zeigte sich immer wieder in diesem
Präsidentschaftswahlkampf – ob bei einer Debatte um muslimisches „halal“-Fleisch in
Schulkantinen oder beim Streit um die Durchsetzung des neuen Burka-Verbots. Erzbischof
Minnerath befürchtet, dass diese Debatten böse Nebenwirkungen für die Sichtbarkeit
des Christentums in der französischen Gesellschaft haben.
„Der Staat
ist nicht dafür zuständig zu beurteilen, ob dies oder das zur Religion gehört, sondern
er ist dafür zuständig, für öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die Rechte von
allen anderen zu sorgen – das sind die Befugnisse des Staates in dieser Sache! Schade,
dass der Staat manchmal nicht nur aus diesen Befugnissen heraus vorgeht, sondern gegen
die Religion allgemein! Wir hatten z.B. nie ein Problem mit kleinen christlichen Zeichen
wie etwa einem Kreuz – das war in Frankreich nie ein Problem! Jetzt hat man versucht,
alle Zeichen zu verbieten, in der Schule z.B. – weil man das islamische Kopftuch abschaffen
wollte.“
Die Republik sollte sich „umschauen, wie diese Probleme anderswo
in Europa geregelt werden“, um die Sache „mit etwas mehr Heiterkeit anzugehen“, rät
der Erzbischof von Dijon. Und er erinnert an die Wahlprüfsteine, die die Bischofskonferenz
zu Beginn des Wahlkampf veröffentlicht hatte: Sie enthalten unter anderem das Nein
zur Euthanasie und die Betonung des christlichen Ehe- und Familienbildes. Gerade auf
diesen Feldern könnte es Streit zwischen Kirche und Staat geben, sollte der nächste
Präsident Frankreichs tatsächlich Francois Hollande heißen. Am Sonntag ist die Stichwahl.