Ukraine: „Europäische Union trägt Mitverantwortung“
Die Ausrichtung der
Fußballeuropameisterschaft in Polen und der Ukraine verursacht zur Zeit heftige Diskussionen.
Die westliche Welt scheint sich pünktlich sechs Wochen vor Anpfiff daran zu erinnern,
dass das Staatsoberhaupt der Ukraine, Viktor Janukowitsch, seit nunmehr zwei Jahren
autoritäre Tendenzen an den Tag legt und politische Opponenten mit fragwürdigen Mitteln
zum Schweigen bringen will. In Kiew – oder Kiju, wie die Ukrainer ihre Hauptstadt
nennen – haben wir den Politikwissenschaftler Andreas Umland, seit 2010 Lektor des
DAAD und Dozent an der ukrainischen Nationaluniversität „Mohyla-Akademie“ für ein
Interview erreicht. Die Fragen stellte Christine Seuß.
Herr Umland, mancher
Politiker plädiert für einen Boykott der Spiele, andere wollen die Spiele sogar nach
Deutschland holen, wieder andere – im Übrigen auch Kirchenvertreter – sagen, dass
Sport und Politik nicht zusammenhängen und es schädlich ist, die Regierung von Wiktor
Janukowitsch zu sehr unter Druck zu setzen. Gibt es denn ein Patentrezept, um mit
einer Regierung, die offenbar Menschenrechtsverletzungen begeht und Mitausrichter
eines so wichtigen Sportereignisses wie der Fußball-Europameisterschaft ist, umzugehen?
„Ein
Patentrezept gibt es natürlich nicht, aber ich hielte einen Boykott der Spiele bzw.
eine Verlegung der Spiele in andere Länder für zu weitgehend; im Grunde sind ja auch
die Menschenrechtsverletzungen bzw. insbesondere die Verletzungen der politischen
Rechte hier schon seit zwei Jahren im Gange. Warum man das Ganze nun erst seit ein
paar Tagen so hochgespielt hat, ist für mich auch etwas verwunderlich. Ich denke,
eine gute Strategie wäre es, hierher zu kommen und die Spiele hier auszurichten, aber
deutlich seine Meinung zu den Vorkommnissen zu sagen und die EM dazu zu nutzen, um
Kritik deutlich zu machen.“
Wie erklären Sie sich, dass sich gerade in
den letzten Wochen die Kritik gehäuft hat?
„Zwei Faktoren kommen zusammen,
zum einen steigt das Interesse an der Ukraine in Zusammenhang mit der EM; Journalisten
und Öffentlichkeit interessieren sich insgesamt mehr, und zum anderen gibt es die
Konfrontation zwischen der EU und der Ukraine wegen der politischen Verfolgung von
Oppositionspolitikern und wegen des Missbrauchs der Justiz durch die gegenwärtigen
Machthaber. Es handelt sich bei Julia Timoschenko ja auch um eine sehr schillernde
Figur, die im Westen sehr bekannt ist und dadurch jetzt auch tatsächlich diese Aufmerksamkeit
erregt.“
Führende Europäische Politiker, wie zum Beispiel unser Bundespräsident
Joachim Gauck, haben geplante Besuche in der Ukraine abgesagt. Heißt das, dass wir
es nun offiziell mit einer geächteten Regierung zu tun haben?
„In gewisser
Hinsicht haben wir es mit einer geächteten Regierung zu tun, aber diese Ächtung hätte
schon früher erfolgen sollen, da die großen politischen Weichenstellungen wie die
Entmachtung der Opposition, die Manipulation des Rechtsstaates, im Grunde schon seit
2010 deutlich zu sehen waren. Und nun kommt mit einiger Verspätung auch die Reaktion
aus dem Westen.“
„EU trägt Mitverantwortung“
Ich denke,
dass die EU doch eine gewisse Mitverantwortung für die Ereignisse in der Ukraine trägt,
einerseits wegen dieser sehr verspäteten Reaktion auf die antidemokratischen Tendenzen
– eine Delegation des Europaparlaments hatte sogar im Frühjahr 2010 kurz nach dem
Machtantritt Janukowitschs diesem einen Besuch abgestattet, womit diese Delegation
im Grunde die Machtkonzentration unterstützt hat und hier sozusagen ein Signal gegeben
hat, das Janukowitsch offenbar so verstanden hat, dass es in Ordnung sei, die Macht
derart in seinem Amt zu konzentrieren. Die zweite Tatsache ist, dass die
EU sich nach wie vor weigert, der Ukraine eine ausdrückliche Beitrittsperspektive
zu geben und damit im Grunde gegen die Erkenntnisse früherer Demokratisierungsprozesse
in Osteuropa verstößt. Die Forschung ist sich einig, dass eine Mitgliedschaftsperspektive
für Länder wie Rumänien, Bulgarien, die Slowakei oder nun auch Serbien oder sogar
die Türkei eine wichtige Rolle für die innenpolitischen Entwicklungen gespielt hat;
ohne eine solche Perspektive kranken diese postautoritären Staaten an den Zerwürfnissen
und Problemen, die man aktuell in der Ukraine beobachten kann.“
Hat die
Ukraine unter diesen Voraussetzungen denn eine Chance, dennoch den Aufnahmeprozess
in die Europäische Union anzustoßen?
„Zur Zeit sind es gar nicht nach einem
Beitritt der Ukraine in die EU aus. Zunächst geht es gar nicht um eine Beitrittsperspektive,
sondern um den Abschluss des Assoziierungsabkommens, das in den letzten Jahren verhandelt
wurde und jetzt im Grunde vorliegt. Dieses Abkommen schließt ein Freihandelsabkommen
mit ein, aber dieses gesamte Vertragswerk ist nun auf Eis gelegt. Und zur Zeit ist
eine Unterzeichnung nicht abzusehen. Das ist sowohl für die Ukraine als auch für die
EU traurig.“
Kann die Ächtung der Politik Einfluss nehmen auf die anstehenden
Parlaments-Wahlen im Oktober?
„Wahrscheinlich wird das eine Diskreditierung
der jetzigen Machthaber befördern und, so hoffe ich, der Opposition helfen. Allerdings
sollte man nicht die Kontakte abbrechen und nicht hierher reisen, sondern vielleicht
gerade im Gegenteil hierher kommen und sagen, dass es so eben nicht geht. Im Grunde
könnte man sehr leicht und schnell eine Entspannung schaffen, indem man Frau Timoschenko
für eine Behandlung in der Charité in Berlin ausreisen lässt, aber es gibt hier seitens
der Machthaber offensichtlich eine panische Angst und tiefe Antipathie gegenüber dieser
Frau. Und das ist wohl nicht mehr rational zu erklären. Wenn sich das noch weiter
verhärtet, wird es wohl auch hier in der ukrainischen Gesellschaft zu brodeln beginnen,
weil die Annäherung an Europa doch immer noch ein wichtiger Faktor der Legitimierung
dieses Regimes gewesen ist.“
Die führenden Oppositionsparteien, die „Vaterlandspartei“
von Julia Timoschenko und die Partei des früheren Parlamentspräsidenten Arseniy Yatsenyuk,
haben sich vor Kurzem auf ein Wahlbündnis geeinigt. Kann dieses Bündnis die Mehrheitsverhältnisse
im Parlament entscheidend verändern?
„Das hofft man, dass die Einigkeit
in der Opposition sich in genug Sitze im Parlament umsetzt, so dass es zu einer Gewichtsverschiebung
kommt. Allerdings muss man sagen, dass nach der Rücknahme der Verfassungsreform von
2004 durch Janukowitsch nach seiner Wahl im Jahr 2010 nun der Präsident einen Großteil
der Macht hat, so dass ein Sieg der Opposition bei den Parlamentswahlen zwar eine
erhebliche Bedeutung hätte, aber das letzte Wort doch weiterhin bei Janukowitsch liegen
würde. Momentan sieht es aber doch danach aus, dass bei regelgerechten und gerechten
Wahlen die Opposition gewinnen würde.“