Italien: Kirchlicher Solidaritätsfonds gegen Unternehmer-Selbstmorde
Als Gigi Mele, ein
kleiner Bauunternehmer aus Nuoro, auch noch seine eigenen Söhne entlassen musste,
war für ihn das Maß voll. Er tötete sich am letzten Wochenende mit einem Pistolenschuss.
Einen Abschiedsbrief hinterließ der 55-Jährige nicht: Aber ganz Italien ist klar,
dass hier die Wirtschaftskrise ein weiteres Opfer gefordert hat. Mele ist nämlich
nur der letzte in einer Reihe von italienischen Unternehmern, die sich wegen der Krise
selbst getötet haben. Ihre Zahl liegt seit Januar 2011 bei mindestens 24. Auch die
Kirche ist alarmiert durch dieses Phänomen. Der Bischof von Padua, Antonio Mattiazzo,
sagte uns:
„Wir haben sofort einen Solidaritätsfonds auf die Beine gestellt.
Er wird von Experten verwaltet, die versuchen, Betroffenen Direkthilfe zu leisten.
Das Ziel ist es, schnell einen Ausweg aus ihrer Lage zu finden. Wir müssen allerdings
auch noch schärfer über die Gründe und Voraussetzungen der jetzigen Situation nachdenken.
Von der katholischen Soziallehre ausgehend, versuchen wir die Stichworte Gerechtigkeit
und Solidarität in die Debatte einzuspeisen. Ich glaube, dass wir mehr Bemühen um
Einigkeit bei der Frage brauchen, wie wir mit Wirtschaft und Finanzen umgehen.“
Mit
Blick auf den 1. Mai, den Tag der Arbeit, hat Bischof Mattiazzo am vergangenen Sonntag
eine Sonderkollekte in Paduas Pfarreien durchgeführt, um Geld in den Topf des Solidaritätsfonds
zu spülen. Mitte April hat sich in Venetien ein „Verband der Familienangehörigen“
der Unternehmer gegründet, die ihrem Leben ein Ende gesetzt haben; am Freitag wollen
die Witwen dieser Unternehmer in einem Schweigemarsch durch Bologna ziehen, bis zum
Finanzamt, wo sich Ende März ein Unternehmer selbst verbrannte. Ein Kongress der nordostitalienischen
Kirche hat unlängst gefordert, die Kirche solle von der Krise besonders betroffenen
Familien leerstehende Pfarrhäuser zur Verfügung stellen.
„Ja – wir denken
darüber nach, und in einigen Fällen haben wir das auch schon umgesetzt. Allerdings
gibt es da einige Probleme, das haben wir zum Beispiel bei der Aufnahme von Flüchtlingen
gemerkt. Da haben wir zu den Behörden gesagt: Wir kümmern uns um diese Leute, aus
karitativen Gründen. Aber dann hatten wir auf einmal auch die strafrechtliche Verantwortung.
Das ist nicht so einfach. Es gibt in diesem Bereich viele Gesetze und Normen zu beachten.
Wir bleiben aber an der Frage dran, inwieweit wir diesen Menschen Wohnungen aus Kircheneigentum
zur Verfügung stellen können.“
Gerade Norditalien mit seinen kleinen
und mittelständischen Betrieben war in den letzten Jahren der Motor der italienischen
Wirtschaft. Umso größer ist jetzt, im Interregnum des gestrengen „Techniker“-Premiers
Mario Monti, die Depression im Norden. Kommunale Stellen zahlen ihre Rechnungen oft
erst nach drei Jahren, das schnürt den Unternehmern die Luft ab. Staatspräsident Giorgio
Napolitano sieht Italiens Demokratie in Gefahr, und der Bischof von Padua gibt ihm
in diesem Punkt recht:
„Präsident Napolitano hat gute Gründe dafür,
das zu sagen. Aber das liegt nicht nur an der Wirtschaftskrise, sondern auch an der
politischen Krise, der Krise der Parteien. Die Menschen erkennen sich heute in keiner
politischen Partei mehr wieder, das ist das große Problem. Wenn die Parteien nicht
mehr imstande sind, die Menschen hinter sich zu bringen, dann führt das zwangsläufig
zu einer Krise der Demokratie, denn die Parteien sind ja sozusagen der Transmissionsriemen
zwischen der Volkssouveranität und der Regierung.“