Thailand: Ordensfrauen gehen gegen sexuelle Ausbeutung vor
Benedikt XVI. hat
die internationale Gemeinschaft und die Tourismusbranche zu mehr Einsatz gegen Sextourismus
aufgerufen. In seiner Botschaft zum internationalen Kongress für Tourismusseelsorge,
der in dieser Woche im mexikanischen Cancun stattfindet, nennt der Papst als ersten
negativen Aspekt des Tourismus den Sextourismus: Das Phänomen sei „eine der niederträchtigsten
Formen“ menschlicher Verirrungen, es zerstöre Individuen, Familien und „manchmal ganze
Gemeinschaften“.
Schätzungen gehen derzeit von etwa 20 bis 40 Millionen Prostituierten
weltweit aus, in Brennpunktländern wie Brasilien, Indien, Thailand und den Philippinen
ist ein erheblicher Teil der Betroffenen minderjährig. Schwester Michelle Lopez von
der Kongregation „Schwestern vom Guten Hirten“ betreut ein Frauenzentrum im thailändischen
Badeort Pattaya.
„Zwischen 200 und 300 Frauen kommen täglich zu uns, von
Montag bis Freitag. Sie brauchen Beratung und alles, was heilt, sie müssen ihre Würde
zurückerlangen und neu integriert werden. Wir beraten, therapieren, bieten Bildungsmöglichkeiten:
Frisieren, Nähen, traditionelle Massage, Computerkurse, Englisch- und Sprachunterricht,
die wir dank Freiwilliger aus ganz Europa anbieten können. Durch diese Möglichkeiten
bekommen die Frauen die Kraft, Entscheidungen zu treffen und mehr Autonomie zu erlangen.“
Wenn
die Frauen ins Zentrum kommen, tragen sie neben körperlichen Spuren des Missbrauchs
tiefe seelische Wunden mit sich. Die Betreuung führt oft auch die Schwestern an die
eigenen Grenzen:
„Das erste, was wir tun, wenn sie zu uns kommen, ist,
ihnen den größtmöglichen Respekt entgegen zu bringen, egal, wer da kommt. Es mag seltsam
klingen, aber sie können das nicht akzeptieren, sie sind schockiert, dass sie das
erste Mal in ihrem Leben wie eine menschliche Person behandelt werden. Ein Mädchen
auf der Straße hat mir einmal gesagt: es ist nicht so sehr der physische Missbrauch,
es sind die Worte. Sie schneiden mir ins Herz und brechen mich entzwei.“
Die
erste „seelische Vergewaltigung“ der jungen Frauen finde oftmals im engsten eigenen
Umfeld statt, berichtet Schwester Lopez. Dienste für Sextouristen stünden meist am
Ende eines langen Leidensweges:
„Viele der Frauen und Kinder erfahren zu
Hause sexuelle und häusliche Gewalt, Armut, Inzest, verbale Aggressionen, sie lernen
von Anfang an Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Wir lernen zivile Rechte und
Freiheit nicht aus den Dokumenten der Vereinten Nationen, sondern in der Familie.
Und wenn der Ort, der Kindern Schutz bieten sollte, zum Ort der Unterdrückung und
Ungerechtigkeit wird, wird das Rechts- und Freiheitsverständnis eines Kindes ernsthaft
entstellt.“
Der internationale Tourismus hat das Sex-Geschäft und den
Menschenhandel in vielen Ländern der Welt angekurbelt. Das Wohlstandsgefälle zwischen
den Ländern ist ein weiterer Grund, warum viele Frauen mit Prostitution ihren Lebensunterhalt
bestreiten, Eltern ihre Kinder verkaufen oder Menschenhändler in der Branche lukrative
Geschäfte machen können. Mit Nachfrage und Armut lässt sich das Phänomen aber nicht
erschöpfend erklären, räumt Schwester Lopez ein:
„Man kann die Tatsache
nicht ignorieren, dass Armut eine der Hauptursachen ist, allerdings gibt es auch betroffene
Frauen aus der Mittelschicht und umgekehrt sehr, sehr arme Menschen, die nicht in
die Prostitution verstrickt sind. Armut ist also nicht zwangsläufig der Grund.“
Die
Ursachen liegen tiefer, sie haben mit Macht und Geschlechterverhältnissen, mit kultureller
Prägung und emotionaler Verrohung zu tun – Schlüsselfragen, die für Schwester Lopez
im Westen wie in den Zielländern des Sextourismus nicht umgangen werden können:
„Wir
müssen die Mechanismen kennen, die zu diesem Kreislauf führen, es geht um Bewusstsein,
und es geht um Erziehung. Wir müssen unsere Männer, Söhne, Brüder, Ehemänner über
ihre Rechte, Pflichten und Grenzen unterrichten. Wenn wir das nicht tun und allein
die Frauen stärken, gehen wir zu Formen von Gesellschaft und Familie zurück, in denen
Frauen, Mütter und Kinder kulturell, religiös und ideologisch Diskriminierung erfahren.
Und das ist ein Bereich, in dem die Kirche handeln kann.“
Angesichts des
Mangels an staatlicher Hilfen und Nichtregierungsorganisationen sind katholische Ordensfrauen
in Ländern wie Thailand, Indien oder den Philippinen oftmals Vorreiter, was die Hilfe
für Opfer sexueller Gewalt betrifft. Mutig und unbürokratisch leisten sie erste Hilfe
und bieten Heilung, sie sensibilisieren die Bevölkerung für das Phänomen und knüpfen
Hilfsnetzwerke in Zusammenarbeit mit Behörden, internationalen Hilfswerken und Freiwilligen.
Schwester Lopez weiß, dass das Problem aus verschiedenen Richtungen angegangen werden
muss:
„Wenn man diese Menschen aus dem Milieu heraus nimmt, was ist die
Alternative? Wenn es keine Alternative gibt, gehen diese Frauen zurück. Sie brauchen
Autonomie und Wahlmöglichkeiten. Und dafür braucht es einen multidimensionalen Zugang.“
Die Ordensgemeinschaft „Schwestern vom Guten Hirten“, gegründet 1835 in
Frankreich, hatte sich die Betreuung marginalisierter Frauen und Mädchen seit ihrer
Entstehung auf die Fahnen geschrieben; heute ist der Orden in über 65 Ländern auf
allen fünf Kontinenten aktiv. Seit 1996 hat er als Nichtregierungsorganisation einen
Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC). In
Thailand hat der Orden Hilfszentren für Opfer sexueller Gewalt in Pattaya, Bangkok
und im Norden und Nordosten des Landes.