Christentum in Ostdeutschland: „Es geht weiter bergab“
Nicht einmal jeder Achte in den neuen Bundesländern glaubt an Gott: Das hat eine Studie
der Universität Chicago ergeben. Nirgendwo auf der Welt glauben so wenig Menschen
an Gott wie in der früheren DDR. Gert Pickel haben die Zahlen nicht überrascht. Im
Gegenteil: Der evangelische Religionssoziologe sagt einen weiteren Schwund voraus.
Die tristen Zahlen hätten, so meint er im Gespräch mit dem Kölner Domradio, unter
anderem mit dem früheren kommunistischen Regime zu tun.
„Man kann ganz klar
sagen: Es war sicherlich eines der erfolgreichsten in der Verdrängung des Religiösen.
Schon das Nachbarland Polen ist das beste Kontrastbeispiel dafür, dass es auch anders
geht. Allerdings spielen auch andere Faktoren mit hinein. In Ostdeutschland hat man
mit dem Protestantismus eine ungünstigere Ausgangsposition gehabt, als man sie mit
dem Katholizismus gehabt hätte. Das kann man ganz manifest an einem Beispiel zeigen:
Wenn man die protestantische Struktur betrachtet, so ist es eine Landeskirchenstruktur.
Das bedeutet, für politische Machthaber ist es viel leichter Druck auszuüben. Während
der Katholizismus in Rom eine Referenzquelle hat, auf die man sich zurückziehen kann.
Man sieht das gut im europäischen Vergleich daran, dass das einzige Land, das sich
in ähnlich niedrigen Sphären bewegt, Estland ist; ein Land, das auch dem Protestantismus
nahe steht.“
Es gibt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zwei Gruppen, die
gegen alle Widrigkeiten an ihrem Glauben festgehalten haben. Das eine sind die katholischen
Sorben in der Lausitz, das andere ist die – ebenfalls katholische – Enklave im Eichsfeld,
die letzten Herbst von Papst Benedikt XVI. besucht wurde. Beide Gruppen seien in der
Diaspora „enger zusammengerückt“ – und hätten „entsprechend eine stärkere Widerstandsfähigkeit“
gezeigt, so Professor Pickel.
„Es ist auch sicherlich so, dass man in Ostdeutschland
auch eine gewisse Vorentwicklung hatte, die durchschlägt. Auch der Nationalsozialismus
war alles andere als kirchenfreundlich. Und hat seinen Einfluss auch am stärksten
in der protestantischen Kirche entfaltet, die er ja gespalten hatte. Selbst davor
gab es schon leichte Tendenzen, die den Protestantismus immer ein bisschen anfälliger
gemacht haben. Und das schlägt hier eindeutig durch. Während sich umgekehrt die katholischen
Gruppen durch die Verweilstrukturen und das Zusammenrücken im Kleinen besser halten.“
Hintergrund Nur acht Prozent der Bevölkerung glauben
nach Angaben der US-Studie an einen personalen Gott. Gleichzeitig sind die neuen Bundesländer
beim Anteil der Atheisten mit 46 Prozent „Spitze“. Der frühere Bischof der evangelischen
Kirchenprovinz Sachsen, Axel Noack, sieht für die Entkirchlichung mehrere Ursachen.
So seien nach 1945 Millionen Menschen nach Westdeutschland gegangen, die zu den bürgerlichen,
kirchentragenden Schichten gehört hätten: „Sie fehlen uns bis zum heutigen Tag.“ Dies
sei der „bleibende Erfolg“ der SED, sagte Noack gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur
idea. Er lehrt heute Kirchengeschichte an der Universität Halle-Wittenberg und ist
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste im Diakonischen Werk der
EKD. Noack zufolge ist der Großteil der Bürger im Osten Deutschlands heute nicht
antikirchlich eingestellt: „Radikale Atheisten findet man bei uns fast nie. Die meisten
Menschen sind vielmehr am christlichen Glauben nicht interessiert. Sie haben sich
nie damit beschäftigt.“ Der Theologe warnt davor, den religionssoziologischen Blick
auf die Lage im östlichen Deutschland überzubewerten und sich zu sehr auf Zahlen zu
fixieren: „Wer das Kreuz Christi vor Augen hat, scheut sich nicht vor Statistiken.“