2012-04-24 13:00:42

Christentum in Ostdeutschland: „Es geht weiter bergab“


Nicht einmal jeder Achte in den neuen Bundesländern glaubt an Gott: Das hat eine Studie der Universität Chicago ergeben. Nirgendwo auf der Welt glauben so wenig Menschen an Gott wie in der früheren DDR. Gert Pickel haben die Zahlen nicht überrascht. Im Gegenteil: Der evangelische Religionssoziologe sagt einen weiteren Schwund voraus. Die tristen Zahlen hätten, so meint er im Gespräch mit dem Kölner Domradio, unter anderem mit dem früheren kommunistischen Regime zu tun.

„Man kann ganz klar sagen: Es war sicherlich eines der erfolgreichsten in der Verdrängung des Religiösen. Schon das Nachbarland Polen ist das beste Kontrastbeispiel dafür, dass es auch anders geht. Allerdings spielen auch andere Faktoren mit hinein. In Ostdeutschland hat man mit dem Protestantismus eine ungünstigere Ausgangsposition gehabt, als man sie mit dem Katholizismus gehabt hätte. Das kann man ganz manifest an einem Beispiel zeigen: Wenn man die protestantische Struktur betrachtet, so ist es eine Landeskirchenstruktur. Das bedeutet, für politische Machthaber ist es viel leichter Druck auszuüben. Während der Katholizismus in Rom eine Referenzquelle hat, auf die man sich zurückziehen kann. Man sieht das gut im europäischen Vergleich daran, dass das einzige Land, das sich in ähnlich niedrigen Sphären bewegt, Estland ist; ein Land, das auch dem Protestantismus nahe steht.“

Es gibt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zwei Gruppen, die gegen alle Widrigkeiten an ihrem Glauben festgehalten haben. Das eine sind die katholischen Sorben in der Lausitz, das andere ist die – ebenfalls katholische – Enklave im Eichsfeld, die letzten Herbst von Papst Benedikt XVI. besucht wurde. Beide Gruppen seien in der Diaspora „enger zusammengerückt“ – und hätten „entsprechend eine stärkere Widerstandsfähigkeit“ gezeigt, so Professor Pickel.

„Es ist auch sicherlich so, dass man in Ostdeutschland auch eine gewisse Vorentwicklung hatte, die durchschlägt. Auch der Nationalsozialismus war alles andere als kirchenfreundlich. Und hat seinen Einfluss auch am stärksten in der protestantischen Kirche entfaltet, die er ja gespalten hatte. Selbst davor gab es schon leichte Tendenzen, die den Protestantismus immer ein bisschen anfälliger gemacht haben. Und das schlägt hier eindeutig durch. Während sich umgekehrt die katholischen Gruppen durch die Verweilstrukturen und das Zusammenrücken im Kleinen besser halten.“

Hintergrund
Nur acht Prozent der Bevölkerung glauben nach Angaben der US-Studie an einen personalen Gott. Gleichzeitig sind die neuen Bundesländer beim Anteil der Atheisten mit 46 Prozent „Spitze“. Der frühere Bischof der evangelischen Kirchenprovinz Sachsen, Axel Noack, sieht für die Entkirchlichung mehrere Ursachen. So seien nach 1945 Millionen Menschen nach Westdeutschland gegangen, die zu den bürgerlichen, kirchentragenden Schichten gehört hätten: „Sie fehlen uns bis zum heutigen Tag.“ Dies sei der „bleibende Erfolg“ der SED, sagte Noack gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Er lehrt heute Kirchengeschichte an der Universität Halle-Wittenberg und ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste im Diakonischen Werk der EKD.
Noack zufolge ist der Großteil der Bürger im Osten Deutschlands heute nicht antikirchlich eingestellt: „Radikale Atheisten findet man bei uns fast nie. Die meisten Menschen sind vielmehr am christlichen Glauben nicht interessiert. Sie haben sich nie damit beschäftigt.“ Der Theologe warnt davor, den religionssoziologischen Blick auf die Lage im östlichen Deutschland überzubewerten und sich zu sehr auf Zahlen zu fixieren: „Wer das Kreuz Christi vor Augen hat, scheut sich nicht vor Statistiken.“

(domradio/idea/rv 24.04.2012 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.