2012-04-22 09:13:52

Warum macht uns der Koran so nervös?


RealAudioMP3 Die Koran-Verteilaktion bringt einmal mehr das Verhältnis zwischen Islam und deutscher Gesellschaft auf den Plan. Mehr nur als die Absicht der Salafisten werden mit Sätzen wie „der Islam gehört nicht zu Deutschland“ grundsätzliche Fragen aufgeworfen. Nicht zuletzt auch die nach dem Verständnis von Schrift und Offenbarung, im Islam wie im Christentum.
Was sagt man jemandem, der in einer Fußgängerzone einen Koran mit der Aufforderung „Lies!“ verteilt? Was ist das, der Koran, jenseits der Vorurteile unserer Kultur? Und warum diese Aktion Politik und Gesellschaft so nervös? Ein Gespräch mit dem Islamwissenschaftler und katholischen Theologen Pater Felix Körner, Dozent an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.

„Die Mehrheit der Menschen, die hier das erste mal mit dem Koran in Berührung kommt, entdeckt damit eine neue Welt, entdeckt, dass es hier viele Diskussionsmöglichkeiten gibt und dass es ungeheuer anregend ist, sich mit dem Koran auseinander zu setzen. Insofern ist die Aktion „Lies!“ erst einmal nicht gefährlich, sondern bereichernd.“

Aber was ist das Verunsichernde am Koran, es sind ja nicht nur die Salafisten, die ihn verteilen?

„Zweierlei. Verunsichernd daran ist, dass mit so viel Begeisterung eine andere Religion, die auch mit einer anderen Kulturprägung daherkommt, und plötzlich so deutlich, mit so viel Energie – und offenbar auch mit viel Geld – begegnet.
Was darüber hinaus verunsichernd sein kann, ist Folgendes: Bis auf die erste Sure, die ein Gebet ist, sprechen alle anderen Texte im Koran mit dem Anspruch, hier kommt Gott selbst zu Wort und redet Dich an. Diese Unmittelbarkeit gibt es auf der Seite der christlichen Bibel nicht. Die christliche Bibel sagt immer, dass hier ein bestimmter Autor erzählt, hier schreibt der Apostel Paulus, hier schreibt Lukas die Jesusgeschichte an Theophilus und so weiter. Dieser Anspruch, dass Gott höchstpersönlich und unvermittelt spricht, der stellt dem, der das eigentlich nicht als Wort Gottes anerkennen will, die Frage, wie wehre ich mich gegen diesen Impuls, der mit dem Anspruch kommt, dass mich hier Gott anredet.“

Bei der Aktion geht es ja nicht nur um das Verteilte – den Koran – sondern auch um die Verteiler, die Salafisten. Was für eine Theologie steckt da dahinter?

„Die Salafia macht etwas typisch modernes, auch wenn Sie sich auf das Mittelalter beziehen. Die sagen, dass unsere Zeit Produkt einer Verfallserscheinung ist und dass wir unsere Identität verloren haben. Um wieder echt „Wir“ sein zu können, müssen wir heute zurückgreifen auf die Altvorderen, auf die ersten Vorbilder, und die heißen auf Arabisch die „Salaf“.

Die Rückkehr zu den Ursprüngen ist notwendigerweise immer eine Fiktion, denn ich kann ja nicht zurück in der Zeit. Das gibt es im Christentum mit dem Sprechen über das Urchristentum auch. Warum macht uns diese Fiktion so nervös?

„Wer sagt, dass eine Bewegung aus dem siebten Jahrhundert nach Christus genau das getan hat, was wir heute tun müssen, der geht natürlich mit einer gewissen Blindheit vor. Der sieht die heutigen Herausforderungen an Religion, an Weltanschauung, an Lebensordnung nicht als konstruktive Fragen und interessante Herausforderungen, sondern als etwas, was ich nur damit beantworten kann, dass ich mich davor verschließe und über 1.000 Jahre zurück greife.
Die Auseinandersetzungsfreudigkeit ist bei solchen Rückgriffversuchen natürlich gering bis nicht vorhanden.“


(rv 22.04.2012 ord)







All the contents on this site are copyrighted ©.