Wer war Konstantin: Stratege? Gläubiger? Politiker?
Konstantin der Große:
An den Wurzeln Europas. Mit diesem Thema beschäftigt sich ab Mittwoch ein Historikerkongreß
im Vatikan. Organisiert hat ihn das Päpstliche Komitee für Geschichtswissenschaften
– 1700 Jahre nach der berühmten Schlacht an der Milvischen Brücke, nach der der Sieger
Konstantin eine Wende in der römischen Religionspolitik vollführte und das Christentum
legalisierte.
„Dieser Kongress ist der erste von dreien – der letzte findet
2013 in Mailand statt, um an den 1700. Jahrestag des Religionsedikts von Mailand zu
erinnern.“ Das sagte der vatikanische Chefhistoriker, der Prämonstratenser Bernard
Ardura, an diesem Dienstag vor der Presse in Rom. „Diese Studientage sind die Frucht
einer Zusammenarbeit wichtiger kultureller Einrichtungen: Vatikanisches Geheimarchiv,
Nationaler Forschungsrat, Ambrosianische Bibliothek von Mailand u.a. Wir wollen natürlich
über die Bekehrung des Konstantin diskutieren, über seine Taufe und seine Haltung
zu den Christen vor der Schlacht an der Milvischen Brücke.“
Das ist nämlich
weiterhin eines der großen ungelösten Rätsel der Geschichte: Wurde Konstantin wirklich
aus innerer Überzeugung Christ, ließ er sich tatsächlich erst auf dem Totenbett taufen,
leiteten ihn vielleicht vor allem politisch-strategische Überlegungen? Erster Ausgangspunkt
für eine Antwort ist die römische Schlacht vom Oktober 312.
„In militärstrategischer
Hinsicht war diese Schlacht gar nicht so bedeutend. Sie wurde aber schon sehr schnell
zu einem Gründungssymbol einer neuen Welt, die durch Konstantins Begegnung mit dem
Christentum entstand. Die neue Toleranz des Römischen Reichts gegenüber den religiösen
Überzeugungen der Untertanen beendete die Verfolgungen von Christen und machte den
Weg für eine Evangelisierung des Reiches frei. Damals entstand ein Westeuropa, in
dem sich Werte entwickelten wie Menschenwürde, Trennung bei Zusammenarbeit von Religion
und Staat, Freiheit von Gewissen, Religion und Kult. Natürlich werden diese Realitäten,
die einmal Europa ausmachen, lange brauchen für ihre Entwicklung und Durchsetzung;
aber sie sind in nuce schon in der konstantinischen Wende und damit in der Schlacht
an der Milvischen Brücke enthalten.“
Konstantin sei unbestreitbar „ein
großer Herrscher und ein genialer Politiker gewesen“, so Pater Ardura. Es sei ihm
gelungen, „das Reich in seiner Person zu vereinigen“. Und dennoch wirft seine Gestalt
viele Fragen auf, daran erinnerte die Pariser Historikerin Claire Sotinel.
„Während
einige in der konstantinischen Wende einen Moment der Vorsehung sehen, sprechen andere
vom Beginn der Dekadenz einer Kirche, die mit der politischen Macht anbändelt. Hat
sich Konstantin 312 wirklich bekehrt? Oder war das ein politischer Schachzug? Warum
sprechen denn die verschiedenen Autoren seiner Zeit so unterschiedlich darüber? Und
fängt denn die christliche Ära tatsächlich mit Konstantin an? Da müsste man erst einmal
untersuchen, ob viele im Römischen Reich seinen Schritt nachahmten, und welche Auswirkungen
das auf die offizielle römische Religion hatte. Und wieweit hat sich damals das Christentum
verändert, speziell die Rolle der Kirche im öffentlichen Leben? Es ist doch einsichtig,
dass diese Fragen nicht nur den Historiker interessieren.“