In der Taufe eine neuen Schöpfung: Die Papstpredigt in der Osternacht
Liebe Schwestern und Brüder! Ostern ist Fest der Neuschöpfung. Jesus ist auferstanden
und stirbt nicht mehr. Er hat die Tür zu einem neuen Leben aufgestoßen, das keine
Krankheit und keinen Tod mehr kennt. Er hat den Menschen in Gott selbst hineingenommen.
„Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben“, hatte Paulus im 1. Korinther-Brief
gesagt (15, 50). Der Kirchenschriftsteller Tertullian hatte im 3. Jahrhundert im Hinblick
auf die Auferstehung Christi und unsere Auferstehung die Kühnheit zu schreiben: „Seid
nur getrost, Fleisch und Blut, durch Christus habt ihr Platz gewonnen im Himmel und
im Reich Gottes“ (CCL II 994). Eine neue Dimension hat sich für den Menschen aufgetan.
Die Schöpfung ist größer und weiter geworden. Ostern ist der Tag einer Neuschöpfung,
aber eben deshalb beginnt die Kirche an diesem Tag die Liturgie mit der alten Schöpfung,
damit wir die neue recht zu verstehen lernen. Deshalb steht am Anfang des Wortgottesdienstes
der Osternacht der Bericht von der Erschaffung der Welt.
Zwei Dinge sind daran
im Zusammenhang der Liturgie dieses Tages besonders wichtig. Zum einen: Die Schöpfung
wird als eine Ganzheit dargestellt, zu der das Phänomen der Zeit gehört. Die sieben
Tage sind ein Bild für eine Ganzheit, die sich in der Zeit entfaltet. Sie sind hingeordnet
auf den siebten Tag, den Tag der Freiheit aller Geschöpfe für Gott und füreinander.
Schöpfung ist also ausgerichtet auf das Miteinander von Gott und Geschöpf; sie ist
da, damit ein Raum der Antwort auf Gottes große Herrlichkeit sei, eine Begegnung der
Liebe und der Freiheit. Zum anderen hört die Kirche in der Osternacht vom Schöpfungsbericht
vor allem den ersten Satz: „Gott sprach: Es werde Licht“ (Gen 1, 3). Der Schöpfungsbericht
beginnt zeichenhaft mit der Schöpfung des Lichts. Sonne und Mond werden erst am vierten
Tag erschaffen. Der Schöpfungsbericht nennt sie Lampen, die Gott am Himmelsgewölbe
aufgehängt hat. Er nimmt ihnen damit bewusst den göttlichen Charakter, den ihnen die
großen Religionen beigelegt hatten. Nein, sie sind keine Götter. Sie sind leuchtende
Körper, die der eine Gott geschaffen hat. Ihnen voraus aber geht das Licht, durch
das Gottes Herrlichkeit sich im Wesen des geschöpflichen Seins widerspiegelt.
Was
will der Schöpfungsbericht damit sagen? Licht ermöglicht Leben. Es ermöglicht Begegnung.
Es ermöglicht Kommunikation. Es ermöglicht Erkenntnis, Zugang zur Wirklichkeit, zur
Wahrheit. Und indem es Erkenntnis ermöglicht, ermöglicht es Freiheit und Fortschritt.
Das Böse verbirgt sich. Licht ist daher auch Ausdruck für das Gute, das Helligkeit
ist und schafft. Es ist Tag, an dem wir zu wirken vermögen. Dass Gott das Licht geschaffen
hat, bedeutet: Gott hat die Welt als einen Raum der Erkenntnis und der Wahrheit, als
einen Raum der Begegnung und der Freiheit, als Raum des Guten und der Liebe geschaffen.
Der Grundstoff der Welt ist gut, das Sein selber ist gut. Und das Böse kommt nicht
aus dem von Gott geschaffenen Sein, sondern es existiert aufgrund der Verneinung.
Es ist das Nein.
Zu Ostern, am Morgen des ersten Wochentages hat Gott von neuem
gesagt: „Es werde Licht.“ Die Nacht am Ölberg war vorausgegangen. Die Sonnenfinsternis
der Passion und des Todes Jesu, die Nacht des Grabes. Aber nun ist wieder der erste
Tag – die Schöpfung beginnt ganz neu. „Es werde Licht“, sagt Gott, „und es wurde Licht“:
Jesus steht aus dem Grabe auf. Das Leben ist stärker als der Tod. Das Gute ist stärker
als das Böse. Die Liebe ist stärker als der Hass. Die Wahrheit ist stärker als die
Lüge. Das Dunkel der vergangenen Tage ist vertrieben in dem Augenblick, in dem Jesus
aus dem Grab aufersteht und selbst reines Licht Gottes wird. Dies aber bezieht sich
nicht nur auf ihn allein und bezieht sich nicht nur auf die Finsternis jener Tage.
Mit der Auferstehung Jesu ist das Licht selbst neu geschaffen. Er zieht uns alle nach
in das neue Leben der Auferstehung hinein und besiegt alles Dunkel. Er ist der neue
Tag Gottes, der uns allen gilt.
Aber wie soll das geschehen? Wie soll all dies
bis zu uns kommen, so dass es nicht nur Wort bleibt, sondern Wirklichkeit wird, in
die wir einbezogen sind? Durch das Sakrament der Taufe und das Bekenntnis des Glaubens
hat der Herr eine Brücke zu uns herübergebaut, durch die der neue Tag zu uns kommt.
In der Taufe sagt der Herr zu demjenigen, der sie empfängt: Fiat lux – Es werde Licht.
Der neue Tag Gottes – der Tag des unzerstörbaren Lebens kommt auch zu uns. Christus
nimmt dich bei der Hand. Du wirst von nun an von ihm gehalten und gehst so in das
Licht, in das wirkliche Leben hinein. Deshalb hat die alte Kirche die Taufe Photismos
genannt – Erleuchtung.
Wieso? Das eigentlich bedrohliche Dunkel für den Menschen
ist es doch, dass er zwar die greifbaren materiellen Dinge sehen und untersuchen kann,
dass er aber nicht sieht, wohin die Welt geht und woher sie kommt. Wohin unser eigenes
Leben geht. Was das Gute und was das Böse ist. Das Gottesdunkel und das Wertedunkel
ist die eigentliche Bedrohung unserer Existenz und der Welt überhaupt. Wenn Gott und
die Werte, der Unterschied von Gut und Böse dunkel bleiben, dann sind alle anderen
Erleuchtungen, die uns ein so unglaubliches Können ermöglichen, nicht nur Fortschritte,
sondern zugleich Bedrohungen, die uns und die Welt gefährden. Wir können heute unsere
Städte so grell erleuchten, dass die Sterne des Himmels nicht mehr sichtbar sind.
Ist das nicht ein Bild für die Problematik unserer Aufgeklärtheit? Wir wissen und
können in den materiellen Dingen unerhört vieles, aber was darüber hinausgeht, Gott
und das Gute, vermögen wir nicht mehr zu identifizieren. Deshalb ist der Glaube, der
uns das Licht Gottes zeigt, die wahre Aufklärung, ist Einbruch von Gottes Licht in
unsere Welt, Öffnung unserer Augen für das wirkliche Licht.
Liebe Freunde,
noch einen Gedanken über Licht und Erleuchtung möchte ich am Ende hinzufügen. Die
Kirche stellt in der Osternacht, der Nacht der neuen Schöpfung, das Geheimnis des
Lichts mit einem ganz eigenen, sehr demütigen Symbol dar: mit der Osterkerze. Dies
ist ein Licht, das vom Opfer lebt. Die Kerze leuchtet, indem sie sich selber verbrennt.
Sie gibt Licht, indem sie sich selber gibt. So stellt sie auf wunderbare Weise das
österliche Geheimnis Christi dar, der sich gibt und so das große Licht schenkt. Als
zweites können wir bedenken, dass das Licht der Kerze Feuer ist. Feuer ist Kraft der
Gestaltung der Welt, Macht der Verwandlung. Und Feuer gibt Wärme. Auch hier wird wieder
das Geheimnis Christi sichtbar. Christus, das Licht, ist Feuer, ist Flamme, die das
Böse verbrennt und so die Welt und uns selber umgestaltet. „Wer mir nahe ist, ist
dem Feuer nahe“, lautet ein Wort Jesu, das uns Origenes überliefert hat. Und dieses
Feuer ist zugleich Wärme, nicht kaltes Licht, sondern Licht, in dem die Wärme und
die Güte Gottes auf uns zukommen.
Der große Hymnus des Exsultet, den der Diakon
zu Beginn der Osterliturgie singt, weist uns ganz leise noch auf einen weiteren Gesichtspunkt
hin. Er erinnert daran, dass dieses Gebilde, die Kerze, zuallererst der Arbeit der
Bienen zu verdanken ist. So spielt die ganze Schöpfung herein. Die Schöpfung wird
in der Kerze zum Träger des Lichts. Aber irgendwie steckt darin nach dem Gedanken
der Väter auch ein stiller Hinweis auf die Kirche. Das Zusammenwirken der lebendigen
Gemeinschaft der Gläubigen in der Kirche ist gleichsam wie das Wirken der Bienen.
Es baut die Gemeinschaft des Lichtes auf. So dürfen wir in der Kerze auch einen Anruf
an uns selbst und an unser Miteinander in der Gemeinschaft der Kirche sehen, die da
ist, damit das Licht Christi in die Welt hineinleuchten kann.
Bitten wir den
Herrn in dieser Stunde darum, dass er uns die Freude seines Lichts erfahren lässt,
und bitten wir ihn darum, dass wir selber Träger seines Lichts werden, dass das Leuchten
von Christi Antlitz durch die Kirche in die Welt herein tritt (vgl. Lumen Gentium
1).