Liebe Schwestern und Brüder! In dieser heiligen Messe gehen unsere Gedanken zurück
in die Stunde, in der der Bischof uns mit Handauflegung und Gebet in das Priestertum
Jesu Christi hineingenommen hat, so dass wir „in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh
17, 19), wie Jesus in seinem hohepriesterlichen Gebet es für uns vom Vater erbetet
hat. Er selbst ist die Wahrheit. Er hat uns geheiligt, das heißt für immer an Gott
übergeben, damit wir von Gott her und auf ihn hin den Menschen dienen können. Aber
sind wir auch in der Wirklichkeit unseres Lebens geheiligt – Menschen, die von Gott
her in der Gemeinschaft mit Jesus Christus wirken? Mit dieser Frage steht der Herr
vor uns, stehen wir vor ihm.
„Wollt ihr dem Herrn Jesus Christus enger verbunden
und gleichgestaltet werden, auf euch selbst verzichten und die Versprechen erneuern,
eure heiligen Pflichten, die ihr am Weihetag mit Freude übernommen habt?“ So werde
ich nach dieser Homilie jeden einzelnen und auch mich selbst fragen.
Zweierlei
wird da vor allem gesagt: Es geht um eine innere Verbindung, ja, um Gleichgestaltung
mit Christus, und dabei geht es notwendig um ein Überschreiten unserer selbst, um
den Verzicht auf das bloß Eigene, auf die viel beschworene Selbstverwirklichung. Es
geht darum, dass wir, dass ich mein Leben gerade nicht für mich selbst beanspruche,
sondern es einem anderen – Christus – zur Verfügung stelle. Dass ich nicht frage:
Was habe ich davon, sondern frage: Was kann ich für ihn und so für die anderen geben?
Oder noch konkreter: Wie muss diese Gleichgestaltung mit Christus, der nicht herrscht,
sondern dient; der nicht nimmt, sondern gibt – wie muss sie in der oft dramatischen
Situation der Kirche von heute aussehen?
Vor kurzem hat eine Gruppe von Priestern
in einem europäischen Land einen Aufruf zum Ungehorsam veröffentlicht und dabei gleichzeitig
auch konkrete Beispiele angeführt, wie dieser Ungehorsam aussehen kann, der sich auch
über endgültige Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes hinwegsetzen soll wie zum
Beispiel in der Frage der Frauenordination, zu der der selige Papst Johannes Paul
II. in unwiderruflicher Weise erklärt hat, dass die Kirche dazu keine Vollmacht vom
Herrn erhalten hat. Ist Ungehorsam ein Weg, um die Kirche zu erneuern? Wir wollen
den Autoren dieses Aufrufs glauben, dass sie die Sorge um die Kirche umtreibt; dass
sie überzeugt sind, der Trägheit der Institutionen mit drastischen Mitteln begegnen
zu müssen, um neue Wege zu öffnen – die Kirche wieder auf die Höhe des Heute zu bringen.
Aber ist Ungehorsam wirklich ein Weg? Spüren wir darin etwas von der Gleichgestaltung
mit Christus, die die Voraussetzung jeder wirklichen Erneuerung ist oder nicht doch
nur den verzweifelten Drang, etwas zu machen, die Kirche nach unseren Wünschen und
Vorstellungen umzuwandeln?
Aber machen wir es uns nicht zu leicht. Hat nicht
Christus die menschlichen Traditionen korrigiert, die das Wort und den Willen Gottes
zu überwuchern drohten? Ja, er hat es getan, um den Gehorsam zum wirklichen Willen
Gottes, zu seinem immer gültigen Wort neu zu wecken. Es ging ihm gerade um den wahren
Gehorsam, gegen die Eigenwilligkeit des Menschen. Und vergessen wir nicht: Er war
der Sohn, mit der einzigartigen Vollmacht und Verantwortung, den reinen Gotteswillen
freizulegen, um so den Weg von Gottes Wort in die Welt der Völker zu eröffnen. Und
endlich: Er hat seinen Auftrag mit seinem eigenen Gehorsam und seiner Demut bis ans
Kreuz hin konkretisiert und so seine Sendung beglaubigt. Nicht mein, sondern dein
Wille: Dies ist das Wort, das den Sohn, seine Demut und seine Göttlichkeit zugleich
zeigt und uns den Weg weist.
Lassen wir uns noch einmal fragen: Wird mit solchen
Erwägungen nicht doch der Immobilismus, die Erstarrung der Traditionen verteidigt?
Nein. Wer auf die Geschichte der Nachkonzilszeit hinschaut, der kann die Dynamik der
wahren Erneuerung erkennen, die in lebendigen Bewegungen oft unerwartete Gestalten
angenommen hat und die unerschöpfliche Lebendigkeit der heiligen Kirche, die Anwesenheit
und die Wirksamkeit des Heiligen Geistes geradezu greifbar werden lässt. Und wenn
wir auf die Menschen hinschauen, von denen diese frischen Ströme des Lebens ausgingen
und ausgehen, dann sehen wir auch, dass zu neuer Fruchtbarkeit das Erfülltsein von
der Freude des Glaubens, die Radikalität des Gehorsams, die Dynamik der Hoffnung und
die Kraft der Liebe gehören.
Liebe Freunde, es bleibt dabei: Die Gleichgestaltung
mit Christus ist Voraussetzung und Grund aller Erneuerung. Aber vielleicht erscheint
uns manchmal die Gestalt Jesu Christi zu hoch und zu groß, als dass wir wagen könnten,
daran Maß zu nehmen. Der Herr weiß das. Deshalb hat er für Übersetzungen in Größenordnungen
gesorgt, die uns zugänglicher und näher sind. Paulus hat aus eben diesem Grund seinen
Gemeinden ohne Scheu gesagt: Ahmt mich nach, ich aber gehöre Christus. Er war für
seine Gläubigen eine Übersetzung von Christi Lebensstil, die sie sehen und der sie
sich anschließen konnten. Seit Paulus hat es die ganze Geschichte hindurch immerfort
solche Übersetzungen von Jesu Weg in geschichtliche Lebensgestalten hinein gegeben.
Wir
Priester können an eine große Schar heiliger Priester denken, die uns als Wegweiser
vorangehen: von Polykarp von Smyrna und Ignatius von Antiochien angefangen, über die
großen Seelsorger Ambrosius, Augustinus und Gregor dem Großen bis hin zu Ignatius
von Loyola, Karl Borromäus und bis zu Johannes Maria Vianney und den Priestermärtyrern
des 20. Jahrhunderts und schließlich bis zu Papst Johannes Paul II., der im Tun und
Leiden die Gleichgestaltung mit Christus uns als „Gabe und Geheimnis“ vorgelebt hat.
Die Heiligen zeigen uns, wie Erneuerung geht und wie wir ihr dienen können. Und sie
lassen uns auch wissen, dass Gott nicht auf die große Zahl und auf die äußeren Erfolge
schaut, sondern seine Siege im demütigen Zeichen des Senfkorns erringt.
Liebe
Freunde, ganz kurz möchte ich noch zwei Stichworte aus der Erneuerung des Weiheversprechens
berühren, die uns in dieser Stunde der Kirche und unseres eigenen Lebens zu denken
geben sollten. Da ist zunächst die Erinnerung daran, dass wir – wie Paulus es ausgedrückt
hat – „Ausspender der Geheimnisse Gottes sind“ (1 Kor 4, 1) und dass uns der Dienst
der Lehre (munus docendi) obliegt, der ein Teil dieses Ausspendens von Gottes Geheimnissen
ist, in denen er uns sein Gesicht und sein Herz zeigt, um uns sich selber zu schenken.
In
der Begegnung der Kardinäle anlässlich des jüngsten Konsistoriums haben mehrere der
Hirten der Kirche aus ihrer Erfahrung von einem religiösen Analphabetismus gesprochen,
der sich mitten in unserer gescheiten Gesellschaft ausbreitet. Die Grundlagen des
Glaubens, die früher jedes Kind wusste, werden immer weniger gekannt. Aber damit wir
unseren Glauben leben und lieben können, damit wir Gott lieben können und damit recht
auf ihn zu hören fähig werden, müssen wir wissen, was Gott uns gesagt hat; muss unser
Verstand und unser Herz von seinem Wort berührt werden.
Das Jahr des Glaubens,
das Gedenken an die Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren soll uns
ein Anlass sein, mit neuem Eifer und neuer Freude die Botschaft des Glaubens zu verkündigen.
Die finden wir natürlich grundlegend und zuallererst in der Heiligen Schrift, die
wir nicht genug lesen und bedenken können. Aber dabei machen wir alle die Erfahrung,
dass wir Hilfe brauchen, um sie recht in die Gegenwart zu übertragen; dass sie uns
wirklich ins Herz trifft. Diese Hilfe finden wir zuallererst im Wort der lehrenden
Kirche: Die Texte des II. Vaticanums und der Katechismus der Katholischen Kirche sind
die wesentlichen Instrumente, die uns unverfälscht zeigen, was die Kirche vom Wort
Gottes her glaubt. Und natürlich gehört der ganze, noch längst nicht ausgeschöpfte
Schatz der Dokumente dazu, die uns Papst Johannes Paul II. geschenkt hat.
All
unsere Verkündigung muss Maß nehmen an dem Wort Jesu Christi: „Meine Lehre ist nicht
meine Lehre“ (Joh 7, 16). Wir verkündigen nicht private Theorien und Meinungen, sondern
den Glauben der Kirche, deren Diener wir sind. Aber das darf natürlich nicht heißen,
dass ich nicht mit meinem ganzen Ich hinter dieser Lehre und in ihr stehen würde.
Ich muss dabei immer an das Wort des heiligen Augustinus denken: Was ist so sehr mein
wie ich selbst? Und was ist so wenig mein wie ich selbst? Ich gehöre nicht mir selbst,
und ich werde ich selber gerade dadurch, dass ich mich überschreite und durch die
Überschreitung meiner selbst in Christus und in seinen Leib, die Kirche, hineinfinde.
Wenn wir nicht uns selbst verkündigen und wenn wir inwendig ganz eins geworden sind
mit dem, der uns gerufen hat als seine Botschafter, so dass wir vom Glauben geformt
sind und ihn leben, dann wird unsere Predigt glaubhaft werden. Ich werbe nicht für
mich selbst, sondern ich gebe mich selbst. Der Pfarrer von Ars war kein Gelehrter,
kein Intellektueller, das wissen wir. Aber er hat die Menschen ins Herz getroffen
mit seiner Verkündigung, weil er selbst ins Herz getroffen war.
Das letzte
Stichwort, das ich noch anrühren möchte, heißt Seeleneifer (animarum zelus). Es ist
ein altmodischer Ausdruck, der heute kaum noch gebraucht wird. Das Wort Seele gilt
in manchen Kreisen geradezu als ein verbotenes Wort, weil es angeblich einen Dualismus
zwischen Leib und Seele ausdrücke, den Menschen zu Unrecht zerteile. Natürlich ist
der Mensch nur einer, mit Leib und Seele zur Ewigkeit bestimmt. Aber das kann doch
nicht bedeuten, dass wir nun keine Seele mehr hätten, kein konstitutives Prinzip,
das die Einheit des Menschen in seinem Leben und über seinen irdischen Tod hinaus
gewährleistet. Und natürlich sorgen wir uns als Priester um den ganzen Menschen, gerade
auch um dessen leibliche Nöte – um die Hungernden, um die Kranken, um die Obdachlosen.
Aber wir sorgen uns nicht nur um den Leib, sondern gerade auch um die seelischen Nöte
des Menschen: um die Menschen, die unter der Zerstörung des Rechts oder unter zerstörter
Liebe leiden; um die Menschen, die sich im Wahrheitsdunkel befinden; die unter der
Abwesenheit von Wahrheit und Liebe leiden. Wir sorgen uns um das Heil der Menschen
an Leib und Seele.
Und als Priester Jesu Christi tun wir es mit Eifer. Die
Menschen dürfen nie das Gefühl haben, dass wir unsere Pflichtstunden gewissenhaft
ableisten, aber zuvor und danach nur uns selbst gehören. Ein Priester gehört nie sich
selbst. Die Menschen müssen unseren Eifer spüren, durch den wir glaubhaft das Evangelium
Jesu Christi bezeugen. Bitten wir den Herrn, dass er uns mit Freude an seiner Botschaft
erfülle und dass wir so mit freudigem Eifer seiner Wahrheit und seiner Liebe dienen
dürfen. Amen.