Die Unabhängigkeitsbestrebungen
der Tuareg drohen in Mali auch die kirchliche Hilfsarbeit einzuschränken. So wurde
im Zuge der Eroberung der Stadt Gao am Wochenende das lokale Caritas-Büro zerstört,
Mitarbeiter mussten fliehen, verbleibende Helfer fürchten um ihr Leben. Das teilte
der vatikanische Dachverband Caritas internationalis am Montag in Rom unter Berufung
auf lokale Mitarbeiter mit. Ob sich unter die Wut der Rebellen gegen die Zentralregierung
auch religiöser Fanatismus mischt, darüber sind widersprüchliche Meldungen zu hören.
Der Afrika-Experte der Jesuitenzeitschrift „Popoli“, Enrico Casale, sagt dazu im Interview
mit Radio Vatikan: „Das Ziel der ,Nationalen Befreiungsbewegung von Azawad‘
(MNLA) ist es, einen demokratischen und laizistischen Staat aufzubauen. Auch
haben die Tuareg versucht, fundamentalistische Gruppen in Schach zu halten, die es
im Norden des Landes gibt. In den vergangenen Jahren haben El Kaida-Milizen aus der
islamistischen Maghreb-Region dort ihre Lager aufgeschlagen. Die Tuareg-Rebellen haben
sich aber stets gegen eine Vermischung mit diesen Terrorzellen verwehrt, die in der
Region auch mit Entführungen für Unruhe sorgten.“ Nach der jüngsten
Einnahme der Stadt Timbuktu durch die Rebellen war allerdings auch zu hören gewesen,
dass dort nun islamistische Extremisten der Gruppe Ansar Eddine regierten; diese wollten
die Scharia einführen und unterhielten Verbindungen zum nordafrikanischen Zweig von
El Kaida, berichtete afp unter Verweis auf lokale Beobachter. Casale erklärt, woher
der Unmut der Rebellen kommt:„Ursache der Revolte in Mali ist eine Grundunzufriedenheit
der Tuareg, die schon vor der Unabhängigkeit teil haben wollten an den Institutionen
des Landes. Nach der Unabhängigkeit haben sie sich immer wieder gegen die Zentralregierung
in Bamako aufgelehnt. Abgesehen von diesem Unmut geht es dieses Mal aber auch um die
Libyenkrise: Viele Tuareg, die heute gegen das Militär von Mali vorgehen, sind ehemalige
Militärs, die mit Gheddafi kämpften. Als das Regime in Libyen fiel, sind sie mit Waffen
beladen in ihr Heimatland zurückgekehrt.“ Nach Angaben des vatikanischen Dachverbands
setzt die Caritas in Mali derzeit ihre Hilfsarbeit so gut es geht fort. Man habe Mais,
Hirse, Reis und Sorghum sowie Saatgut an 100.000 Menschen verteilt, die von einer
wachsenden Nahrungsmittelkrise bedroht sind. Zudem versorge die Organisation Flüchtlinge,
die vor dem Konflikt in südliche Landesteile ausweichen. „Wenn die Rebellen ihre Aktivitäten
auf den Norden beschränken, kann die Mehrheit unserer Hilfsprogramme wie geplant fortgesetzt
werden“, zeigte sich der Generalsekretär der Caritas Mali, Theodore Togo, zuversichtlich.
Malis Kirche – Katholiken sind in dem Land absolute Minderheit - versuche standhaft,
in dem Konflikt zu vermitteln, erzählt Casale weiter: „Der Bischof von Bamako
hat sich in diesen Tagen für eine Waffenruhe zwischen beiden Konfliktparteien ausgesprochen
und eine Vermittlung durch die Kirche angeboten. Die Kirche hatte bereits nach dem
Putsch zu vermitteln versucht, damit das alte Regime und die Putschisten sich nicht
zu sehr entzweien. Es handelt sich um eine Minderheitenkirche in einem überwiegend
islamischen Land.“In dem bitterarmen Subsahara-Staat habe der Konflikt klar auch
eine soziale Prägung, fährt der Experte fort: „Mali ist ein sehr geteiltes Land:
die Bevölkerung des Südteils kommt aus der Sahelzone und ist stärker mit der islamisch-arabischen
Welt verbunden. Aus wirtschaftlicher Perspektive ist Mali eines der ärmsten Länder
Afrikas, die nördlichen Gebiete sind die ärmsten Zonen des Landes. Es gibt also in
den aufständischen Gebieten auch den Anspruch, dass in den Norden investiert wird,
zum Beispiel in Infrastrukturen, denn es gibt dort praktisch keine asphaltierten Straßen,
es gibt außer in größeren Orten keine Schulen, es gibt keine Sanitäranlagen außer
einige, die durch ausländische Mitglieder der Tuareg finanziert wurden.“ Die
Krise in Mali steht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an diesem Dienstag auf
der Tagesordnung. Das Interesse des Auslandes an dem westafrikanischen Land sie nicht
nur uneigennützig, klärt der Jesuit auf: „Die westlichen Mächte, vor allem die
USA und Frankreich - Frankreich ist für Mali ja die ehemalige Kolonialmacht – haben
großes Interesse an den natürlichen Rohstoffen, die es in Mali im Überfluss geben
soll. Im Norden gibt es Erdöl, von dem große Mengen entdeckt wurden, und Uran. Man
muss sich vor Augen halten, dass im nahen Niger Uranvorkommen abgebaut werden. Die
USA und Frankreich wollen verhindern, dass diese Rohstoffe den Chinesen in die Hände
fallen, wie es im Niger passiert ist. Abgesehen von den Ansprüchen der Tuareg stehen
also auch richtige wirtschaftliche Gründe hinter dem Konflikt.“