Ägypten: Kopten ziehen sich aus Verfassungskommission zurück
Die koptischen Christen
ziehen ihre Vertreter aus dem Gremium zurück, das eine neue Verfassung ausarbeiten
soll. Das berichtet die staatliche Kairoer Nachrichtenagentur. Die Verfassungskommission
werde von Islamisten dominiert und spiegele die Bevölkerungsvielfalt in Ägypten nicht
angemessen wider, so die koptisch-orthodoxe Kirche am Sonntag Abend. Damit sei eine
weitere Teilnahme an den Beratungen „sinnlos“. Die bisherige Verfassung ist im Februar
letzten Jahres kurz nach dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak durch den Militärrat
außer Kraft gesetzt worden.
Der Verfassungskommission gehören hundert Mitglieder
an. Gewählt wurden sie vom Parlament, in dem islamistische Parteien eine absolute
Mehrheit der Sitze haben. Die Kopten sind mit rund zehn Prozent die wichtigste Minderheit
in Ägypten. Ihrem Entschluss, die Verfassungskommission zu boykottieren, haben alle
20 koptischen Delegierten in der Kommission zugestimmt. Auch mehrere liberale Parteien
und sogar die islamische Kairoer al-Azhar-Universität, eine wichtige Autorität im
sunnitischen Islam, hatten sich schon zuvor gleichfalls aus dem Gremium zurückgezogen.
Die Menschen in Ägypten brauchen keine religiöse Diktatur, sondern eine zivile
demokratische Regierung, die die großen wirtschaftlichen und sozialen Probleme des
Landes in Angriff nimmt. Das hat der koptisch-katholische Bischof von Minya, Ibrahim
Sidrak, betont. Bei einem Besuch in Österreich berichtete der Bischof unlängst, dass
immer mehr Menschen erkennen würden, dass Muslimbrüder und Salafisten kein Interesse
an Bildungs- und Wirtschaftsprogrammen oder der Entwicklung demokratischer Strukturen
hätten. Den Menschen werde klar, dass sie bei den letzten Wahlen die Falschen gewählt
hätten. Die islamistischen Parteien hätten „zu viel Geld“ - er wolle nicht sagen,
woher dieses Geld komme, aber das könne sich jeder zusammenreimen. Diese Gelder ermöglichten
es den Islamisten, die Not der Menschen auszunützen und deren Stimmen - wie bei den
letzten Wahlen - zu kaufen, so der Bischof. Wer bei den Parlamentsdebatten in Kairo
zuhöre, der sehe, dass es da um alles Mögliche gehe, aber nicht um echte Demokratie.
Die
koptisch-katholische Kirche sei nur eine kleine Minderheit innerhalb der christlichen
Minderheit im Land. Trotzdem wolle man einen Beitrag für die Zukunft des Landes leisten.
Das geschehe beispielsweise durch die eigenen Schulen, die oft auch von fünfzig Prozent
oder noch mehr muslimischen Schülern besucht würden. Christliche und muslimische Kinder
und Jugendliche würden hier gegenseitigen Respekt lernen, der eine wesentlich Voraussetzung
für ein künftiges Zusammenleben sei, so der Bischof. Sogar Eltern, die den Muslimbrüdern
oder Salafisten nahestehen, würden ihre Kinder in katholische Schulen schicken.
Die
Boykott-Ankündigung der (orthodoxen) Kopten erfolgte, nachdem die Partei der Muslimbrüder
am Samstag angekündigt hatte, doch einen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen.
Zuvor hatte die Partei immer bekräftigt, sie werde bei den Wahlen vom 23. Mai einen
Kandidaten unterstützen, der nicht der Muslimbruderschaft angehöre. Präsidentschaftskandidat
wird un Khairat al-Chater, der zweite Mann der Muslimbruderschaft. Diese Nachricht
hat die Kopten alarmiert. Seit dem Tod ihres Oberhauptes Papst Schenuda im März fragen
sie sich ohnehin, wie sie künftig noch ihre Stimme im sich wandelnden Ägypten hörbar
machen sollen.
Die kleine koptisch-katholische Kirche betreibe u.a. zwölf
Sozialzentren, berichtete Bischof Sidrak. Ein Schwerpunkt liege auf Alphabetisierungskursen
für Frauen und Mädchen, ein anderer auf der Arbeit mit Behinderten. Die Kirche vergebe
auch Mikrokredite, damit sich Menschen eine eigene Existenz aufbauen können. Einige
kirchliche Initiativen wie die Gefängnisseelsorge habe inzwischen auch bei Muslimen
Interesse und Nachahmer gefunden, berichtete der Bischof.
Zur Gewalt gegen
Christen und die Zerstörung von Kirchen sagte der Bischof, dass dahinter eine politische
Strategie stehe, um Chaos zu schaffen. Zur Frage nach den konkreten Akteuren wollte
er keine Antwort geben.
Von den 85 Millionen Ägyptern sind rund zehn Prozent
Christen, die meisten koptisch-orthodox. Zur koptisch-katholischen Kirche gehören
rund 250.000 Personen. In der Diözese Minya, rund 250 Kilometer südlich von Kairo,
leben mit 50.000 Gläubigen die verhältnismäßig meisten Katholiken in Ägypten.