Fast 15 Jahre lang
leitete er das größte katholische Entwicklungshilfswerk der Weltkirche, misereor:
Prälat Josef Sayer. Vor einer Woche trat er in den Ruhestand, sein Nachfolger Pirmin
Spiegel übernahm. Christine Seuss hielt gemeinsam mit Josef Sayer Rückschau auf seine
Zeit bei misereor und wollte von dem tatkräftigen Priester zunächst wissen, was für
seinen Weg als Misereor-Chef bestimmend war.
„Für mich war das entscheidende,
als ich in Lateinamerika war, in Peru, wo ich in Elendsvierteln gelebt und gearbeitet
habe und auch in den Anden Perus in den Campesinos-Gemeinden. Ohne diese Glaubensschule,
ohne diese Lebensschule, ohne dessen Erfahrung der Armen, wie sie leben und sich durchfristen
müssen, wie sie ihren Glauben in schwierigen Situationen gestalten, hätte ich meine
Arbeit nicht machen können.“
Misereor gilt als das weltweit größte kirchliche
Entwicklungshilfswerk. Wofür steht Misereor, was ist sein Grundanliegen?
„Als
erstes kommt es darauf an, dass die Menschen zu essen haben. Das tägliche Brot darf
nicht auf den Tischen der Armen fehlen, das hat Johannes Paul II. bei seinem Besuch
in Lima vor den Elendsviertelbewohner ausgedrückt. Der Hunger nach Gott soll wachsen,
aber es muss alles getan werden, dass der Hunger auch verschwinde, den die Menschen
haben, dadurch, dass sie kein trägliches Brot haben. Und das hat er gesagt: das ist
ein göttliches Recht, das wir im Vaterunser bekennen. Ich glaube mein Einsatz ging
eben darum, mit zu arbeiten in den vielen misereor-Projekten, das sowohl in Afrika
als auch in Lateinamerika und in Asien eine Landwirtschaft möglich ist, dass sich
die Menschen selber ernähren können. Es ist auch ein unglaublicher Skandal, dass dort,
wo die Nahrungsmittel produziert werden, dass man dort am meisten hungert. Genauso
ist es mit dem Tinkwasser oder mit der Gesundheitsversorgung. Wenn wir überlegen,
dass in Subsahara Afrika jede 19. Frau stirbt während der Schwangerschaft oder bei
der Geburt, das ist doch ein Skandal! Wenn wir überlegen, dass wir die Milleniumsentwicklungsziele
verabschiedet haben.“
Misereor als katholisches Werk ist auch ganz vorne
mit dabei, in Entwicklungsländern grundlegende Menschenrechte zu verteidigen und die
Sensibilität für die Würde jedes Menschen zu erhöhen. Mit welchen Mitteln kann man
das?
„Benedikt XVI. hat eine wunderbare Rede gehalten zum Jubiläum der
UN. Und hat da eben nochmal die Menschenrechte eingefordert und hat eben auch von
der Schutzpflicht der Regierungen für die Armen gesprochen, und das ist mir so eingegangen.
Während dieser Zeit war die Wahrheits- und Versöhnungskommission in verschiedenen
Ländern Lateinamerikas oder Afrikas, wenn Menschen gelitten haben während Kriegsphasen
wo es furchtbar zugegangen ist. Ich selber habe eine Kriegsphase mitbekommen und wo
man merkt, hier wird überhaupt kein Recht eingehalten und dass dann die Regierungen
die Schutzpflicht verletzen, weil sie selber terroristische Gewalt anwenden, da setzt
sich misereor ein und arbeitet mit Stützkommissionen, damit Versöhnung möglich werde,
gerade nach solchen traumatischen Erfahrungen wie Kriege. Da konnte ich dann also
während dieser Phase sehr viel machen, sei es in Liberia, sei es in Ruanda, Burundi
im Kongo vorallem. Und das war dann auch so eine Sache, wo wir voran gekommen sind
im Kongo, wo wir versucht haben die Bischofskonferenz dort zu stützen, bei der Begleitung
der Wahl. Wenn wir überlegen, dass von 1997 bis 2002 vier Millionen Menschen ums Leben
gekommen sind in diesen kriegerischen Auseinandersetzungen, das ist furchtbar. Wir
haben geholfen, dass 50.000 Wahlhelfer bei der ersten Wahl dabei waren. Bei der zweiten
Wahl 30.0000 Wahlhelfer.“
Misereor hat nicht weniger als 2.600 Partnerorganisationen
auf den Südkontinenten, ein beeindruckendes Netzwerk. Warum ist es so entscheidend,
dass der Norden den Süden nicht aus dem Blick verliert?
„Die Armen sitzen
nicht am Tisch der G7, der G8 oder der G20. Deshalb habe ich versucht eben mit den
kontinentalen Zusammenschlüssen der Bischofskonferenz von Afrika, Asien, Lateinamerika,
der Pazifikregion so etwas wie ein Süd-Süd-Dialog über herausfordernde Fragen anzustreben,
wie zum Beispiel Klimawandel, dass dann die Kirche diese Stimme der Armen einbringt
bei den Politikern im Norden und aber auch in die Kirchen im Norden, damit man Rücksicht
nimmt, damit alle wirklich Mensch sein können.“
Hintergrund: „misereor“
ist ein Hilfswerk der katholischen Kirche seit 1958, das Hilft den Ärmsten der Armen.
Gemeinsam mit einheimischen Partnern unterstützt „misereor“ Menschen jeden Glaubens,
jeder Kultur, jeder Hautfarbe, in 100.000 Projekten - in Afrika, Asien, Ozeanien und
Lateinamerika. Ihr Motto lautet: . Das Motiv ist Nächstenliebe, aber auch ein politischer
Ansatz, der sagt: Es darf nicht so bleiben, wie es ist, sondern es müssen sich grundsätzliche
Dinge ändern. (rv 01.04.2012 cs)