Jüdisch-katholische Gedanken zu einer gerechten Wirtschaftsordnung
„Die Wirtschaftskrise hat verstärkt aufgezeigt, wie sehr die Ethik im wirtschaftlichen
Denken fehlt“: das ist die Schlussfolgerung, zu der die bilaterale Kommission des
israelischen Großrabbinats und des Heiligen Stuhls für die Beziehungen zwischen den
beiden Konfessionen nach ihrer elften Zusammenkunft kommt. Das Thema des Treffens,
das vom Rabbiner Shear-Yashuv Cohen und vom Kardinal Peter Turkson moderiert wurde,
lautete: „Religiöse Perspektiven in der aktuellen Finanzkrise: Gedanken zu einer gerechten
Wirtschaftsordnung“.
„Auch wenn viele Gründe zur Finanzkrise geführt haben,
liegt ihr vor allem eine Krise der moralischen Werte zugrunde, in der das raffgierige
Besitztum dem Wert des „Seins” den Rang abgelaufen hat“, so benennen die Kommissionsmitglieder
das Herzstück der Reflexionen. Das Ziel sei, so wiederholte die Kommission, eine „eine
gerechte Wirtschaftsordnung“, die sich der Tatsache bewusst sei, dass Gott die „Reichtümer“
der Welt „für das Gemeinwohl bestimmt“ habe. „Bei finanziellen Aktivitäten fehlt mittlerweile
in besorgniserregender Weise der Wert der Wahrheit“, so eine weitere Passage aus der
mit deutlichen Worten gespickten Verlautbarung, die von Juden und Katholiken abgegeben
wurde. In ihr wird an fundamentale Werte wie „Solidarität und Brüderlichkeit“ oder
„Ehrlichkeit und Transparenz“ erinnert, um dann eine „Kultur der Begrenzung“, die
zu „Bescheidenheit und Verantwortungsbewusstsein“ führen solle, zu fordern. Dabei
wird die Verpflichtung betont, „die menschlichen Grundbedürfnisse wie Schutz des Lebens,
Versorgung, Kleidung, Gesundheit, Bildung und Arbeit zu erfüllen“. Ebenso deutlich
wird gesagt, dass man dabei vor allem die Schwachen, oder Staaten mit einer geringen
Wirtschaftsleistung, berücksichtigen solle. In diesem Zusammenhang hat die Kommission
eine klare Einladung ausgesprochen: „So wie man angesichts der Krise nationale und
internationale Schulden teilweise erlassen hat, so sollte man es jetzt auch mit Familien
und Einzelnen halten, damit sie wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen.“ Es geht
also um Werte, aber auch um konkrete Vorschläge, wie dieses Ziel zu erreichen sei.
Das gemeinsame Verständnis von Juden und Katholiken wird durch ein tiefes Bewusstsein
getragen: „Die religiösen Gemeinschaften sind zusätzlich zu ihrer Weisheit, die sie
aus ihrem spirituellen Erbe schöpfen, auch Pfeiler der Gesellschaft, in der sie leben,
und müssen zusammen mit politischen und gesellschaftlichen Kräften eine zentrale Rolle
bei der Absicherung einer gerechten Sozial- und Wirtschaftsordnung spielen.“
Der
Rabbiner Shear-Yashuv Cohen hat die Zusammenkunft eröffnet, indem er Gott für den
historischen Wandel in den jüdisch-katholischen Beziehungen seit dem II. Vatikanischen
Konzil und die Kommission selbst, die nach dem wichtigen Besuch von Johannes Paul
II. in Israel eingerichtet wurde, gedankt hat. Die aus Israel angereisten Gäste trafen
sich auch mit dem Schweizer Kuridenkardinal Kurt Koch, der den Päpstlichen Einheitsrat
leitet und von Vatikanseite für das Gespräch mit dem Judentum verantwortlich ist.