Vesper im Wortlaut: Gemeinsam auf Christus schauen
Papst Benedikt XVI. hat am Sonntagabend Ortszeit in der Kathedrale von Léon einen
Vespergottesdienst gefeiert. An der Feier nahmen auch Mexikos Bischöfe sowie Vertreter
der Bischofskonferenzen aus Lateinamerika und der Karibik Teil. Hier die Ansprache
im Wortlaut:
Meine Herren Kardinäle, liebe Mitbrüder im bischöflichen
Dienst!
Es ist mir eine große Freude, mit euch allen in dieser Kathedrale von
Léon zu beten, die Unserer Lieben Frau vom Licht geweiht ist. Auf dem schönen Bild,
das in diesem Gotteshaus verehrt wird, hält die Heilige Jungfrau ihren Sohn mit großer
Zärtlichkeit in der einen Hand, während sie die andere ausstreckt, um den Sündern
zu helfen. So sieht die Kirche aller Zeiten Maria; sie preist sie, weil sie uns den
Erlöser geschenkt hat, und vertraut sich ihr an, weil sie die Mutter ist, die ihr
göttlicher Sohn uns vom Kreuz aus übergeben hat. Darum rufen wir sie oft als „unsere
Hoffnung“ an, weil sie uns Jesus gezeigt hat und die Wunder, die Gott für die Menschheit
vollbracht hat und vollbringt, in einfacher Weise übermittelt hat, als würde sie diese
den Kleinen im Haus erklären.
Ein entscheidendes Zeichen dieser Wunder bietet
uns die Kurzlesung, die in dieser Vesper vorgetragen wurde. Die Einwohner von Jerusalem
und ihre Führer haben Christus nicht erkannt, doch indem sie ihn zum Tode verurteilten,
haben sie in Wirklichkeit die Worte der Propheten erfüllt (vgl. Apg 13,27).
Ja, die Niedertracht und die Unwissenheit der Menschen vermag den göttlichen Heilsplan,
die Erlösung, nicht aufzuhalten. Das Böse kann nicht viel ausrichten.
An ein
anderes Wunder Gottes erinnert uns der zweite Psalm, den wir eben gebetet haben: Der
„Fels“ wird zur „Wasserflut“ und „Kieselgestein zu quellendem Wasser“ (Ps 114,8).
Was ein Stein sein könnte, an dem man anstößt und zu Fall kommt, hat sich mit dem
Triumph Christi über den Tod in einen Eckstein verwandelt: „Das hat der Herr vollbracht,
vor unseren Augen geschah dieses Wunder“ (Ps 118,23). Es gibt also keine Gründe,
sich der Macht des Bösen zu beugen. Und bitten wir den auferstandenen Herrn, daß er
seine Kraft in unseren Schwächen und Fehlern erweist.
Diese Begegnung mit euch
Hirten der pilgernden Kirche Christi in Mexiko und in den verschiedenen Ländern dieses
großen Kontinents habe ich sehnlich erwartet als eine Gelegenheit, gemeinsam auf Christus
zu schauen, der euch die wunderbare Aufgabe anvertraut hat, das Evangelium in diesen
Ländern starker katholischer Tradition zu verkünden. Die augenblickliche Situation
eurer Diözesen weist sicherlich Herausforderungen und Schwierigkeiten verschiedenster
Herkunft auf. Doch da wir wissen, daß der Herr auferstanden ist, können wir zuversichtlich
voranschreiten, in der Überzeugung, daß das Böse in der Geschichte nicht das letzte
Wort hat und daß Gott einer Hoffnung, die nicht zugrunde gehen läßt (vgl. Röm
5,5), neuen Raum geben kann.
Ich danke für den freundlichen Gruß, den der Erzbischof
von Tlalnepantla, Präsident der Mexikanischen Bischofskonferenz und des Lateinamerikanischen
Bischofsrats, im Namen aller an mich gerichtet hat. Ich bitte euch Hirten der verschiedenen
Teilkirchen, bei der Heimkehr in eure Diözesen euren Gläubigen die tiefempfundene
Liebe des Papstes zu überbringen, der all ihre Leiden und Erwartungen in seinem Herzen
trägt.
Wenn ich sehe, wie sich in euren Gesichtern die Sorgen um die Herde
widerspiegeln, um die ihr euch kümmert, kommen mir die Versammlungen der Bischofssynode
in den Sinn, in denen die Teilnehmer applaudieren, wenn diejenigen das Wort ergreifen,
die ihren Dienst in Situationen versehen, die für das Leben und die Sendung der Kirche
besonders schmerzlich sind. Diese Geste entspringt aus dem Glauben an den Herrn und
bedeutet Brüderlichkeit im apostolischen Einsatz sowie Dankbarkeit und Bewunderung
für die, welche das Evangelium unter Dornen in Form von Verfolgungen, Ausgrenzung
oder Verachtung aussäen. Auch fehlt es nicht an Sorgen wegen mangelnder Mittel und
menschlicher Ressourcen oder wegen der Einschränkungen der Freiheit der Kirche in
der Erfüllung ihrer Sendung.
Der Nachfolger Petri teilt diese Gefühle und dankt
für euren geduldigen und demütigen pastoralen Eifer. Ihr seid nicht allein in den
Schwierigkeiten, und seid es auch nicht in den Erfolgen der Evangelisierung. In den
Leiden und im Trost sind wir alle miteinander vereint (vgl. 2 Kor 1,5). Ihr
sollt wissen, daß ihr im Gebet dessen, der von Christus die Aufgabe empfangen hat,
seine Brüder im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22,32), einen besonderen Platz
habt. Er ermutigt seine Brüder auch, sich nicht von Widrigkeiten abschrecken zu lassen,
sondern dafür zu sorgen, daß in diesen Ländern immer mehr Menschen unseren Herrn Jesus
Christus kennen, ihn lieben und ihm folgen.
Der katholische Glaube hat das
Leben, die Gebräuche und die Geschichte dieses Kontinents, in dem viele seiner Nationen
gerade das zweihundertjährige Jubiläum ihrer Unabhängigkeit feiern, deutlich geprägt.
Es ist ein historischer Moment, in dem der Name Christi, der durch hervorragende und
großherzige Missionare hierher gelangte, weiter seine Strahlkraft bewahrt. Sie verkündeten
diesen Namen mit Mut und mit Weisheit; sie gaben alles für Christus hin und zeigten
so, daß der Mensch in ihm seinen Halt und die nötige Kraft findet für ein erfülltes
Leben und den Aufbau einer menschenwürdigen Gesellschaft, so wie sein Schöpfer es
gewollt hat. Das Ideal, nichts dem Herrn vorzuziehen und unter Nutzung der charakteristischen
Eigenschaften und der besten Traditionen der Bevölkerungen das Wort Gottes in die
Herzen aller eindringen zu lassen, ist nach wie vor eine wertvolle Orientierungshilfe
für die Hirten von heute.
Die Initiativen, die wegen des Jahres des Glaubens
durchgeführt werden, müssen darauf ausgerichtet sein, die Menschen zu Christus zu
führen, dessen Gnade ihnen ermöglichen wird, sich aus den Ketten der Sünde, die sie
versklavt, zu befreien und auf eine authentische und verantwortungsvolle Freiheit
zuzugehen. Eine Hilfe leistet dazu auch die in Aparecida geförderte Misión continental,
die in den Teilkirchen Lateinamerikas und der Karibik bereits viele Früchte kirchlicher
Erneuerung erntet. Unter anderem das Studium, die Verbreitung und die Meditation der
Heiligen Schrift, welche die Liebe Gottes und unser Heil verkündet. In diesem Sinn
rufe ich euch auf, weiterhin die Schätze des Evangeliums zu erschließen, damit sie
sich in eine Kraft der Hoffnung, der Freiheit und des Heils für alle Menschen verwandeln
(vgl. Röm 1,16). Und seid auch treue Zeugen und Ausleger des Wortes des menschgewordenen
Sohnes, der lebte, um den Willen des Vaters zu erfüllen und der sich als Mensch unter
den Menschen für sie aufopferte bis zum Tod.
Liebe Mitbrüder im bischöflichen
Dienst, aus pastoraler Sicht und im Hinblick auf die Evangelisierung, die vor uns
liegt, ist es von grundlegender Bedeutung, sich mit großer Aufmerksamkeit um die Seminaristen
zu kümmern und sie darin zu ermutigen, sich nicht zu rühmen, etwas anderes zu wissen
„außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten“ (1 Kor 2,2). Nicht weniger
grundlegend ist die Nähe zu den Priestern, denen nie das Verständnis und die Ermutigung
ihres Bischof und, falls nötig, auch die väterliche Ermahnung in bezug auf unangebrachtes
Verhalten fehlen darf. Sie sind in der sakramentalen Gemeinschaft des Priestertums
eure ersten Mitarbeiter, denen ihr beständig und in bevorzugter Weise nahe sein müßt.
Dasselbe gilt für die verschiedenen Formen geweihten Lebens, deren Charismen dankbar
geschätzt und mit Verantwortung und Achtung gegenüber der erhaltenen Gabe begleitet
werden müssen. Und in zunehmendem Maß muß den Laien besondere Aufmerksamkeit geschenkt
werden, die zumeist in der Katechese, in der liturgischen Gestaltung oder in karitativer
Tätigkeit und sozialem Engagement beschäftigt sind. Ihre Bildung im Glauben ist ausschlaggebend,
um das Evangelium in der Gesellschaft von heute gegenwärtig und fruchtbar werden zu
lassen. Es ist nicht recht, daß sie das Gefühl haben, als Menschen von geringer Bedeutung
in der Kirche angesehen zu werden, trotz des Eifers, mit dem sie entsprechend ihrer
persönlichen Berufung in ihr arbeiten, und des großen Opfers, das dieser Einsatz manchmal
verlangt. Bei alledem ist es für die Hirten besonders wichtig, daß unter den Priestern,
Ordensleuten und Laien ein Gemeinschaftsgeist herrscht und unnütze Spaltungen, Kritiken
und schädliches Mißtrauen vermieden werden.
Mit diesem innigen Wunsch lade
ich euch ein, Wächter zu sein, die Tag und Nacht die Herrlichkeit Gottes verkünden,
die das Leben des Menschen ist. Steht auf der Seite derer, die ausgegrenzt sind durch
Gewalt, Macht oder einen Reichtum, der diejenigen ignoriert, denen es nahezu an allem
fehlt. Die Kirche kann das Lob Gottes nicht vom Dienst an den Menschen trennen. Der
eine Gott und Schöpfer ist es, der uns zu Geschwistern gemacht hat: Mensch zu sein
bedeutet, Bruder und Hüter des Nächsten zu sein. Auf diesem Weg muß die Kirche in
Einheit mit der gesamten Menschheit das nachleben und vergegenwärtigen, was Jesus
war: der Barmherzige Samariter, der, aus der Ferne kommend, sich in die Geschichte
der Menschen eingefügt hat, uns aufgerichtet und sich für unsere Heilung aufgeopfert
hat.
Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst, die Kirche in Lateinamerika,
die sich viele Male mit Jesus Christus in seiner Passion verbunden hat, muß weiterhin
ein Same der Hoffnung sein, der allen die Möglichkeit gibt zu sehen, wie die Früchte
der Auferstehung diese Länder erreichen und bereichern.
Möge die Muttergottes,
die unter dem Titel der Jungfrau Maria vom Licht angerufen wird, die Finsternis unserer
Welt vertreiben und unseren Weg erleuchten, damit wir das lateinamerikanische Volk
in seinen Mühen und Hoffnungen im Glauben stärken können, mit Festigkeit, Mut und
dem unerschütterlichen Glauben an den, der alles vermag und alle bis zum Äußersten
liebt. Amen (rv 25.03.2012 mg)