Deutschlands Politik
wird protestantischer: Der frühere Pastor Joachim Gauck ist neues Staatsoberhaupt.
Die Bundesversammlung in Berlin wählte den 72-Jährigen am Sonntag im ersten Wahlgang
mit deutlicher Mehrheit zum neuen Bundespräsidenten. In einer ersten Rede bat Gauck
darum, nicht zu hohe Erwartungen an ihn zu richten. Der Präsident des Zentralkomitees
der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, gratulierte Gauck am Sonntag: „Ich bin
sicher, dass Sie, geprägt von Ihren Erfahrungen in zwei deutschen Staaten, während
der Wende und in der Aufarbeitung staatlichen Unrechts, wichtige Orientierung für
die Wertedebatte in Deutschland und darüber hinaus geben werden“. Als „starker Anwalt
für das bürgerschaftliche Engagement“ werde der neue Präsident „viele Menschen in
ihrem Einsatz in der Gesellschaft, in der Politik und im Staat ermutigen“. Glück lädt
Gauck zum 98. Deutschen Katholikentag in Mannheim im Mai dieses Jahres ein.
Zollitsch:
„Hohe Glaubwürdigkeit“
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
Erzbischof Robert Zollitsch, gratulierte dem neuen Präsidenten am Sonntag. Gaucks
„hohe Glaubwürdigkeit im Eintreten für Freiheit und bürgerliche Verantwortung“ sowie
seine „breite Akzeptanz durch die Menschen sind hervorragende Voraussetzungen für
die Übernahme des Amtes als Bundespräsident“ in einer schwierigen Zeit. „Ihre christliche
Prägung und Ihr Wirken in der evangelischen Kirche, Ihr Kampf für die Überwindung
der Unfreiheit und vor allem Ihre tatkräftige Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit
der ehemaligen DDR sind große berufliche und menschliche Verdienste“, so Erzbischof
Zollitsch. Sein „politisches Gespür und die besondere Fähigkeit, den Menschen nahe
zu sein“, werde Joachim Gauck in seiner neuen Aufgabe helfen. Weiter verwies der Vorsitzende
der Deutschen Bischofskonferenz auf die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und
dem höchsten Amt im Staat, die „immer hervorragend“ gewesen seien. „Schon heute biete
ich Ihnen die tatkräftige Unterstützung der Deutschen Bischofskonferenz an“, betonte
Zollitsch.
Auch der Hamburger Erzbischof Werner Thissen wünscht Gauck in
einer ersten Reaktion auf die Wahl „Gottes Segen für Ihren Dienst an der Einheit unseres
Landes“. Der Erzbischof erinnert an das gute ökumenische Miteinander in der Zeit,
als Joachim Gauck Pastor in Rostock war. Zwischen der katholischen und den evangelischen
Gemeinden in den Neubaugebieten der Stadt habe es ein intensives Miteinander gegeben.
„Ich bin sicher, dass diese gute ökumenische Haltung auch Ihr künftiges Handeln im
Blick auf die weitaus größere Vielfalt in unserem Volk prägen wird“, so Thissen. Der
Hildesheimer Bischof Norbert Trelle würdigte an Gauck „Lebenserfahrung und ein hohes
Maß an Lebensklugheit“. Seine Biographie sei „ein Spiegel der deutschen Nachkriegsgeschichte“;
der neue Präsident sei „sensibel für die Gefährdung der Gesellschaft durch totalitäre
politische Systeme, die den Menschen über Gott stellen“, und werde sicher „ein Bundespräsident
aller Deutschen werden“.
Prälat Jüsten: Für mehr Wahrhaftigkeit in den
Medien
Vor Beginn der Bundesversammlung in Berlin hatten die evangelische
und katholische Kirche gemeinsam ein ökumenisches Morgenlob in der Französischen Friedrichstadtkirche
in Berlin gefeiert. Prälat Karl Jüsten, der Leiter des Katholischen Büros in Berlin,
würdigte in seiner Predigt die vielen Menschen, die sich für das Gemeinwesen ehren-
oder hauptamtlich engagieren. In seinen Dank schloss er ausdrücklich den aus dem Amt
geschiedenen Altbundespräsident Wulff ein. Damit Demokratie gelingen könne, müssten
immer wieder entsprechend vorbereitete Bürger für den Dienst am Gemeinwesen bereit
sein, so Jüsten. Der Wunsch nach mehr Transparenz und Offenlegung privater Angelegenheiten
lasse aber viele davor zurückschrecken, öffentliche Ämter zu übernehmen. Zu Recht
erwarte die Bevölkerung von Mandatsträgern, dass sie ehrlich und aufrecht seien. Die
Erwartung könne sich aber nicht nur an diese richten. Ein tugendhafteres Verhalten
aller Menschen im Lande sei für die Demokratie förderlich. Als Beispiele nannte der
Prälat u.a. die Steuerehrlichkeit und die Wahrhaftigkeit in den Medien. Politiker
müssten heute oftmals über hoch komplexe Sachverhalte in kürzester Zeit und unter
dem enormen Druck starker Lobbygruppen entscheiden. Jüsten wörtlich: „Bisweilen frage
ich mich, ob die Leistungen der Politik von der medialen Öffentlichkeit und von der
Bevölkerung angemessen gewürdigt werden.“
Jüstens evangelischer Amtskollege
Felmberg hob in seiner Ansprache die Gestaltungsräume jedes Amtes hervor, die der
christliche Glaube eröffne. „Sich Gott anvertrauen, heißt Grenzen überschreiten, Neugier
bewahren und sich in den Dienst der Weltgestaltung und der Weltverantwortung berufen
zu lassen“. Das gab der EKD-Bevollmächtigte dem künftigen Bundespräsidenten auf den
Weg.
Goppel (CSU): Wieder mehr am politischen Katholizismus arbeiten
Vor
der Präsidentenwahl hatte Joachim Gauck der mecklenburgischen Landessynode einen Besuch
abgestattet. Der frühere Pastor der Landeskirche richtete am Freitag ein Grußwort
an die Synodalen. Er spüre, „dass die Zeit als Pastor in Mecklenburg mich sehr geprägt
hat“, so Gauck. „Als wir Gemeinde gebaut und unseren christlichen Glauben verteidigt
haben. Diese Zeit in meinem Leben ist wichtiger als die Zeit, in der ich später bekannt
wurde.“
Der frühere bayerische Kultusminister Thomas Goppel erwartet jetzt,
dass Politik in Deutschland „durchaus ein Stück protestantischer wird“. Das brauche
aber kein Schaden zu sein, meinte der CSU-Politiker und Mitglied der Bundesversammlung
in einem Interview mit dem Münchner Kirchenradio noch vor der Berliner Abstimmung.
Ein Bundespräsident brauche Überzeugungskraft, Redefähigkeit und Qualitäten im persönlichen
Präsentsein. „Die hat Joachim Gauck“, so Goppel. Dabei stimme es, dass Gauck als bekennender
Protestant „ein Stück anders“ sei, „als wir uns den Alltag und seine Gestaltung vorstellen“.
Insgesamt sei es notwendig, wieder nachhaltiger am politischen Katholizismus zu arbeiten,
„um mit der Marke in der Welt zu reüssieren“. (rv/kirchenradio/idea 18.03.2012
sk)