Minderheiten im Fadenkreuz: „Die Christen zahlen den höchsten Preis“
Zwanzig Jahre ist
die UNO-Erklärung zu den Rechten von Minderheiten jetzt alt: An der Verfolgung von
Minderheiten in vielen Staaten hat das nichts geändert. Erzbischof Silvano Maria Tomasi,
Vertreter des Heiligen Stuhles bei der UNO in Genf, hat in diesen Tagen die Beratungen
des UNO-Menschenrechtsrates zum Thema Minderheiten verfolgt und den Standpunkt der
Kirche erläutert. Das Thema liegt dem Vatikan sehr am Herzen: Schließlich sind Christen
in Ländern wie Pakistan, Irak oder Syrien selbst eine Minderheit und stehen häufig
unter Druck.
„Die ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten
sind sich heute in der Regel ihrer Rechte besser bewußt als noch vor zwanzig Jahren.
Gleichzeitig lassen die Verletzungen ihrer Rechte aber nicht nach, im Gegenteil: Sie
werden immer noch gewaltsam an den Rand gedrängt oder ins Exil gezwungen, man verweigert
ihnen den Zugang zur staatlichen Verwaltung, zu öffentlichen Ämtern usw. – dabei sind
diese Gruppen genau besehen gar keine Last oder Bedrohung für die Länder, in denen
sie leben, sondern eine kulturelle und soziale Bereicherung, vorausgesetzt man versteht
ihre Rolle.“
Tomasi fasst es philosophisch: Eine Person für sich könne
nicht sie selbst sein, sie brauche die Beziehung zu anderen. Und genauso sei es auch
mit einem Staat. Aber dann wird der Vatikan-Erzbischof auch konkret:
„Ich
habe mich ein wenig aus dem Fenster gelehnt und vorgeschlagen, dass der UNO-Sonderberichterstatter
für dieses Thema die Begriffe Mehrheit und Minderheit aus seinen Berichten einfach
einmal herauslässt. Denn aus Sicht der grundlegenden Menschenrechte sind doch alle
gleich an Rechten und Pflichten vor dem Staat, und umgekehrt aus Staatsperspektive
verhält es sich genauso! Ganz egal, welche Identität jemand aus historischen, sprachlichen,
ethnischen oder religiösen Gründen hat. Unsere Richtung heißt: Jeder Bürger an sich
muss zunächst einmal respektiert werden als jemand, der unveräußerliche Rechte hat.
Alles andere, auch alle sozialen Einordnungen, kommen später und können nicht an diesen
grundsätzlichen Vorrang rühren.“
„Volle Staatsbürgerschaft“ – das ist auch
die Hauptforderung, die sich nach langen Begriffsdebatten im Oktober 2010 auf der
Nahost-Sondersynode im Vatikan herausgeschält hat. Die Bischöfe aus Nahost-Ländern,
in denen Christen in der Regel eine kleine und oft bedrohte Minderheit sind, hätten
damals nicht gedacht, wie aktuell ihre Forderung in einem plötzlich aufbrechenden
Arabischen Frühling sein würde. Erzbischof Tomasi sagt:
„In diesem Moment
sind es die christlichen Minderheiten, die den höchsten Preis zahlen. Minderheiten,
die vor allem im Nahen Osten, in Nordafrika und in einigen indischen Bundesstaaten
leiden. Sie werden dezimiert oder vertrieben, sie finden keine Möglichkeit, in der
Gesellschaft zu überleben, zu der sie eigentlich gehören. Weitere Minderheiten, die
unter Vorurteilen leiden, sind Emigranten – auch in Europa, wo sie wegen ihrer afrikanischen
Herkunft oder ihrem Bekenntnis zum Islam oft an den Rand der Gesellschaft bzw. buchstäblich
in die Peripherie einiger Großstädte abgedrängt werden.“