Mit gemischten Gefühlen
sieht die Kirche des Landes die politische Aktion der Nichtregierungsorganisation
„Invisible Children“. Im Zentrum des Interesses steht dabei das von der Organisation
gedrehte und vertriebene Video „Kony 2012”, mit dem diese auf die Situation von afrikanischen
Kindersoldaten aufmerksam macht und für eine Verhaftung des ugandischen Kriegsherrn
Joseph Kony plädiert. Die Diskussion wird momentan vor allem über das Internet stark
verbreitet. Kony war seit 1986 für die gewaltsame Rekrutierung von mehreren tausend
Kindersoldaten verantwortlich. Die Kirche vor Ort war stets bemüht, gegen die Gewalt
und den Missbrauch der Kinder als Soldaten einzuschreiten, wie der Bischof der nordugandischen
Diözese Lira, Giuseppe Franzelli, im Interview mit Radio Vatikan erklärt:
„Wir
interessieren uns nicht erst jetzt für das Schicksal dieser Kinder, seit der Westen
sich wieder einmal an diese Kinder erinnert hat. Wir sind seit Jahren mit diesem Problem
beschäftigt, und zwar mit der Einrichtung von Aufnahmezentren, aber auch mit unserem
diözesanen Radiosender „Radio Wa“, der versucht, den Kindern die Nachricht zu vermitteln,
dass sie daheim willkommen sind und zurückkehren sollen. Die Nachrichten werden von
ehemaligen Kindersoldaten gesendet, die es bereits geschafft haben, zu entkommen und
denen nun im Zentrum die Möglichkeit gegeben wird, ihre Schulbildung wieder aufzunehmen,
die von den Kriegsherren unterbrochen wurde. Das Ergebnis ist, dass nach und nach
die meisten der Kindersoldaten zurückgekommen sind. Während ihrer Wiedereingliederung
sind sie unter ständiger Betreuung, da sie nicht nur durch die Gewalt, die sie erlitten
haben, traumatisiert sind, sondern auch dadurch, dass sie selbst gezwungen worden
sind, Gewalt auszuüben.“
Die Kirche begleitet den Wiederaufbau von Norduganda
in mehreren Phasen. Zunächst ging es darum, zerstörte Infrastrukturen wieder aufzubauen;
jetzt, da sich die Kampfhandlungen aus Norduganda in andere Gegenden Afrikas verlagert
haben, geht es an die diffizilere Art des Wiederaufbaus, nämlich den Wiederaufbau
der zerstörten Seelen.
„Nun, da diese Attacken aufgehört haben, müssen wir
uns um die moralische und spirituelle Freiheit der Menschen kümmern. Diesen eine Hoffnung
und den Sinn der eigenen Würde, des eigenen Wertes wiederzugeben. Und es ist in diesem
Sinne, dass jetzt eine Evangelisierung wichtiger als je zuvor ist. Es ist eine gute
Nachricht, dass Gott unser aller Vater ist und dass wir alle Brüder und Schwestern
sind, die lernen müssen, miteinander als Familie zu leben. Die erste Afrikasynode
hat von der „Kirche als Familie Gottes“ gesprochen: dies ist die große Herausforderung,
der wir uns als Kirche gegenüber sehen, wenn auch in einer schwierigen Situation aufgrund
des Personalmangels sowie des Fehlens von Mitteln.“
Die Aufmerksamkeit
der Weltöffentlichkeit wurde auch und vor allem durch das Video erregt, das die Organisation
„Invisible Children” gedreht hat. Diese Initiative wird von der Kirche und anderen
Organisationen vor Ort nicht uneingeschränkt positiv gesehen. Der Bischof lädt zu
einer differenzierten Sicht auf diese Aktion ein:
„Es handelt sich hier
um einen medialen Akt von enormer Bedeutung. Er ist sicherlich positiv, weil er die
Aufmerksamkeit auf eine Tragödie lenkt, die immer mehr riskiert, vergessen zu werden,
nachdem die Präsenz der Rebellen wenigstens hier in Uganda nachlässt. Bei uns ist
diese Initiative gemischt aufgenommen worden: Ich würde sagen, dass fast das Gefühl
des „Überdrusses“ bei denjenigen vorherrscht, die nicht möchten, dass ihr Volk in
dieser Art und Weise präsentiert wird, aber auch bei den Opfern selbst, zumindest
was die Bevölkerung im Norden des Landes betrifft. Die Dinge, die gesagt werden, sind
wahr, aber eben nicht die ganze Wahrheit. Es gibt viele Facetten des Problems, die
beleuchtet werden sollten, denn die Verantwortung für die Grausamkeiten liegt nicht
nur bei den Rebellen, sondern es gibt auch andere Verwicklungen, wie das in Kriegssituationen
immer passiert. Außerdem ist da dieser strittige Punkt des vielen Geldes, das für
die Werbung und die Unterstützung der Organisation gespendet wird. Davon kommt nur
ein kleiner Bruchteil direkt den Opfern der Katastrophe zugute, die sich aber im Gegenzug
der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit ausgesetzt sehen.“
Das Video
„Kony 2012” ist von Jason Russel, einem der Gründer von „Invisible Children“, gedreht
worden. Die Organisation bemüht sich seit 2006 darum, auf das Schicksal der Kindersoldaten
in den afrikanischen Konflikten aufmerksam zu machen. Auf Youtube ist das Video innerhalb
weniger Tage mehrere Millionen Mal hochgeladen worden und hat einen wahren Hype im
Web und den Social Networks ausgelöst. Wiederum im Internet wurden aber auch Zweifel
über die Absichten der Organisation und ihre mangelnde Transparenz laut. Positiv ist
dabei wohl hervorzuheben, dass die Jagd auf Bandenchef Joseph Kony, an dessen Fersen
sich eine US-Spezialeinheit geheftet hat, durch das Video eine große Anzahl von Unterstützern
bekommen hat.