«Von großer Offenheit und Freundschaft geprägt» Bischof Mussinghoff zum Verhältnis
von Juden und Katholiken
Von Christoph Arens (KNA)
Das Verhältnis von katholischer Kirche und Juden
in Deutschland ist nach Einschätzung des Aachener Bischofs Heinrich Mussinghoff von
großer Offenheit und Freundschaft geprägt. Beide Seiten müssten auch weiterhin die
Erinnerung an die Shoah pflegen und gegen Antisemitismus und Antijudaismus vorgehen,
sagte der Vorsitzende der Unterkommission der Deutschen Bischofskonferenz für die
religiösen Beziehungen zum Judentum in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur
(KNA) in Aachen. Zugleich aber müssten Juden und Christen künftig auch ihre religiösen
und ethischen Gemeinsamkeiten stärker öffentlich bewusst machen.
KNA: Herr
Bischof, seit 60 Jahren demonstrieren Christen und Juden in der «Woche der Brüderlichkeit»
Gemeinsamkeiten. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und jüdischer
Gemeinschaft derzeit bewerten?
Mussinghoff: Beim Papstbesuch im vergangenen
Jahr hat der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann,
davon gesprochen, dass sich die katholisch-jüdischen Beziehungen in den vergangenen
Jahrzehnten «ganz dramatisch verbessert» haben. Diese Einschätzung teile ich. Bei
den jährlichen Treffen mit den Rabbinerkonferenzen, bei den Eröffnungen der Woche
der Brüderlichkeit und in vielen einzelnen Begegnungen stelle ich immer wieder fest,
dass unsere Beziehungen von großer Offenheit und Freundschaft geprägt sind.
KNA:
In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg standen die Beziehungen im Zeichen des Holocaust
und des Nie wieder. Inzwischen legt der Zentralrat großen Wert darauf, auch mit anderen
Themen wahrgenommen zu werden. Wo sehen Sie gemeinsame Anliegen von Kirche und Judentum
im heutigen Deutschland?
Mussinghoff: Es bleibt das gemeinsame Anliegen von
Christen und Juden, die Erinnerung an die Shoah zu pflegen. Leider werden wir uns
auch weiterhin mit antijüdischen Vorurteilen auseinandersetzen müssen, wie der Antisemitismus-Bericht
der Bundesregierung zeigt. Aber wir werden zukünftig unsere religiösen und ethischen
Gemeinsamkeiten stärker öffentlich bewusst machen.
KNA: Worum geht es konkret?
Mussinghoff: Christen und Juden haben gemeinsam den Auftrag, «Licht für die
Völker» zu sein, wie es beim Propheten Jesaja heißt. Der Einsatz für Religionsfreiheit,
für soziale Gerechtigkeit oder für Toleranz gegenüber Minderheiten verbindet uns schon
heute. Beim Treffen zwischen Kirchenvertretern und Rabbinern am kommenden Montag werden
wir uns mit Fragen des Umwelt- und Tierschutzes befassen. Auch hier gibt es viele
Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Christen.
KNA: In der Folge des Rechtsterrorismus
forderten Muslime und Juden mehr Zivilcourage der Deutschen. Tut die katholische Kirche
genug gegen rechtsextreme Tendenzen, insbesondere in den neuen Bundesländern?
Mussinghoff:
Die Erziehung zur Zivilcourage und zu einem verständnisvollen Umgang mit Menschen
anderer Religion oder Herkunft gehören zu den pädagogischen Grundprinzipien des Religionsunterrichts,
der kirchlichen Kindertageseinrichtungen, der katholischen Schulen und der katholischen
Kinder- und Jugendverbände. Das Ausmaß der rechtsextremen Gewalt und die Menschenverachtung,
die sich darin zeigt, haben uns wohl alle schockiert und auch nachdenklich gemacht.
Wir müssen uns fragen, wie wir als Christen vor allem Jugendliche davor bewahren können,
in rechtsextreme Milieus zu geraten.
KNA: Die jüdischen Gemeinden verfolgen
die Frage der Aufwertung der traditionalistischen Piusbruderschaft mit Argusaugen,
wie Zentralratspräsident Graumann beim Papstbesuch betont hat. Glauben Sie, dass eine
Einigung Auswirkungen auf das jüdisch-katholische Verhältnis haben würde?
Mussinghoff:
Mit der Konzilserklärung Nostra aetate hat die katholische Kirche, wie der Papst bei
seinem Besuch der römischen Synagoge 2010 betont hat, «einen unwiderruflichen Weg
des Dialogs, der Brüderlichkeit und der Freundschaft» mit dem jüdischen Volk eingeschlagen.
Dies gilt, wie er bei seinem Deutschlandbesuch hinzugefügt hat, für «die katholische
Kirche als Ganze». Wenn die Piusbruderschaft sich wirklich mit der katholischen Kirche
versöhnen will, dann wird sie diesen Weg der Kirche mitgehen müssen - und zwar nicht
nur äußerlich, sondern aus echter innerer Überzeugung. Man kann nicht katholisch sein
und das von Gott erwählte Volk Israel verachten.
KNA: Ist der Dialog auf Ebene
des Vatikan und internationaler jüdischer Instanzen seit dem Streit um die Piusbrüder
vorangekommen? Oder ist da eher eine Ruhepause eingekehrt?
Mussinghoff: Von
einer Ruhepause kann keine Rede sein. Papst Benedikt XVI. setzt den Weg des Dialogs
und der Versöhnung konsequent fort. Denken Sie nur an die Besuche in Synagogen und
die zahlreichen Begegnungen mit Vertretern der jüdischen Gemeinschaft auf seinen Reisen.
Wie es dem intellektuellen Profil seines Pontifikates entspricht, bewegen ihn vor
allem die theologischen Fragen. Sehr überzeugend hat er im zweiten Band seines Jesus-Buches
die alte These von der Kollektivschuld der Juden am Tod Jesu widerlegt und jeder Form
von «Judenmission» eine klare Absage erteilt. Wiederholt hat er es als unsere heutige
Aufgabe bezeichnet, dass die christliche und die jüdische Schriftlektüre miteinander
in Dialog treten müssen, um Gottes Willen und Wort recht zu verstehen. Die Bedeutung,
die der Papst damit der rabbinischen Theologie zuspricht, ist bislang noch gar nicht
richtig wahrgenommen worden. Die Gespräche zwischen dem Oberrabbinat in Israel und
dem Vatikan laufen exzellent.
KNA: Auch eine mögliche Seligsprechung Papst
Pius XII. wird von den Juden sehr kritisch gesehen. Sehen Sie Bestrebungen und Möglichkeiten,
dass man zu einer gemeinsamen Bewertung dieses Papstes kommt? Oder zumindest zu einer
Lösung, mit der beide Seiten leben können?
Mussinghoff: Der Vatikan wird in
den nächsten Jahren das gesamte Archivmaterial über Papst Pius XII. für die Forschung
zugänglich machen. Zudem ist zu hoffen, dass die gemeinsame Arbeit von jüdischen und
katholischen Historikern wieder aufgenommen und intensiviert wird. Ob es dann am Ende
zu einer gemeinsamen Bewertung der Person Papst Pius XII. und seines Pontifikates
kommt, kann ich schwer voraussehen. Wir sollten uns aber nach Kräften darum bemühen.