Der Missbrauchsskandal
ist nicht vorbei, unsere Wachsamkeit darf nicht nachlassen, Kinderschutz muss weiter
oberste Priorität haben. Daran hat der Primas von Irland, der Dubliner Erzbischof
Diarmuid Martin, kurz vor Beginn der Frühjahrsvollversammlung der irischen Bischöfe
erinnert. Er äußerte sich in einem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender
CBS, das am Sonntag ausgestrahlt wurde.
Zurücklehnen kann sich die irische
Kirche nicht, ja das wird sie wohl nie mehr können, lässt der Dubliner Erzbischof
im Interview mit CBS durchblicken: Probleme im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal
sind keineswegs gelöst, erinnert jener Kirchenmann, der schon kurz nach Bekanntwerden
der Missbrauchsfälle den Skandal ungeschönt beim Namen nannte. Und so klingt Diarmuid
Martins Statement im amerikanischen Fernsehen dann auch wie sein Wunschmotto für Irlands
katholische Kirche, deren Oberhirten sich ab diesem Montag zur Frühjahrsvollversammlung
treffen: „Es gibt heute die echte Gefahr, dass die Leute sagen: Der Missbrauchsskandal
ist vorbei, lasst uns doch nach vorne schauen, weitergehen. Er ist nicht vorbei. Kinderschutz
muss für den Rest unserer Tage und in Zukunft weitergehen, denn das Problem gibt es
immer noch.“
Nach Vorwürfen gegen die irische Kirche wegen einer
mutmaßlichen Vertuschung der Missbrauchsfälle hatte der Heilige Stuhl eine apostolische
Visitation in den einzelnen Diözesen des Landes eingeleitet. Das Ergebnis dieser Untersuchung
steht noch aus. Offen ist auch noch, ob Papst Benedikt die Einladung zum Internationalen
Eucharistischen Weltkongress dieses Jahr in Dublin annehmen wird. Ein Papstbesuch
bei dem Kongress vom Juni hätte die krisengeschüttelte irische Kirche endlich wieder
in ein besseres Licht rücken können, hoffte so mancher Kirchenvertreter. Erzbischof
Martin kann dem nicht allzuviel abgewinnen: Ohne weitere innere Erneuerung der Kirche
sei ein Papstbesuch in Irland kein „signifikanter Gewinn“, sagte der Erzbischof laut
dem irischen Fernsehsender RTE. Für Martin sind die Verluste in Folge des Missbrauchsskandals
nicht zu übertünchen – und der Erzbischof denkt da nicht nur an die seelischen Schäden
der Opfer, sondern auch an innerkirchliche Folgen:
„Das sind wirklich enorme
Schäden, vielleicht ist es kein Bruchpunkt, aber ganz sicher ein Umbruchspunkt, unsere
Kirche befindet sich in einem sehr schwierigen Stadium. (…) Als ich damals als junger
Mann in das Dubliner Priesterseminar kam, gab es 120 andere Priesterkandidaten, und
das Seminar wurde räumlich vergrößert. Heute habe ich zehn Seminaristen - naja, zehn
wirklich gute.“ „Dieser Bericht wird uns alle und die Kirche in Dublin
demütiger machen“, hatte Erzbischof Martin damals prophezeiht, als der Murphy-Report
in Irland veröffentlicht wurde. Er hatte auch davor gewarnt, dass der Preis des Schweigens
ein enormer Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche sein werde. Er selbst hatte versucht,
dem Schrecken mit rigoroser Aufklärungsarbeit entgegenzuwirken und arbeitete von Anfang
an mit den staatlichen Behörden zusammen: „Ich habe der Murphy-Untersuchungskommission
in der Erzdiözese Dublin allein über 65.000 Dokumente übergeben. Das Material war
da, es lag in meinen Archiven.“ In diesen Akten war von Priestern zu lesen,
die bis zu einhundert Kinder missbrauchten. In einem anderen Fall hatte ein Geistlicher
Kinder über 25 Jahre hinweg zweimal im Monat missbraucht. Erzbischof Martin glaubt,
dass tausende Kinder in Irland Ähnliches erlebten. Als Seelsorger ist ihm durchaus
bewusst, dass die meisten Fälle erst Jahre später überhaupt zur Sprache kamen bzw.
immer noch kommen:
„Bei Missbrauch löst nicht nur der konkrete sexuelle
Akt Horrorvorstellungen bei uns aus. Sexueller Missbrauch von Kindern bedeutet totaler
Machtmissbrauch. Er bedeutet, einem Kind zu sagen: Ich kontrolliere dich. Und das
heißt übersetzt: Du bist wertlos.“