Russland: "Orthodoxe Kirche findet ihren Weg zu guter Demokratie"
Das Oberhaupt der
russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., hat die Gläubigen in diesen Tagen
dazu aufgefordert, sich nicht an den Demonstrationen gegen die Regierung in Moskau
zu beteiligen: Orthodoxe demonstrierten nicht lautstark, sondern beteten still in
Klöstern, sagte er ihnen. Am Wochenende waren zehntausende Menschen aus Angst vor
Wahlfälschung gegen Wladimir Putins Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen auf
die Straße gegangen. Für den Direktor des Ostkirchlichen Institutes Regensburg, Nikolaus
Wyrwoll, steht der Appell des Patriarchen nicht im Widerspruch zum Demokratiebekenntnis
der orthodoxen Kirche:
„Die Kirche hat zwar in ihrer Erklärung über die
Menschenrechte und sozialen Belange vom Jahr 2000 gesagt, dass die Menschen und Gläubigen
auch gegen den Staat demonstrieren müssen, wenn der Staat etwas sagt, was mit den
christlichen Traditionen nicht vereinbar ist, aber hier meint – glaube ich – Kyrill,
dass es sich nicht lohnt, vor den Wahlen solche Proteste zu machen.“
Mitte
Februar hatte Kyrill I. bei einer Begegnung mit Wladimir Putin unterstrichen, dass
dieser von allen Kandidaten „sicherlich die größten Chancen“ habe, Staatsoberhaupt
zu werden. Weiter dankte Kyrill I. Putin dafür, dass dieser das Land aus den Krisen
der 90er Jahren herausgeführt habe.
Die Unterstützung der orthodoxen Kirche
Russlands für Wladimir Putin deutet nach Wyrwolls Ansicht auf ein neues Verhältnis
der orthodoxen Kirche zum russischen Staat hin. Der derzeitige Präsident Dmitri Medwedew
hatte erst kürzlich unterstrichen, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche hätten
„ein neues Niveau“ erreicht. „Bisher waren es die Russen gewohnt, dass die Politik
Einfluss auf die Kirche hat“, kommentiert Wyrwoll mit Bezug auf die Jahre vor 1989.
Jetzt aber nehme auch die Kirche Einfluss, indem sie ihre Gläubigen zu diesem oder
jenem aufrufe. Prälat Nikolaus Wyrwoll fühlt sich bei Kyrills Positionierung an die
Wahlaufrufe der Bischöfe in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Wird
die Stimme des Patriarchen bei den Wählern gehört? Dazu Wyrwoll:
„Ich denke
schon, dass einige Christen in Russland auf den Patriarchen hören werden, zumal eben
sowohl der Patriarch als auch Putin sich ja sehr stark einsetzen für die Christen
im Nahen Osten - das ist eine alte Tradition der Russen. Aber jetzt, wo die Christen
langsam aus dem Nahen Osten vertrieben werden, ist es natürlich besonders wichtig,
dass sich ein Land – Russland – einsetzt für den Verbleib der Christen in Syrien,
die ja alle Angst haben: Wenn Assad weg muss, dann müssen wir auch weg.“
Nach
Ansicht des Theologen sollte der Westen darauf vertrauen, dass die orthodoxe Kirche
in politischer Hinsicht ihren Weg findet. Deshalb betont Wyrwoll:
„Mir
ist wichtig, dass die russischen Christen, die offizielle russische Kirche, diejenige
orthodoxe Kirche ist, die sich auch ganz und gar in Einheit mit den anderen christlichen
Kirchen fühlt. Ich glaube, dass sie eben doch insgesamt einen guten Weg haben zu einer
Demokratie, wie sie für Russland passend ist – das kann anders sein als bei uns.“
Prälat
Nikolaus Wyrwoll leitet das Ostkirchliche Institut in Regensburg und berät sowohl
die Deutsche Bischofskonferenz als auch den vatikanischen Einheitsrat in Fragen der
Ökumene mit den orthodoxen Kirchen. (domradio 28.02.2012 pr)