Reden über Gott und Welt: Was ist ein moderner Priester?
„Ein moderner Priester
ist sicherlich ein Priester, der die Konventionen seiner Umgebung sprengt. Die Verbürgerlichung
des Priestertums oder die Ver-Beamtisierung des Priesters in Deutschland ist sicherlich
ein Schritt in die falsche Richtung. Ein Priester muss unkonventionell sein und muss
hörbar sein, hörbar und verständlich. Das halte ich für das Entscheidende.“
Prälat
Wilhelm Imkamp gehört selber zu dieser Art Priester. Hauptberuflich ist er Wallfahrtsleiter
von Maria Vesperbild im Bistum Augsburg, aber Talkshows gehören ebenso zu seinem Wirkungskreis
wie die Spalten der BILD-Zeitung. Ein kontroverser Priester, der sich nicht versteckt.
Pater Bernd Hagenkord hat mit ihm darüber gesprochen, wie er sich das Priestertum
im 21. Jahrhundert vorstellt.
Prälat Imkamp, Sie sind so etwas wie ein „bunter
Hund“, bekannt und kontrovers, Ihnen wird widersprochen. Aber man bekommt auch den
Eindruck, dass Ihnen das nicht unbedingt unlieb ist. Kann man das so sagen?
„Natürlich.
Wem es in der Küche zu heiß ist, der sollte nicht Koch werden. Ich habe die Aufgabe
und die Verpflichtung, die Wahrheit rüberzubringen und es ist mir furchtbar egal,
ob ich die mit Henrik M. Broder, der BILD-Zeitung oder einer Kirchenzeitung herüberbringe.
Die Hauptsache ist, dass die Leute damit konfrontiert werden. Und was den Widerspruch
angeht: Als Priester steht man in der direkten Nachfolge eines Menschen, der Zeichen
des Widerspruchs war und für seinen Widerspruch am Kreuz geendet ist. Widerspruch
ist keine Kategorie, die abseits des Priestertums steht, sondern auch der Priester
hat die Pflicht, ein Zeichen des Widerspruchs zu sein. Auch das gehört dazu.“
Wollen
Sie ein Vorbild sein?
„Ich hoffe, dass mich keiner zum Vorbild nimmt [lacht],
das kann nur daneben gehen.“
Sollen Priester Vorbilder sein?
„Priester
sollen Wegweiser sein. Ich halte es für ausgesprochen gefährlich, wenn ein Priester
sich selbst als Vorbild empfindet. Ein Priester sollte natürlich korrekt leben, sein
Leben sollte auch transparent sein, also ohne Angst, etwa die Hobbys zu zeigen. Er
ist Mensch, aber er ist eben auch Diener Jesu Christi und steht in diesem Dienst nicht
isoliert in Raum und Zeit da, sondern ist in eine konkrete Institution zu einem konkreten
Zeitpunkt berufen worden und hat damit auch ganz konkrete Aufgaben.“
Sie
selber leiten eine Wallfahrt, was bedeutet, dass Sie stabil sind und die Menschen
kommen, wallfahren. Das ist aber in der Pastoral heute sicher nicht mehr die Regel:
Die Räume werden immer größer, Pfarrgemeinschaften und viele Kilometer sind die Rahmenbedingungen
von Seelsorge. Was sagen Sie diesen Priestern?
„Ich sage ihnen ganz oft
‚Jungs, macht eine Zentralpfarrei!’ Lasst die Leute kommen! Wie es unser Bischof Zdarsa
es einmal gesagt hat: Wer zum Aldi und zum Baumarkt fahren kann, der kann auch zur
Messe fahren. Zu mir nach Maria Vesperbild kommen die Leute natürlich auch nicht
einfach so, sondern ich gehe in die Öffentlichkeit, um diesen Ort bekannt zu machen,
denn man kann nur dahin gehen, wo man weiß, dass es etwas gibt und was es gibt. Man
muss ein klares Angebot, eine klare Zielangabe machen, dann kommen die Leute auch.
Deswegen ist es wichtig, in den Medien präsent zu sein. Die Leute fahren bis zu einer
Stunde, um in Maria Vesperbild die Sonntagsmesse zu feiern. Für viele junge Familien
ist das ein Wochenend-Event. Dazu stehe ich. Reisenden Tabernakelfüller brauchen wir
nicht, sondern wir brauchen Beter vor dem Tabernakel und Fahr- und Weggemeinschaften
zur Eucharistie. Dort sehe ich auch eine große pastorale Chance, dass etwa die Oma
den Enkel fragt, ob er sie nicht zur Messe fahren kann, und dann nehmen sie noch einige
weitere mit. So könnte eine neue Weggemeinschaftsmentalität in der Kirche entstehen.“
Das
Bistum Augsburg, in dem Sie leben, will das ja ganz ausdrücklich, es ist schon ein
mittelfristiger Plan veröffentlicht worden. Pfarrgemeinschaften sollen in Schritten
zu einer Pfarrei fusioniert werden. Der Kern ist die gemeinsam gefeierte Eucharistie.
Das hat Kontroversen ausgelöst, vor allem, weil es so aussieht, dass Laien Kompetenzen
genommen würden.
„Ich bin eigentlich kein Freund von flächendeckenden Pastoralplänen,
ich bin immer für flexible Lösungen. In einer Stadt wird man zum Beispiel das Problem
einer Zentralpfarrei anders lösen als auf dem Land. Es führt aber kein Weg daran vorbei.
Und es ist keineswegs das originäre Recht des Laien, einen Gottesdienst mit Kommunionausteilung
zu halten. Im Gegenteil. Wenn wir das im großen Stil einreißen lassen, dann wird das
Priestertum tatsächlich reduziert auf ein Stück Magie, während der eigentliche Seelsorger
der Laie ist. Damit machen wir aus den Laien Pseudokleriker und aus den Klerikern
Voll-Laien.“
Das alles mag in Augsburg ja noch angehen, aber in Schleswig-Holstein
oder Mecklenburg-Vorpommern sind das ganz andere Distanzen, die ins Spiel kommen.
Bräuchte man dafür nicht noch einmal ganz andere Konzepte?
„Das ist eine
klassische Diasporasituation, da braucht es vielleicht andere Lösungen, ich bin kein
Diasporaspezialist. Noch einmal: Ich warne vor flächendeckenden Pastoralplänen, die
die ultimative Gültigkeit beanspruchen. Dann entstehen tatsächlich Seelsorgs-Kolchosen
mit Fünfjahresplänen, das hat schon im ‚real existierenden Sozialismus’ nicht funktioniert,
das wird bei uns auch nicht funktionieren.“
Noch einmal einen Schritt zurück
zum Priester: Wozu muss man heute heranwachsende Priester aus- oder auch weiterbilden?
„Von
der Priesterausbildung ist erstens verlangt, dass man den Priester auf die Situation
vorbereitet, dass er nicht mehr die ‚Nestwärme’ des Priesterseminars genießen kann,
das heißt, dass er fähig sein muss, auch Einsamkeit auszuhalten, durchzuhalten und
sinnvoll zu gestalten. Zweitens sollte er lernen, zu delegieren. Ich muss als Priester
nicht alles selbst machen, sondern ich muss alle Aufgaben, die nicht unmittelbar mit
dem Priestertum zusammen hängen, delegieren können. Zur Fähigkeit zur Delegation gehört
natürlich auch Menschenkenntnis. Da sind wir ein wenig bei der Psychologie. So wird
heute von einem Priester, der eine große Pfarrei leiten soll, etwas verlangt, was
wie die Quadratur des Kreises anmutet, es aber nicht ist. Es ist lebbar, ich kenne
großartige Beispiele des Gelingens, aber auch des Scheiterns in einer solchen Situation.
Wichtig scheint mir die Vorbereitung auf die Einsamkeit zu sein. Je größer der Verantwortungsbereich,
umso einsamer ist der Priester oft genug. Das ist auch ein Element, das zur Lebensform
gehört.“
Dieses Phänomen ist noch recht neu, Priester waren viel mehr eingebunden
in das soziale Umfeld, das Dorf, die Kleinstadt, das Stadtviertel. Heute gibt es das
so nicht mehr: Die Ansprüche steigen, gleichzeitig sinkt die Einbindung.
„Genau.
Dafür braucht es starke Persönlichkeiten, weil keine Institution sie mehr auffängt.
Starke Persönlichkeiten, die auch den Mut zum Widerspruch haben, die sagen ‚bis hier
und nicht weiter’, und die auch fähig sind, zum Beispiel Sitzungen in aller Kürze
zu leiten. Ich habe neulich schon einmal darauf hingewiesen, dass das Jahr des Glaubens
dann ein Erfolg wird, wenn wir die Zeiten der Sitzungen halbieren und die Zeiten vor
dem Tabernakel verdoppeln.“
Wie sieht es dann mit den Orten aus, an denen
die Kirche bisher wenig auftaucht, oder mit einzelnen Menschen in Not? Dafür haben
Priester immer weniger Zeit.
„Wir müssen mehr die modernen Kommunikationsmittel
nutzen. Sorgenkinder zum Beispiel kann man täglich anrufen. In bestimmten Fällen ist
das schon eine große Hilfe. Das wird viel zu selten gemacht. Ich werde nie vergessen,
wie ich ein wirkliches Aha-Erlebnis in Bayern hatte, als ein Kaplan mir sagte, dass
er zu wenig Arbeit hätte. Da habe ich ihm gesagt ‚Machen Sie Hausbesuche!’ Hausbesuche
sind wichtig, intensive Sakramentenvorbereitung ist wichtig und dann da andocken:
Ein Telefonat hier, ein Telefonat da und so Impulse in ein Leben hinein setzen, das
geht. Seelsorge ist immer auch Beziehungsarbeit. Dafür muss man natürlich aushalten,
dass die Leute einen nicht konsultieren, wenn es ihnen gut geht, sondern nur, wenn
es ihnen dreckig geht.“
Ist das dann schon moderne Verkündigung oder missionarische
Seelsorge oder, um den römischen Begriff zu benutzen, Neuevangelisierung?
„Es
geht in diese Richtung. Die Neuevangelisierung ist tatsächlich das Entscheidende,
das auf uns zukommt. Es ist eine Aufgabe, die alle trifft: Priester, Bischöfe aber
vor allem auch jeden gefirmten Christen. Stellen Sie sich vor, jeder gefirmte Katholik,
der zur Kirche geht, würde es im Jahr des Glaubens schaffen, auch nur einen anderen
sonntags zur Eucharistie mit zu nehmen. Das wäre der Erfolg. Auch Plakatwerbung oder
Werbespots für den Sonntagsgottesdienst können da helfen: ‚Wir sehen und am Sonntag
in Mariavesperbild um 10 Uhr 15. Ich warte auf Sie’. In dieser Form hinausgehen in
die Öffentlichkeit und tatsächlich Klartext reden, klare Konturen zeigen und ein Angebot
machen, das die Leute unterscheiden können, dann läuft es.“
Für Sie ist
eine Festschrift erstellt worden, satte 1.200 Seiten. Beim Durchblättern ist sind
mir einige Begriffe aufgefallen, aber einer vor allem ist hängen geblieben: Gegen
die Trivialisierung der Kirche durch sich selbst. Der Satz könnte von Ihnen stammen,
stammt sogar vielleicht von Ihnen, in jedem Fall scheint er zu passen auf das, wofür
Sie stehen.
„Ja. Ich bin auch deswegen sehr glücklich über diese Festschrift,
weil sie tatsächlich die Stationen und die Schwerpunkte meines Priesterlebens ziemlich
deutlich herausstellt. Tatsächlich ist der Priester nie ein Solitär. Den Priester
ohne die Geschichte der Kirche gibt es nicht. Der Priester ist nicht direkt vom Himmel
gefallen, sondern erst einmal durch die Institution der Kirche hindurchgefallen und
von ihr ausgebildet und von ihr geprägt. Wir brauchen die Identifikation mit der Kirche,
auch mit den Punkten in ihrer Geschichte, die vielleicht nicht so schön sind, aber
dafür so schön spannend. Auch damit kann man Menschen tatsächlich fesseln und faszinieren.“
Da
spricht aus Ihnen der Kirchenhistoriker…
„Ja!“
Trotzdem noch
einmal die Frage nach der Trivialisierung: Haben wir uns zu sehr trivialisiert?
„In
vielen Pfarreien ist die Messe trivialisiert, es wird nicht mehr der Leib Christi
verteilt, sondern eucharistisches Kleingebäck, ein hors d’oeuvre. Alles ist zur sozialen
Beruhigung, Hauptsache, wir sind nett zueinander und haben über alles irgendwie gesprochen.
Wir haben die Messe komplett trivialisiert, das Mysterium ist weg. Oder: Wir haben
aus der Messe ein Kulturevent gemacht. Eine tolle Mozartmesse, und alles ist begeistert.
Da kriege ich die Krätze. Ich habe mehreren Organisten erklären müssen, dass sie zu
meiner Zelebration spielen, und nicht umgekehrt. Das muss deutlich werden. Es muss
der Kern des Mysteriums deutlich werden: Hier geschieht etwas mit uns, durch uns und
für uns, was wir in seinen ganzen Ausmaßen gar nicht kapieren können, was uns aber
wahnsinnig hilft, auch im Alltag. Deswegen ist die Sonntagsmesse ganz entscheidend.
Es ist sozusagen eine Depotspritze, die für eine Woche reicht, eine Woche zusätzliche
Gnade.“