„Nicht bedienen lassen, sondern dienen“: Die Papstansprache während des Konsistoriums
„Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo Ecclesiam meam „.
Verehrte
Mitbrüder, liebe Brüder und Schwestern!
Mit diesen Worten hat uns der Eingangsgesang
in den feierlichen und eindrucksvollen Ritus des Öffentlichen Ordentlichen Konsistoriums
zur Kreierung neuer Kardinäle mit der Überreichung des Biretts, der Übergabe des Ringes
und der Zuweisung der Titelkirche eingeführt. Es sind die eindringlichen Worte, mit
denen Jesus den Petrus als festes Fundament der Kirche eingesetzt hat. Der Glaube
ist dabei der bezeichnende Faktor dieses Fundamentes: Simon wird ja Petrus – Fels
–, weil er seinen Glauben an Jesus, den Messias und Sohn Gottes, bekannt hat. In der
Zusage Christi wird die Kirche an Petrus gebunden, und Petrus wird in der Kirche als
Fels eingesetzt; aber der Erbauer der Kirche ist Christus selber, Petrus muss ein
besonderes Element des Baus sein. Und er muss dies sein durch die Treue zu seinem
bei Cäsarea Philippi abgelegten Bekenntnis, kraft seiner Aussage: „Du bist der Messias,
der Sohn des lebendigen Gottes“.
Die an Petrus gerichteten Worte Jesu heben
deutlich den kirchlichen Charakter des heutigen Ereignisses hervor. Die neuen Kardinäle
werden nämlich durch die Zuweisung des Titels einer Kirche dieser Stadt oder einer
suburbikarischen Diözese in jeder Hinsicht in die vom Nachfolger Petri geführte Kirche
Roms eingegliedert, um in der Leitung der Weltkirche eng mit ihm zusammenzuarbeiten.
Diese lieben Mitbrüder, die in kürze zum Kardinalskollegium gehören werden, schließen
sich mit neuen und stärkeren Bindungen nicht nur mit dem Römischen Pontifex zusammen,
sondern auch mit der gesamten Gemeinschaft der Gläubigen in aller Welt. In der Erfüllung
ihres besonderen Dienstes zur Unterstützung des Petrusamtes sind die neuen Purpurträger
nämlich aufgerufen, die Angelegenheiten, Probleme und pastoralen Kriterien, die die
Sendung der gesamten Kirche betreffen, in Betracht zu ziehen und zu beurteilen. In
dieser heiklen Aufgabe wird ihnen das im Leben und im Sterben abgelegte Glaubenszeugnis
des Apostelfürsten Vorbild und Hilfe sein, der sich aus Liebe zu Christus ganz hingegeben
hat bis zum äußersten Opfer.
In diesem Sinn ist auch die Überreichung des roten
Biretts zu verstehen. Den neuen Kardinälen ist der Dienst der Liebe aufgetragen: Liebe
zu Gott, Liebe zu seiner Kirche, Liebe zu den Brüdern und Schwestern mit einer absoluten
und bedingungslosen Hingabe, nötigenfalls bis zum Blutvergießen, wie es die Formel
zur Überreichung des Biretts ausdrückt und wie es die rote Farbe der Talare, die sie
tragen, anzeigt. Außerdem wird von ihnen verlangt, der Kirche mit Liebe und Kraft
zu dienen, mit der Klarheit und der Weisheit der Lehrmeister, mit der Energie und
der Stärke der Hirten, mit der Treue und dem Mut der Märtyrer. Es geht darum, herausragende
Diener der Kirche zu sein, die in Petrus das sichtbare Fundament der Einheit findet.
In dem eben vorgetragenen Evangelium zeigt Jesus sich als Diener und bietet
sich als Vorbild an, das man nachahmen und dem man folgen soll. Vor dem Hintergrund
der dritten Ankündigung von Leiden, Tod und Auferstehung des Menschensohns hebt sich
als krasser Gegensatz die Szene der beiden Söhne des Zebedäus, Jakobus und Johannes,
ab, die noch Träume von einer Herrlichkeit an Jesu Seite verfolgen. Sie baten ihn:
„Lass in deinem Reich einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen“
(Mk 10,37). Die Antwort Jesu ist wie ein Blitzschlag, und unerwartet ist seine
Frage: „Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke?“
(V. 38). Die Anspielung ist ganz klar: Der Kelch ist der Kelch des Leidens, den Jesus
annimmt, um den Willen des Vaters auszuführen. Der Dienst für Gott und die Mitmenschen,
die Selbsthingabe – das ist die Logik, die der echte Glaube unserem Alltagsleben aufprägt
und darin entwickelt, nicht der weltliche Stil der Macht und der Herrlichkeit.
Jakobus
und Johannes zeigen mit ihrer Bitte, dass sie die Lebenslogik, die Jesus bezeugt,
nicht verstehen, jene Logik, die nach dem Meister den Jünger in seinem Denken und
Handeln prägen muss. Und die irrige Logik ist nicht nur in den beiden Söhnen des Zebedäus
vorhanden, sondern steckt auch „die zehn anderen Jünger“ an, die „sehr ärgerlich über
Jakobus und Johannes“ werden (V. 41). Sie empören sich, weil es nicht leicht ist,
in die Logik des Evangeliums einzutreten und die der Macht und der Herrlichkeit zu
verlassen. Der heilige Johannes Chrysostomus sagt, dass alle Apostel noch unvollkommen
waren, sowohl die beiden, die sich über die zehn erheben wollten, als auch die anderen,
die sie beneideten (vgl. Kommentar zum Matthäus-Evangelium, 65,4: PG
58,622). Und der heilige Cyrill von Alexandrien fügt in seinem Kommentar über die
Parallelstelle im Lukasevangelium hinzu: „Die Jünger waren der menschlichen Schwäche
verfallen und diskutierten miteinander darüber, wer der Anführer und den anderen überlegen
sei … Das ist zu unserem Nutzen geschehen und uns erzählt … Was den heiligen Aposteln
passiert ist, kann für uns ein Ansporn zur Demut sein“ (Kommentar zum Lukas-Evangelium,
12,5,24: PG 72,912). Dieser Vorfall gibt Jesus die Gelegenheit, sich an alle
Jünger zu wenden und sie „zu sich zu rufen“, um sie gleichsam fest an sich zu ziehen,
so dass sie gemeinsam mit ihm einen einzigen, untrennbaren Leib bilden und er ihnen
zeigen kann, welches der Weg ist, um zur wahren Herrlichkeit, zur Herrlichkeit Gottes
zu gelangen: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken
und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es
nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und
wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (Mk 10,42-44).
Herrschaft
und Dienst, Egoismus und Altruismus, Besitz und Gabe, Interesse und Unentgeltlichkeit
– diese zutiefst gegensätzlichen Logiken stehen zu allen Zeiten und an allen Orten
einander gegenüber. Über den von Jesus gewählten Weg besteht kein Zweifel: Er beschränkt
sich nicht darauf, ihn den damaligen und den heutigen Jüngern mit Worten anzuzeigen,
sondern verwirklicht ihn in seinem eigenen Leben. Er erklärt nämlich: „Auch der Menschensohn
ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben
hinzugeben als Lösegeld für viele“ (V. 45). Diese Worte werfen ein ganz besonders
intensives Licht auf das heutige Öffentliche Konsistorium. Sie klingen im Innersten
der Seele nach und sind eine Einladung und ein Aufruf, ein Auftrag und eine Ermutigung
speziell für euch, liebe, verehrte Mitbrüder, die ihr nun in das Kardinalskollegium
aufgenommen werdet.
Nach der biblischen Überlieferung ist der Menschensohn
derjenige, der die Macht und die Herrschaft von Gott erhält (vgl. Dan 7,13f).
Jesus deutet seine Sendung auf Erden, indem er die Gestalt des Menschensohns und jene
des leidenden Gottesknechts, wie sie von Jesaja beschrieben wird, übereinander legt
(vgl. Jes 53,1-12). Er empfängt die Macht und die Herrlichkeit nur als „Knecht“;
aber Knecht ist er, insofern er das Schicksal von Leid und Sünde der ganzen Menschheit
auf sich nimmt. Sein Dienst verwirklicht sich in der gänzlichen Treue und in der vollen
Verantwortung gegenüber den Menschen. Darum wird die freiwillige Annahme seines gewaltsamen
Todes der Preis für die Befreiung vieler, der Anfang und das Fundament der Erlösung
jedes Menschen und des gesamten Menschengeschlechts.
Liebe Mitbrüder, die ihr
jetzt in das Kardinalskollegium aufgenommen werdet! Die völlige Selbsthingabe Christi
am Kreuz sei euch Ursprung, Ansporn und Kraft für einen Glauben, der in der Liebe
wirksam wird. Eure Sendung in der Kirche und in der Welt erfülle sich immer und einzig
„in Christus“; möge sie seiner Logik und nicht der der Welt entsprechen, erleuchtet
sein vom Glauben und beseelt von der Liebe, die vom ruhmreichen Kreuz des Herrn her
zu uns kommt. Auf dem Ring, den ich euch gleich übergeben werde, sind die heiligen
Petrus und Paulus dargestellt, mit einem Stern in der Mitte, der an die Muttergottes
erinnert. Wenn ihr diesen Ring tragt, seid ihr täglich dazu ermahnt, euch das Zeugnis
ins Gedächtnis zu rufen, das die beiden Apostel für Christus bis hin zum Martertod
hier in Rom gegeben haben, die so die Kirche mit ihrem Blut fruchtbar gemacht haben.
Der Hinweis auf die Jungfrau Maria sei hingegen stets eine Einladung an euch, derjenigen
zu folgen, die fest im Glauben stand und eine demütige Magd es Herrn war.
Am
Schluss dieser kurzen Überlegungen möchte ich meinen herzlichen Gruß und Dank an euch
alle richten, die ihr hier zugegen seid, besonders an die offiziellen Delegationen
der verschiedenen Länder und an die Vertretungen zahlreicher Diözesen. Die neuen Kardinäle
sind in ihrem Dienst dazu aufgerufen, immer Christus treu zu bleiben und sich einzig
von seinem Evangelium leiten zu lassen. Liebe Brüder und Schwestern, betet, dass sie
ein lebendiges Spiegelbild unseres einzigen Hirten und Lehrers seien, des Herrn Jesus,
der Quelle aller Weisheit, der allen den Weg weist. Und betet auch für mich, dass
ich dem Volk Gottes immer das Zeugnis der sicheren Lehre geben und mit milder Festigkeit
das Steuer der heiligen Kirche führen kann.