2012-02-18 10:04:01

D: Späte Rehabilitierung angeblicher Hexen


RealAudioMP3 Seit einem Jahrzehnt beschäftigt sich der evangelische Theologe Hartmut Hegeler mit Hexenverfolgung und kommt dabei zu dem Schluss, dass dieses Thema „längst nicht aufgearbeitet ist“. Selbst in unserer modernen Gesellschaft spielte der Hexenglaube für viele Menschen noch eine wichtige Rolle, erklärt er im Gespräch mit dem Kölner Domradio.

„Für viele Menschen hat das Thema ,Hexenprozesse‘ immer noch eine besondere Bedeutung. Es hat sogar in der Nachbarstadt Düsseldorf, als dieser Antrag auf Rehabilitierung dort vor drei Monaten verhandelt wurde, einen katholischen Theologen gegeben, der einen Gegenantrag an den Rat der Stadt Düsseldorf gestellt hat. Er hat betont, dass es sein katholisches Glaubensverständnis verletzt, wenn ein Urteil aufgehoben würde, das damals über Menschen gefällt wurde, die mit dem Teufel paktiert haben. Es gibt also bis heute Menschen, für die das Realität ist.“

Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert sind allein in Deutschland bis zu 30.000 Frauen, Männer und Kinder auf grausame Weise verhört, gefoltert und hingerichtet worden, weil sie angeblich mit dem Teufel paktiert, das Wetter verzaubert oder auf dem Blocksberg getanzt hätten. Eine heute völlig absurde Vorstellung, so Hegeler:

„Das wissen ja heutzutage schon die Kinder, dass man nicht auf dem Besenstil durch die Luft fliegen, zum Hexensabbat gehen und das Wetter verzaubern kann. Aber das waren ja die Gründe, warum diese Menschen damals verurteilt wurden.“

Als erste deutsche Großstadt rehabilitierte Düsseldorf im vergangenen Jahr symbolisch die Opfer der Hexenprozesse. Hat das überhaupt einen Sinn, eine Rehabilitation über 400 Jahre nach dem geschehenen Unrecht? Für Pfarrer Hegeler stellt sich diese Frage nicht, denn: „Wer die Opfer der Vergangenheit rehabilitiert, sensibilisiert auch für die Opfer der Gegenwart.“ Noch heute ist der Hexenkult in vielen afrikanischen, arabischen und asiatischen Kulturen lebendig. Wie vielen der Aberglaube jährlich das Leben kostet, kann keiner genau sagen, die für die Verfolgung anfälligsten Personengruppen sind jedoch heute dieselben wie in der Vergangenheit. Dabei stieß Hegeler bei seinen Forschungen auf eine unerwartete Erkenntnis:

„Ich hatte zunächst gedacht, das wären alles Frauen gewesen und war dann total überrascht, dass auch Männer dabei waren. Hier in Köln etwa zehn bis 20 Prozent. Bundesweit waren es in einigen Gegenden bis zu 40 Prozent Männer. Es waren sogar Kinder, wie das letzte Opfer der Kölner Hexenprozesse, ein 10-jähriges Mädchen, die enthauptet und ihr Körper dann verbrannt wurde. Es waren oft Witwen, Frauen ab ungefähr 50, und viele gehörten zur armen Bevölkerungsschicht “

An den historischen Hexenverfolgungen hätte die Kirche zweifellos eine Mitschuld, sagt der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt. Federführend bei den Todesurteilen seien aber weltliche Gerichte gewesen, die sich freilich auf die Religion beriefen. Zwar gäbe es mittlerweile deutliche Schuldzugeständnisse der Kirchen, hebt Hegeler hervor. Öffentlich gegen die Hexenverbrennungen protestiert haben damals allerdings nur einzelne Kirchenmänner. Der Theologe wünscht sich deshalb auch von den Kirchen eine Stellungnahme. Der letzte Hexenprozess in Deutschland fand am 4. April 1775 in der Stiftstadt Kempten im Allgäu statt, doch bis heute wurde in vielen Städten und Dörfern keine Verantwortung für das geschehene Unrecht übernommen. Hartmut Hegeler setzte sich in Köln für eine solche Rehabilitierung der 1627 als „Hexe“ hingerichteten Katharina Henot ein. Der Ausschuss für Anregungen und Beschwerden der Stadt Köln hat sie vergangenen Montag „sozial-ethisch“ rehabilitiert. Um einen richterlichen Spruch war es ihm bei seiner Forderung nicht gegangen, erklärt Hegeler.

„Es ist keine juristische Rehabilitation, sondern aus moralischen Gründen, dass endlich einmal dieser Satz gesagt wird: ,Sie sind unschuldig gestorben‘. Und damit das Bedauern darüber auszusprechen, was Kölner Bürgerinnen und Bürgern damals vor 400 Jahren geschehen ist “

Da das Heilige Römische Reich ohne Rechtsnachfolger unterging, könne heute niemand die Urteile aus den Hexenprozessen aufheben, heißt es im Düsseldorfer Justizministerium. Kann eine symbolische Wiedergutmachung dann überhaupt Wirkung zeigen? Hegeler ist davon überzeugt, denn:

„Unrecht bleibt Unrecht, wann es auch geschehen ist. Ich möchte den Menschen auch für das heutige Unrecht die Augen öffnen und sie sensibilisieren, so wie ich durch meine Schüler sensibilisiert worden bin, dass nicht das Unrecht das letzte Wort behält, sondern dass die Wahrheit irgendwann einmal ausgesprochen werden muss.“

(domradio 17.02.2012 tk)








All the contents on this site are copyrighted ©.