Seit einem Jahrzehnt
beschäftigt sich der evangelische Theologe Hartmut Hegeler mit Hexenverfolgung und
kommt dabei zu dem Schluss, dass dieses Thema „längst nicht aufgearbeitet ist“. Selbst
in unserer modernen Gesellschaft spielte der Hexenglaube für viele Menschen noch eine
wichtige Rolle, erklärt er im Gespräch mit dem Kölner Domradio.
„Für viele
Menschen hat das Thema ,Hexenprozesse‘ immer noch eine besondere Bedeutung. Es hat
sogar in der Nachbarstadt Düsseldorf, als dieser Antrag auf Rehabilitierung dort vor
drei Monaten verhandelt wurde, einen katholischen Theologen gegeben, der einen Gegenantrag
an den Rat der Stadt Düsseldorf gestellt hat. Er hat betont, dass es sein katholisches
Glaubensverständnis verletzt, wenn ein Urteil aufgehoben würde, das damals über Menschen
gefällt wurde, die mit dem Teufel paktiert haben. Es gibt also bis heute Menschen,
für die das Realität ist.“
Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert sind allein
in Deutschland bis zu 30.000 Frauen, Männer und Kinder auf grausame Weise verhört,
gefoltert und hingerichtet worden, weil sie angeblich mit dem Teufel paktiert, das
Wetter verzaubert oder auf dem Blocksberg getanzt hätten. Eine heute völlig absurde
Vorstellung, so Hegeler:
„Das wissen ja heutzutage schon die Kinder, dass
man nicht auf dem Besenstil durch die Luft fliegen, zum Hexensabbat gehen und das
Wetter verzaubern kann. Aber das waren ja die Gründe, warum diese Menschen damals
verurteilt wurden.“
Als erste deutsche Großstadt rehabilitierte Düsseldorf
im vergangenen Jahr symbolisch die Opfer der Hexenprozesse. Hat das überhaupt einen
Sinn, eine Rehabilitation über 400 Jahre nach dem geschehenen Unrecht? Für Pfarrer
Hegeler stellt sich diese Frage nicht, denn: „Wer die Opfer der Vergangenheit rehabilitiert,
sensibilisiert auch für die Opfer der Gegenwart.“ Noch heute ist der Hexenkult in
vielen afrikanischen, arabischen und asiatischen Kulturen lebendig. Wie vielen der
Aberglaube jährlich das Leben kostet, kann keiner genau sagen, die für die Verfolgung
anfälligsten Personengruppen sind jedoch heute dieselben wie in der Vergangenheit.
Dabei stieß Hegeler bei seinen Forschungen auf eine unerwartete Erkenntnis:
„Ich
hatte zunächst gedacht, das wären alles Frauen gewesen und war dann total überrascht,
dass auch Männer dabei waren. Hier in Köln etwa zehn bis 20 Prozent. Bundesweit waren
es in einigen Gegenden bis zu 40 Prozent Männer. Es waren sogar Kinder, wie das letzte
Opfer der Kölner Hexenprozesse, ein 10-jähriges Mädchen, die enthauptet und ihr Körper
dann verbrannt wurde. Es waren oft Witwen, Frauen ab ungefähr 50, und viele gehörten
zur armen Bevölkerungsschicht “
An den historischen Hexenverfolgungen hätte
die Kirche zweifellos eine Mitschuld, sagt der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt.
Federführend bei den Todesurteilen seien aber weltliche Gerichte gewesen, die sich
freilich auf die Religion beriefen. Zwar gäbe es mittlerweile deutliche Schuldzugeständnisse
der Kirchen, hebt Hegeler hervor. Öffentlich gegen die Hexenverbrennungen protestiert
haben damals allerdings nur einzelne Kirchenmänner. Der Theologe wünscht sich deshalb
auch von den Kirchen eine Stellungnahme. Der letzte Hexenprozess in Deutschland fand
am 4. April 1775 in der Stiftstadt Kempten im Allgäu statt, doch bis heute wurde in
vielen Städten und Dörfern keine Verantwortung für das geschehene Unrecht übernommen.
Hartmut Hegeler setzte sich in Köln für eine solche Rehabilitierung der 1627 als „Hexe“
hingerichteten Katharina Henot ein. Der Ausschuss für Anregungen und Beschwerden der
Stadt Köln hat sie vergangenen Montag „sozial-ethisch“ rehabilitiert. Um einen richterlichen
Spruch war es ihm bei seiner Forderung nicht gegangen, erklärt Hegeler.
„Es
ist keine juristische Rehabilitation, sondern aus moralischen Gründen, dass endlich
einmal dieser Satz gesagt wird: ,Sie sind unschuldig gestorben‘. Und damit das Bedauern
darüber auszusprechen, was Kölner Bürgerinnen und Bürgern damals vor 400 Jahren geschehen
ist “
Da das Heilige Römische Reich ohne Rechtsnachfolger unterging, könne
heute niemand die Urteile aus den Hexenprozessen aufheben, heißt es im Düsseldorfer
Justizministerium. Kann eine symbolische Wiedergutmachung dann überhaupt Wirkung zeigen?
Hegeler ist davon überzeugt, denn:
„Unrecht bleibt Unrecht, wann es auch
geschehen ist. Ich möchte den Menschen auch für das heutige Unrecht die Augen öffnen
und sie sensibilisieren, so wie ich durch meine Schüler sensibilisiert worden bin,
dass nicht das Unrecht das letzte Wort behält, sondern dass die Wahrheit irgendwann
einmal ausgesprochen werden muss.“