2012-02-14 12:30:42

Syrien: „Christen bevorzugen kleineres Übel“


RealAudioMP3 Die syrische Armee bombardiert ganze Stadtviertel von Homs, seit Montag auch weitere Städte. Die erneuten Angriffe folgen unmittelbar auf die Ankündigung von Unterstützung für die Aufständischen durch andere arabische Staaten. Am vergangenen Sonntag hatte Papst Benedikt XVI. zu Frieden für Syrien und zu Versöhnung und Dialog aufgerufen.

Die Situation ist dramatisch und braucht eine sofortige Lösung. Das sagt gegenüber Radio Vatikan Pater Samir Khalil Samir, Professor am Päpstlichen Orientalischen Institut. Der geborene Ägypter weist auf die Tragödie im Land hin: Die Gewalt nehme täglich zu, deshalb sei der Appell der Papstes in seiner Dringlichkeit nicht zu unterschätzen:

„Es ist wichtig, dass alle – Christen, Muslime und auch die Regierung und die Opposition – sehen, dass der Kirche sehr an Frieden und Gewaltlosigkeit gelegen ist. Nicht nur, weil wir Christen sind, sondern weil es Gewalt und Leid gibt. Der Papst reagiert immer so, wenn es Probleme irgendwo in der Welt gibt: Er verteidigt damit alle Menschen.“

In der Vergangenheit hat es Verwirrung gegeben über den Standpunkt der Christen im Land; manche hielten sie für „zu regimetreu“, andere warfen ihnen mangelnde Deutlichkeit in ihren Stellungnahmen vor.

„Viele Bischöfe im Land haben sich geäußert, auch wenn es am Anfang nicht klar war. Viele dachten, dass die Bischöfe für die Regierung seien, weil sie sozusagen den Status Quo verteidigt hatten. Das Problem ist, dass es jetzt Gewalt von beiden Seiten gibt, auch wenn die Gewalt der Regierung natürlich stärker ist. Aber auch die Opposition wird gewalttätig, weil sie sich verteidigen muss und auch, weil sie Waffen bekommt – wie sie sagen aus Katar und den Golfstaaten. Wir haben nun eine blockierte Lage: Jeder will stärker sein, was mehr Waffen und mehr Tote bedeutet. Das müssen wir stoppen.“

Die Frage aller Fragen: Was würde mit den Christen nach einem Regimewechsel geschehen? Oder anders gefragt: Ging es den Christen nicht unter al-Assad besser als es nach einem Wechsel sein könnte?

„Die Regierung in Syrien war säkularer als die Opposition es jetzt ist, sie wollten Gleichheit zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, auch, weil die regierende Schicht selbst einer Minderheit angehört, den Alawiten, die selbst nicht größer ist als die der Christen. Für die Christen bedeutete das Ruhe, solange sie sich nicht in die Politik einmischten: Genau so haben sie sich bislang verhalten, obwohl diese Politik undemokratisch und gewalttätig war. Wir werden wahrscheinlich ein islamisches Regime bekommen, das für Christen eine Gefahr darstellt. Es wird wahrscheinlich weniger neutral sein. Was in Ägypten passiert, wird sich in andern Ländern wiederholen. Die Christen unterstützen die aktuelle Regierung nicht, sie fürchten bloß ein neues System. Von den beiden Übeln bevorzugen sie das, was sie kennen.“

Aus der Türkei gibt es das Angebot an Präsident Baschar al-Assad, ihn aufzunehmen und zu beschützen, um eine Lösung der Blockade und einen Wechsel zu mehr Demokratie zu ermöglichen.

„Die Frage ist, was in Syrien passieren wird, wenn er in dieser Situation geht. Es gibt außer den Muslimbrüdern kein anderes politisches Projekt. Es könnte die weniger schlimme Variante sein, aber in jedem Fall wird es für eine ganze Zeit schlimm werden – mit Assad oder mit einem neuen Regime. Wir werden jahrelang Schwierigkeiten haben.“

Vor allem aber sieht Pater Samir eine Notwendigkeit: das Ende der Gewalt.

„Die Gewalt nimmt zu, vor einigen Tagen ganz unerwartet in Aleppo, dann auch in Damaskus und den großen Städten, nicht nur in Homs und Hama. Ich hoffe, dass es ein internationales und friedliches Eingreifen geben wird, dass diese Gewalt enden wird, sodass es einen gemeinsamen Weg geben wird.“

(rv 14.02.2012 ord)








All the contents on this site are copyrighted ©.