2012-02-11 14:56:40

„Anhand von Texten gnadenlos fragen“: Klaus Berger über die Weise, sich heute Jesus zu nähern


Professor Klaus Berger ist einer der kantigsten Exegeten deutscher Zunge, berühmt ist sein Jesusbuch, das er als Ergebnis eines Lebens voller Forschung für Jesus-Sucher geschrieben hat, berühmt ist auch seine Sammlung von Evangelientexten und anderen frühchristlichen Schriften in neuer Übersetzung und neuer zeitlicher Ordnung. Er war und ist nie um Meinung und Aussage verlegen. Er ist außerdem Familiar im Zisterzienserorden, also auch dem Ordensleben verbunden.
RealAudioMP3 Die italienische Bischofskonferenz hat ihn für eine dreitägige Konferenz nach Rom unter dem Titel „Der gegenwärtige Jesus“ eingeladen, eine Gelegenheit für Radio Vatikan, ihn zu fragen, ob die Theologie und Exegese uns heute helfen kann, Jesus zu begegnen.

„Die Theologen selber haben alles getan, um Jesus verschwinden zu lassen, indem sie ihn bestenfalls einen Sozialrevolutionär haben werden lassen, oder einen Bauernführer, da sind die abenteuerlichsten Jesusbilder entstanden. Die Flut der Jesusliteratur war kein Segen, sondern hat die Menschen noch einmal tiefgreifend verwirrt.“

Ein Auszug aus dem Gespräch mit Pater Bernd Hagenkord: Über verdeckende Theologen, den beunruhigenden Jesus und den suchenden Menschen von heute:
Professor Berger, Sie haben sich Ihr Leben lang mit diesem Jesus beschäftigt. Wie würden Sie unseren Umgang mit Jesus heute diagnostizieren?

„Es herrscht ein bestimmtes Jesusbild vor, dass immer noch den Schlafzimmern des 20. Jahrhunderts entstammt: Jesus als Vegetarier, als Pazifist, als der Mensch, den man eigentlich nicht ganz ernst nehmen darf, dem man auf die Schulter klopft und sagt: Du hast es auch nicht besser gewusst, Kollege. So gehen moderne Menschen mit Jesus um, indem sie ihn einfach nicht für voll nehmen.“

Sie haben einmal gesagt, dass sie sich diesem Jesus halb mit dem Computer und halb auf den Knien genähert hätten: Was würden Sie denn einem modernen Menschen raten?

„Für mich war immer wichtig, wenn ich meinen Studenten anhand von Texten das Jesusbild dieses oder jenen Textes erschlossen habe, dann war irgendwann der Funke übergesprungen. Irgendwann haben die Menschen sich selber auf die Suche gemacht und es spannend gefunden, von ihren eigenen Klischees wegzukommen, hin zu einem lebendigen Jesus, der unalltägliche Dinge zu sagen hat. Nicht nur dass er provoziert, sondern er bringt auch wirklich Neues, was häufig ja verschüttet ist, nicht zuletzt durch die dogmatischen Handbücher, durch die Katechismen und durch die Praxis der Kirchen.“

Was würden Sie denn sagen, wie man sich diesem Jesus, an den Verschüttungen vorbei, nähern kann?

„Indem man anhand von Texten gnadenlos fragt: Wie soll ich das verstehen? Es geht zunächst um das Verstehen eines Fremden, der fremd geworden ist und in anderen Jahrhunderten wahrscheinlich nicht weniger fremd war (..). Es geht um die Begegnung mit einem, der fremd ist und diese Begegnung macht einen schon heiß, wenn man kurz davor ist, etwas davon mit zu bekommen. Es ist wie beim Topfschlagen (...), Theologen können helfen aber die Menschen müssen den entscheidenden Schlag selber machen. Wirkliche Begegnung mit Gott.“

Bleibt uns der Jesus aber nicht doch auch nach allem Erklären und dann Nachfragen letztlich fremd?

„Ich finde, dass man jeden Tag gespannt sein darf, was man an genau diesem Tag aus dem Text herausfindet. Das ist bei manchen Texten manchmal ohne Ergebnis, dass man nichts findet, aber meistens ist es doch so, dass man weiter geführt wird, wirklich weiter geführt wird, so dass Jesus nicht fremd bleibt, sondern neue Eigenschaften von sich zeigt. Genau wie meine Frau auch. Meine Frau liebe ich in vergleichbarer Weise, dass ich gespannt bin, was ich heute an ihr entdecken kann.“

Trage ich dann nicht zu viel von mir selbst in diesem Jesus hinein?

„Dafür ist er fremd genug; das ist das Element der Fremdheit, das mir immer wieder eins auf die Pfoten gibt, wenn ich mich seiner zu sehr bemächtigen will, ihn ideologisch verbrauche, um meine Schnäppchen zu legalisieren.“

Ruhe und beruhigt sein ist das Gegenteil von Bibellektüre?

„Ja. Man muss bereit sein, sich überraschen zu lassen und bereit sein, die liebsten Überzeugungen aufzugeben.“

In der Sprache von heute: Was für ein Jesus ist das für die Moderne?

„Es ist ein Jesus, der von der Suche nach der Wahrheit rastlos umgetrieben wird. So wie man sich Sartre vorstellt, dass er eine Zigarette nach der anderen raucht, weil er mit keiner Antwort zufrieden ist, die er selbst findet.“

(rv 11.02.2012 ord)







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