Vatikananwalt: „Von einer Kultur des Schweigens wegkommen“
Der Vatikanbeauftragte
für die Ahndung von Missbrauchsfällen, Charles Scicluna, hat sich scharf gegen Vertuschung
von Missbrauch in der Kirche gewandt. Die Kirche müsse endgültig von einer „Kultur
des Schweigens“ loskommen, fordert der maltesische Priester und Kirchenrechtler; er
arbeitet an der Glaubenskongregation und ist einer der Hauptrelatoren bei dem internationalen
Kongress über Missbrauch in der Kirche an der Päpstlichen Universität Gregoriana.
„Wir müssen von einer Kultur des Schweigens wegkommen. Und dort, wo
es diese Kultur des Schweigens noch gibt, müssen wir sie als das bezeichnen, was sie
ist: ein Feind der Wahrheit und ein Feind der Gerechtigkeit.“
Ungefähr
4.000 Missbrauchsfälle wurden zwischen 2001 und 2011 der Glaubenskongregation gemeldet,
berichtete Scicluna. Viele davon hätten sich allerdings nicht in diesem Zeitraum zugetragen,
sondern seien erheblich älter. Es habe sich eine neue Sensibilität für Missbrauch
gebildet, die Scicluna ausdrücklich lobte.
„Dort, wo örtliche Bischofkonferenzen
eine Missbrauchspolitik einführten, haben wir immer zuerst ein Hochschnellen der Anzeigen
registriert, dann ein Abflauen. Zuerst kommen immer relativ alte Fälle herein, die
genau deshalb dringend sind: denn je länger sie zurückliegen, desto dringender braucht
es ein Handeln für die Opfer und für die Täter. Zuerst ganz viele Anzeigen, dann immer
weniger - das traf erst auf die USA zu und jetzt auf die europäischen Länder. Das
ist der Effekt einer neuen Sensibilität, die dann zu Aufdeckung führt. Und das ist
positiv.“
Jede Bischofskonferenz müsse selbst eine Regelung
treffen, wie sie mit Missbrauchsfällen umgeht, betonte Scicluna. Das könne nicht zentral
vom Heiligen Stuhl vorgegeben werden, weil es die zivile Rechtsprechung des jeweiligen
Landes zu beachten gelte; „wir respektieren hier das Prinzip der Souveränität“, unterstrich
der Kirchenrechtler. Auch der Präfekt der römischen Glaubenskongregation, Kardinal
William Levada, hatte die Bischofskonferenzen in seinem Eröffnungsvortrag zur Missbrauchskonferenz
weltweit zu mehr Eigeninitiative beim Erstellen von Richtlinien im Umgang mit sexuellem
Missbrauch aufgefordert. Der Kirchenrechtler Scicluna gibt dann aber doch eine Empfehlung
ab:
„Ich denke dass es klug wäre, in den Richtlinien auch die Frage
des Schadenersatzes zu behandeln. Denn im Kirchenrecht gibt es einen geregelten Vorgang,
bei dem das Opfer Schadenersatz fordern kann. Aber die Rechtsprechung wird da noch
eine Schnittstelle schaffen müssen zwischen Kirchenrecht und dem jeweiligen zivilen
Recht, denn es gibt da naturgemäß Unterschiede in der Rechtslage zwischen den einzelnen
Ländern.“
Der Bischof ist jedenfalls mitverantwortlich für
jeden Missbrauchsfall, von dem er Kenntnis erhält, erklärte Scicluna die vatikanische
Sichtweise. Deshalb gelte der Grundsatz:
„Wir müssen wachsam sein in
der Auswahl von Kandidaten für das Bischofsamt. Und wir müssen die Instrumente nutzen,
die das Kirchenrecht und die Tradition an die Hand geben, um die Verantwortlichkeit
eines Bischofs zu prüfen. Es geht nicht darum, die Gesetze zu ändern, sondern sie
anzuwenden. Und wir müssen klar sagen, dass es ein Verhalten gibt, das mit dem eines
guten Hirten unvereinbar ist.“