Fragen an Auschwitz: Hochhuts „Stellvertreter“ neu inszeniert
Jeder fünfte Jugendliche weiß nicht, was Auschwitz ist. Das ist das Ergebnis einer
in dieser Woche veröffentlichten Umfrage der Zeitschrift Stern aus Anlass des „Holocaust-Gedenktags"
an diesem Freitag. Wie kann man jungen Menschen also den Holocaust nahebringen? Wie
die Erinnerung und die daraus erwachsenen Fragen wach halten? Der Regisseur Christian
Stückl, bekannt durch seine Inszenierung der Oberammergauer Festspiele, versucht das
im Theater, und zwar – ausgerechnet – mit Rolf Hochhuts Stück ‚Der Stellvertreter’.
Uraufführung war am Mittwochabend im Münchner Volkstheater.
Es ist zweifelsohne
eines der kontroversesten Theaterstücke des vergangenen Jahrhunderts: Der Stellvertreter
von Rolf Hochhuth. Und jetzt wagt sich der Oberammergauer Passionsspielleiter Christian
Stückl an den kritischen Stoff.
„Es ist natürlich schon eine große Frage,
wie man sich in so einer Situation verhält, wie sich die Kirche verhalten hat, wie
sich der Papst tatsächlich verhalten hat. Mich interessiert nicht unbedingt, noch
einmal in diese Kerbe hineinzuschlagen, dass man einen einzelnen Menschen wie Pius
XII. verurteilt. Sondern, dass man sich mit der Frage auseinandersetzt. Ich finde,
dieser Stoff ist manchmal sehr schwierig, manchmal auch sehr sperrig, und trotzdem
ist er es wert, dass man darüber redet.“
Das Drama zeigt den jungen Jesuitenpater
Riccardo Fontana, der verzweifelt versucht, Europas Juden zu retten. Von Papst Pius
XII. in Rom erfährt er jedoch, dass der Vatikan sich nicht in Hitlers Vernichtungspolitik
einmischen wird. In Stückls Inszenierung malt er sich daraufhin den Judenstern auf
die Brust und lässt sich nach Auschwitz deportieren.
Drei Stunden lang setzt
Stückl sein Publikum schonungslos der Banalität des Bösen aus. Dabei schaffen es die
jungen Schauspieler immer wieder, mit kleinen Gesten zu erschüttern. Und wenn beiläufig
über die effektivste Tötungsmethode diskutiert wird, lässt das keinen der Premierengäste
kalt.
Einige Stimmen nach der Aufführung: „Eine unglaublich gute Produktion
mit wunderbaren Schauspielern - auch wie er es mit Celan verknüpft hat, da fehlen
mir die Worte!“ - „Ich fand es fantastisch! Der erste Teil war für mich eine wahnsinnig
gute Geschichtsstunde, und der zweite Teil, der Einblick in die Möglichkeiten der
menschlichen Psyche, fantastisch...“ - „Es ist schon bedrückend.“ - „Es ist ein Stück,
das ein paar Stunden braucht, bis es sitzt...“
Mit im Publikum saß auch
der Autor des Dramas, Rolf Hochhuth. Nach der Premiere zeigte er sich von Stückls
Interpretation begeistert:
„Die Botschaft des Stückes heißt ja „Das elfte
Gebot – du sollt nicht schweigen!“, und das hat er prima und folgerichtig über die
Bühne gebracht. Ich freue mich vor allem, dass hier viele junge Leute sind, das Stück
ist ja immerhin 54 Jahre alt. Ich habe den Eindruck, es hat gehalten, auch bei den
Jungen hier.“
Um dieses junge Publikum besser an den Stoff des Stellvertreters
heranzuführen, hat Stückl eine Rahmenhandlung konstruiert, in der die unterschiedlichen
Haltungen zur Stellung der Kirche durch zwei Jugendliche noch einmal dargestellt werden.
Eine Idee, die auch Hochhuth gefällt.
„Die Idee des Regisseurs, so anzufangen,
erhöht die Gegenwärtigkeit des Stückes. Übrigens hat er heute Abend von der geistigen
und geistlichen Auseinandersetzung viel mehr gebracht als die meisten Bühnen. Darüber
bin ich ihm speziell sehr dankbar."
Auch Kirchenvertreter ließen sich die
Premiere nicht entgehen, etwa Münchens Künstlerseelsorger Pfarrer Rainer Hepler:
„Zunächst
einmal muss man sagen, dass der Pius XII. von Hochhuth mit dem historischen Pius XII.
genauso viel zu tun hat wie der Richard III. von Shakespeare mit dem historischen
Richard III.. Das wird am Theater immer so sein. Allerdings ist das Stück voller Klischees,
und ich hatte gehofft, dass Christian Stückl dem Stück diese Klischees teilweise austreiben
wird. Das hat sich mehr als erfüllt und zeigt, dass es letzten Endes auch nicht um
die Frage geht, was Pius XII. getan hat, sondern wo Gott gewesen ist. Das ist natürlich
auch theologisch eine sehr ernste und zentrale Frage."
Eine Frage, die
70 Jahre nach Auschwitz immer noch aktuell ist.