Ägypten: „Respekt vor einem demokratisch gewählten Parlament“
Die Gefahr durch Islamisten
in Ägypten sollte nicht überbewertet werden. Das meint einen Tag nach der ersten Sitzung
des neuen Parlamentes in Kairo Joachim Schroedel, Seelsorger der deutschsprachigen
Gemeinde dort. Man sollte der neuen Volksvertretung „eine Chance geben“, schließlich
sei sie „demokratisch gewählt“ worden, erinnert Schroedel im Interview mit Radio Vatikan.
Er pflichtet damit dem koptisch-katholischen Bischof Kyrillos Kamal William Samaan
bei, der in einem Interview jüngst auf die bestehenden Kooperationen zwischen Christen
und Muslimbrüdern in Ägypten verwiesen hatte. Bei den Parlamentswahlen - den ersten
seit Ausbruch der Revolution vor genau einem Jahr - hatten die Islamisten rund 70
Prozent der Stimmen gewonnen: die als gemäßigt geltenden Muslimbrüder 45 Prozent,
die radikalen Salafisten etwa 25 Prozent. Den Weg in die Demokratie sieht Seelsorger
Schroedel damit nicht gefährdet: „Wir sind hier auf einem Weg, der mit vielen
Fragezeichen versehen ist, aber die Menschen hier sind genauso auch gewillt, denjenigen
entgegen zu treten, die gegen ihre Freiheit sind. 15 Millionen Menschen haben diese
muslimischen Parteien gewählt von etwa 85 Millionen Menschen, die Wahlbeteiligung
war natürlich auch nicht so groß, wie man sie in den westlichen Medien dargestellt
hat. Es ist und bleibt eine qualifizierte, aber es bleibt eine Minderheit, die versucht,
nach ,Gottes Geboten‘, ich formuliere das mal so, den Staat zu errichten.“
Probleme
zwischen Christen und Muslimen in Ägypten habe es auch in der Vergangenheit schon
gegeben, diese hätten sich im Revolutionsjahr „nicht wesentlich“ verstärkt, gibt Schroedel
an. Was ist aber mit der Verquickung von Politik und Religion im neuen Parlament?
Immerhin hatten drei Prozent der Abgeordneten dem Schwur, „Sicherheit und Interessen
des ägyptischen Volkes zu achten“ am Montag den Satz angefügt: „..sowie die Gesetze
nicht im Widerspruch zu dem Gesetz Gottes stehen“. Schroedel hat die Parlamentssitzung
im ägyptischen Fernsehen mitverfolgt:
„Man hat sich dann allerdings genau
entschieden, dass diese Formulierung, die ja nicht in das offizielle Prozedere gehört,
einfach nicht im Protokoll auftaucht. Das ist schon mal eine ganz wichtige Idee, die
dahinter steckt: Wir wollen die demokratischen Spielregeln achten und wir wollen nicht
fundamentalistische Zusätze. Wobei - wenn wir mal ganz ehrlich sind - so ein Satz
manchem christlichen Politiker auch ganz gut anstünde, wenn er das mal formulierte
in Europa. Denn es gibt auch Gesetze, die aus christlicher Sichtweise durchaus mal
zu hinterfragen wären…“
Zwiespältig ist für Schroedel eher die Rolle des
Militärrates im Land. Im Zuge der Revolution hat dieser zahlreiche Vertreter der Demokratiebewegung
verhaften lassen, viele davon junge Blogger und Menschenrechtler, die gegen die Fortsetzung
verkrusteter Machtstrukturen in der Übergangsregierung demonstrierten. Laut Medienberichten
sollen anlässlich des Jahrestages der Revolution an diesem Mittwoch, dem 25. Januar,
einige dieser Inhaftierten freigelassen werden. Dazu Msgr. Schroedel:
„Es
ist eine Schande, dass die zum Teil immer noch sitzen. Das Militär hat ja sehr scharf
durchgegriffen! Die Rolle des Militärs ist überhaupt noch unklar - eines Militärs,
das vor wenigen Wochen noch geäußert hat, dass es ,jenseits der Demokratie‘ stünde,
vielmehr also ,der Wächter‘ der Demokratie sei… Das ist natürlich nach unserem westlichen
Verständnis eine Unmöglichkeit: Es gibt keinen Wächter der Demokratie, es sei denn,
das Volk selbst ist dieser Wächter. Aber so etwas scheint in Ägypten noch nicht gewollt
zu sein. Das Militär hat dort ja auch eine starke wirtschaftliche Potenz, die es abzugeben
noch nicht gewillt ist. Man muss abwarten, wie sich die Situation mit den Präsidentschaftswahlen
entwickelt.“