2012-01-14 10:13:37

Christen in Israel - zwischen Skylla und Charybdis


RealAudioMP3 Zu Beginn der Woche hatte Papst Benedikt XVI. in seiner Neujahrsansprache auch den Frieden im Nahen Osten angesprochen, genauso wie auch in den Jahren zuvor. Es ist eines der großen Themen der Welt, im vergangenen Jahr noch einmal neu ausbuchstabiert unter den Vorzeichen der Umbrüche des arabischen Frühlings. Während der vergangenen Wochen waren einige katholische Bischöfe zu einem Solidaritätsbesuch vor Ort, es war bereits der dreizehnte dieser Art. Unter den Besuchern war auch der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff. Wir haben ihn gefragt, wie es mit dem Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern aussieht.

Es sei dankenswert, dass der Papst immer wieder auf die Notwendigkeit des Friedens im Nahen Osten zu sprechen komme, so Mussinghoff, „obwohl man im Augenblick von einem Friedensprozess nicht sprechen kann. Es gibt keine Gespräche, eine Neuaufnahme offizieller Gespräche ist nicht in Sicht. Beide Fronten sind noch verhärtet. Solche Interventionen wie die des Papstes helfen natürlich schon, weil er eben eine internationale Stimme von hoher moralischer Autorität ist.“

Katholische Vertreter aus aller Welt, aus den USA und Spanien, aus Deutschland wie aus Italien seien wieder einmal ins heilige Land gekommen, um zu sehen, wie Christen vor Ort, Abseits der Scheinwerfer, diese Situation erleben. „Die Hoffnung ist allgegenwärtig, aber es ist eine Hoffnung wider alle Hoffnung“, so Mussinghoff. Es sei wenig zu sehen von einem aufeinander zugehen. „Wenn ich zurück schaue, dann hat es 1995 unter Rabin eine wirkliche Bewegung gegeben, die auch mir Hoffnung gemacht hätte, aber unsere Erfahrung ist eben, dass viele Christen aus Palästina auswandern und die Situation nicht mehr erträglich finden und anderswo bessere Lebensbedingungen finden wollen.“

Keine politischen Vorstellungen, wie damit umzugehen ist
Nun wird die Situation der Christen ja nicht nur von der Problematik zwischen Israel und den Palästinensern bestimmt, auch der arabische Frühling beziehungsweise die Gewalt in den Nachbarländern wie etwa Syrien hat ihren Einfluss.

„Auch das ist eine schwierige Frage. Heute spricht keiner mehr vom arabischen Frühling, sondern eher vom arabischen Herbst oder Winter. Die arabischen Revolutionen waren ein einziger Schrei gegen die Diktaturen, ein Schrei nach Freiheit und nach Demokratie, wenn auch nicht im westlichen Sinne.“ Die Unsicherheit aus diesen Aufständen habe sowohl Israel als auch die Palästinenser in eine Zwickmühle geführt. „Ich habe hier bemerkt, dass es keine politischen Vorstellungen dazu gibt, was man denn machen sollte und welche Verbindungen man aufnehmen könnte, um die Lage der Christen zu verbessern, wenn man etwa an Ägypten und die Anschläge vor und auch nach dem arabischen Frühling denkt. Von daher ist verständlich, dass es keine große Hoffnung auf diesen Prozess gibt. Es ist völlig ungewiss, ob die Moslembruderschaften oder andere Kräfte die Macht erringen, aber auf Dauer wir die Jugend sich das nicht mehr bieten lassen. Sie sind anders vernetzt und haben andere Ideen und da wird Neues kommen.“ Mussinghoff nennt es eine arabische Demokratisierung, allmählich, mit vielen Problemen und im Augenblick ohne klare Richtung.

Probleme auch mit der Gesellschaft Israels
Die Freiheitsbemühungen in den arabischen Ländern ist aber nicht die einzige Herausforderung. Eine zweite, und auch das wurde bei dem Solidaritätsbesuch in Israel deutlich, ist eine Fundamentalisierung der Bevölkerung, und das nicht nur der Muslime. David Neuhaus, Israeli und katholischer Priester, ist besorgt um die Entwicklungen auch in der Gesellschaft Israels.

„Es gibt eine unglaubliche Polarisierung in Israel und es gibt die Furcht, dass es bald keine gemeinsame Sprache im Land mehr geben wird. Das betrifft alle Bereiche unseres Lebens hier, sozial, ökonomisch, politisch und natürlich auch religiös. Wir sehen einen Rechtsruck, aber wir sehen auch einen Riss in der israelischen Gesellschaft, fast schon einen Abgrund. Einige sagen, dass die einzige Sache, die die Gesellschaft zusammen halte, sei die Bedrohung von außen. Wir hoffen, dass das nicht stimmt und dass es auch in der israelischen Gesellschaft einen Zusammenhalt gibt, eine Übereinstimmung über die Frage, wer man ist, so dass man verantwortungsvoll in einen Dialog eintreten kann, der zu mehr Gerechtigkeit und Frieden für alle führt.“ Man spreche in Israel vermehrt halb scherzhaft von der zwei-Staaten-Lösung in dem Sinn, dass es einen säkularen Staat gebe – verkörpert von Tel Aviv – und einen religiösen – dafür stehe Jerusalem. „Das illustriert die traurige Situation, in der wir uns im Augenblick befinden.“

Umbruch? Vielleicht bringt er ja etwas Gutes!
Ein Teil der israelischen Gesellschaft wolle mehr Gleichheit und Gerechtigkeit, auch für die arabischen Nachbarn. „Aber ein anderer Teil der Bevölkerung schließt sich immer weiter ein und benutzt immer mehr eine Sprache, in der kein Platz mehr ist für Demokratie oder Gleichheit und als Ergebnis wahrscheinlich auch kein Platz für Frieden mit unseren Nachbarn. Viele Israelis fürchten sich davor.“
Neuhaus berichtet von einem Siedlerführer, der öffentlich gesagt habe, dass es vielleicht Zeit dafür sei, Demokratie beiseite zu lassen und zurück zum echten Judentum zu gehen. Das schlimme daran sei, dass sich das ähnlich anhöre wie das, was man aus der muslimischen Welt höre. Einige muslimische Fundamentalisten würden genau so sprechen.

„Es ist sehr schwierig, unsere Gläubigen davon zu überzeugen, dass es Licht am Ende des Tunnels gibt. Einige von uns betonen, dass der ganze Nahe Osten durch einen Umbruch geht und dass dieser Umbruch ein Zeichen eines Wandels sei, der etwas Gutes bringe. Aber ich muss ehrlich sein: Ich sehe noch nichts, was einen dauerhaften Wandel zum Guten zeigt. Die israelische Gesellschaft ist im Umbruch, die Gesellschaften um uns herum sind im Umbruch und wir hoffen, dass wenn sich die Dinge beruhigen, es besser werden wird. Weil die Christen die schwächste Gemeinschaft in der Gesellschaft sind, ohne wirkliche Bedeutung, schauen sie wahrscheinlich mit der größten Sorge auf diese Entwicklung. Aber sie haben deswegen auch das meiste zu gewinnen, wenn etwas Gutes aus dem wächst, was der arabische Frühling genannt wurde.“

(rv 14.01.2012 ord)










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