Christen in Israel - zwischen Skylla und Charybdis
Zu Beginn der Woche
hatte Papst Benedikt XVI. in seiner Neujahrsansprache auch den Frieden im Nahen Osten
angesprochen, genauso wie auch in den Jahren zuvor. Es ist eines der großen Themen
der Welt, im vergangenen Jahr noch einmal neu ausbuchstabiert unter den Vorzeichen
der Umbrüche des arabischen Frühlings. Während der vergangenen Wochen waren einige
katholische Bischöfe zu einem Solidaritätsbesuch vor Ort, es war bereits der dreizehnte
dieser Art. Unter den Besuchern war auch der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff.
Wir haben ihn gefragt, wie es mit dem Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern
aussieht.
Es sei dankenswert, dass der Papst immer wieder auf die Notwendigkeit
des Friedens im Nahen Osten zu sprechen komme, so Mussinghoff, „obwohl man im Augenblick
von einem Friedensprozess nicht sprechen kann. Es gibt keine Gespräche, eine Neuaufnahme
offizieller Gespräche ist nicht in Sicht. Beide Fronten sind noch verhärtet. Solche
Interventionen wie die des Papstes helfen natürlich schon, weil er eben eine internationale
Stimme von hoher moralischer Autorität ist.“
Katholische Vertreter aus aller
Welt, aus den USA und Spanien, aus Deutschland wie aus Italien seien wieder einmal
ins heilige Land gekommen, um zu sehen, wie Christen vor Ort, Abseits der Scheinwerfer,
diese Situation erleben. „Die Hoffnung ist allgegenwärtig, aber es ist eine Hoffnung
wider alle Hoffnung“, so Mussinghoff. Es sei wenig zu sehen von einem aufeinander
zugehen. „Wenn ich zurück schaue, dann hat es 1995 unter Rabin eine wirkliche Bewegung
gegeben, die auch mir Hoffnung gemacht hätte, aber unsere Erfahrung ist eben, dass
viele Christen aus Palästina auswandern und die Situation nicht mehr erträglich finden
und anderswo bessere Lebensbedingungen finden wollen.“
Keine politischen
Vorstellungen, wie damit umzugehen ist Nun wird die Situation der Christen
ja nicht nur von der Problematik zwischen Israel und den Palästinensern bestimmt,
auch der arabische Frühling beziehungsweise die Gewalt in den Nachbarländern wie etwa
Syrien hat ihren Einfluss.
„Auch das ist eine schwierige Frage. Heute spricht
keiner mehr vom arabischen Frühling, sondern eher vom arabischen Herbst oder Winter.
Die arabischen Revolutionen waren ein einziger Schrei gegen die Diktaturen, ein Schrei
nach Freiheit und nach Demokratie, wenn auch nicht im westlichen Sinne.“ Die Unsicherheit
aus diesen Aufständen habe sowohl Israel als auch die Palästinenser in eine Zwickmühle
geführt. „Ich habe hier bemerkt, dass es keine politischen Vorstellungen dazu gibt,
was man denn machen sollte und welche Verbindungen man aufnehmen könnte, um die Lage
der Christen zu verbessern, wenn man etwa an Ägypten und die Anschläge vor und auch
nach dem arabischen Frühling denkt. Von daher ist verständlich, dass es keine große
Hoffnung auf diesen Prozess gibt. Es ist völlig ungewiss, ob die Moslembruderschaften
oder andere Kräfte die Macht erringen, aber auf Dauer wir die Jugend sich das nicht
mehr bieten lassen. Sie sind anders vernetzt und haben andere Ideen und da wird Neues
kommen.“ Mussinghoff nennt es eine arabische Demokratisierung, allmählich, mit vielen
Problemen und im Augenblick ohne klare Richtung.
Probleme auch mit der
Gesellschaft Israels Die Freiheitsbemühungen in den arabischen Ländern
ist aber nicht die einzige Herausforderung. Eine zweite, und auch das wurde bei dem
Solidaritätsbesuch in Israel deutlich, ist eine Fundamentalisierung der Bevölkerung,
und das nicht nur der Muslime. David Neuhaus, Israeli und katholischer Priester, ist
besorgt um die Entwicklungen auch in der Gesellschaft Israels.
„Es gibt eine
unglaubliche Polarisierung in Israel und es gibt die Furcht, dass es bald keine gemeinsame
Sprache im Land mehr geben wird. Das betrifft alle Bereiche unseres Lebens hier, sozial,
ökonomisch, politisch und natürlich auch religiös. Wir sehen einen Rechtsruck, aber
wir sehen auch einen Riss in der israelischen Gesellschaft, fast schon einen Abgrund.
Einige sagen, dass die einzige Sache, die die Gesellschaft zusammen halte, sei die
Bedrohung von außen. Wir hoffen, dass das nicht stimmt und dass es auch in der israelischen
Gesellschaft einen Zusammenhalt gibt, eine Übereinstimmung über die Frage, wer man
ist, so dass man verantwortungsvoll in einen Dialog eintreten kann, der zu mehr Gerechtigkeit
und Frieden für alle führt.“ Man spreche in Israel vermehrt halb scherzhaft von der
zwei-Staaten-Lösung in dem Sinn, dass es einen säkularen Staat gebe – verkörpert von
Tel Aviv – und einen religiösen – dafür stehe Jerusalem. „Das illustriert die traurige
Situation, in der wir uns im Augenblick befinden.“
Umbruch? Vielleicht
bringt er ja etwas Gutes! Ein Teil der israelischen Gesellschaft wolle
mehr Gleichheit und Gerechtigkeit, auch für die arabischen Nachbarn. „Aber ein anderer
Teil der Bevölkerung schließt sich immer weiter ein und benutzt immer mehr eine Sprache,
in der kein Platz mehr ist für Demokratie oder Gleichheit und als Ergebnis wahrscheinlich
auch kein Platz für Frieden mit unseren Nachbarn. Viele Israelis fürchten sich davor.“ Neuhaus
berichtet von einem Siedlerführer, der öffentlich gesagt habe, dass es vielleicht
Zeit dafür sei, Demokratie beiseite zu lassen und zurück zum echten Judentum zu gehen.
Das schlimme daran sei, dass sich das ähnlich anhöre wie das, was man aus der muslimischen
Welt höre. Einige muslimische Fundamentalisten würden genau so sprechen.
„Es
ist sehr schwierig, unsere Gläubigen davon zu überzeugen, dass es Licht am Ende des
Tunnels gibt. Einige von uns betonen, dass der ganze Nahe Osten durch einen Umbruch
geht und dass dieser Umbruch ein Zeichen eines Wandels sei, der etwas Gutes bringe.
Aber ich muss ehrlich sein: Ich sehe noch nichts, was einen dauerhaften Wandel zum
Guten zeigt. Die israelische Gesellschaft ist im Umbruch, die Gesellschaften um uns
herum sind im Umbruch und wir hoffen, dass wenn sich die Dinge beruhigen, es besser
werden wird. Weil die Christen die schwächste Gemeinschaft in der Gesellschaft sind,
ohne wirkliche Bedeutung, schauen sie wahrscheinlich mit der größten Sorge auf diese
Entwicklung. Aber sie haben deswegen auch das meiste zu gewinnen, wenn etwas Gutes
aus dem wächst, was der arabische Frühling genannt wurde.“