2012-01-13 14:26:06

Missbrauch in Belgien: Kirche will auch bei verjährten Fällen handeln


RealAudioMP3 Belgiens katholische Bischöfe haben am Donnerstag für Fälle von sexuellem Missbrauch durch Kirchenmitarbeiter um Entschuldigung gebeten. Die Kirche übernehme die moralische Verantwortung und wolle alles ihr mögliche tun, solche Taten künftig zu verhindern, erklärten die Geistlichen. Zugleich stellten sie in einem Bericht, der den Titel „Verstecktes Leiden“ trägt, ihren weiteren Umgang mit den Opfern und deren Forderungen vor. Im Mittelpunkt aller Maßnahmen stünden die Opfer, erklärt den Vorstoß der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Guy Harpigny von Tournai, im Interview mit Radio Vatikan:

„Es handelt sich hier um einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem erstes Ziel ist, den Opfern zuzuhören, das Schweigen zu brechen und klar und öffentlich die Wahrheit zu sagen und die Fakten zu benennen. Dann geht es darum, den Opfern Möglichkeit zu geben, sich zu erklären, Antworten zu erhalten und Anerkennung zu erfahren. Weiter ist vorgesehen, bei bestätigten Fällen und für Menschen, die Entschädigungen fordern, entsprechende Vermittlungsinstanzen anzugeben.“

Im Klartext heißt das, dass die Opfer je nach Schwere des Falles zwischen 2.500 Euro und 25.000 Euro Schmerzensgeld bekommen können; bis Ende Oktober 2012 haben sie Zeit, die Ansprüche anzumelden. Und was ist mit verjährten Fällen, die nicht mehr gerichtlich verfolgt werden können? Solchen Täter will die belgische Kirche, wenn es schon die Justiz nicht mehr tut, „Strafen“ auferlegen. Zum Beispiel in Form persönlicher Entschädigungszahlungen der Täter, heißt es in dem 52-seitigen Dokument weiter. Auch wolle die Kirche sicherstellen, dass die Täter keine höheren Positionen und keine Ämter mit Kontakt zur Außenwelt mehr bekleiden, so Bischof Harpigny:

„In diesem Augenblick wollten wir Gerechtigkeit herstellen, zuhören und heilen. Ich denke, dass sich die Christenheit in der Zukunft für Prävention einsetzen muss, damit sich so etwas nicht wiederholt. Man muss gemeinsam mit den Opferns sehen, ob man in diesem Bereich noch mehr tun kann.“

Nach diesen ersten „Notpflastern“ will die belgische Kirche aber noch viel mehr tun, versichert der Bischof im Gespräch mit Radio Vatikan weiter – wenn er auch weiß, dass die spirituelle Heilung eigentlich viel schwieriger zu bewältigen ist als die obligatorischen rechtlich-finanziellen Maßnahmen:

„Es ist ein Schritt, aber es ist nicht der letzte: Wir haben versucht, auf die Erwartungen der Opfer und der öffentlichen Meinung zu antworten. Wir glauben aber, dass es noch sehr, sehr viel zu tun gibt. Es geht um Hilfestellung für die Opfer, aber es geht auch um einen spirituellen Weg und um die Frage, wie man ausgehend vom Glauben in solch schwierigen und schrecklichen Situationen gemeinsam Fortschritte machen kann. Damit wollen wir den Opfern, die ihren Glauben nicht verloren haben, zeigen, dass sie im Evangelium Kraft finden können, um dieser Situation zu begegnen. Doch diesen Schritt haben wir noch nicht getan.“

In dem Dokument „Verstecktes Leiden“ erklären die belgischen Bischöfe auch ihr anfängliches Schweigen nach Bekanntwerden zahlreicher Fälle im Jahr 2010: Dieses habe „nichts mit Gleichgültigkeit zu tun gehabt oder mit dem Willen zur Vertuschung“, heißt es in dem Schreiben. Vielmehr habe das Schweigen „unsere Sprachlosigkeit“ offenbart, heißt es weiter, „wir haben unsere Köpfe gebeugt und uns gefragt, wie all das passieren konnte“.


Hintergrund

In den vergangenen zwei Jahren hatten sich in Belgien mehr als 700 Zeugen für sexuelle Belästigung oder Missbrauch durch Geistliche oder Kirchenmitarbeiter in den vergangenen Jahrzehnten gemeldet. Ein Großteil der Fälle liegt Jahrzehnte zurück und ist juristisch verjährt. In Belgien wird seit fast zwei Jahren über Konsequenzen aus Kindesmissbrauch durch Geistliche debattiert. Auslöser war der Rücktritt von Bischof Roger Vangheluwe von Brügge im April 2010, der gestehen musste, einen Neffen jahrelang sexuell missbraucht zu haben. In einer mittlerweile gerichtlich als illegal eingestuften Razzia stürmten Ermittlungsbeamte eine Sitzung der Belgischen Bischofskonferenz sowie die kirchliche Missbrauchskommission und beschlagnahmten an beiden Orten Akten und Computer.

(rv/kna 13.01.2012 pr)








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