Benedikt XVI.: Die Krise hat ihre Wurzeln auch im Individualismus
Benedikt XVI. empfiehlt,
die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise zum Nachdenken darüber zu nutzen, welche
Werte wir uns als Fundament unserer Gesellschaften wünschen. Das sagte er an diesem
Donnerstag bei einer Audienz für die Politik- und Verwaltungschefs von Rom und der
Provinz Latium.
„Die Krise hat, wie ich schon mehrmals gesagt habe, ihre
tiefsten Wurzeln in einer ethischen Krise. Etymologisch gesehen erinnert das Wort
Krise an das Wort „teilen“ oder auch „beurteilen, unterscheiden“. Die jetzige Krise
kann also auch eine Gelegenheit für eine Zivilgesellschaft sein, einmal zu überprüfen:
Haben die Werte, die dem Zusammenleben zugrunde liegen, eine gerechtere, ausgeglichenere
und solidarischere Gesellschaft hervorgebracht? Oder wäre nicht stattdessen ein tiefgreifendes
Umdenken nötig, um Werte wiederzugewinnen, durch die sich die Gesellschaft wirklich
erneuern ließe? Werte, die für ein Wachstum sorgen würden nicht nur in wirtschaftlicher
Hinsicht – für ein Wachstum, das auch das umfassende Wohl der menschlichen Person
fördern kann.“
Das sei auch der Grund, warum sich die Kirche so stark im
Schul- und Bildungsbereich engagiere, so der Papst. Sein Ziel sei „ein neuer Humanismus“,
bei dem der Mensch wirklich als Person ernst genommen werde.
„Die jetzige
Krise hat nämlich unter ihren Wurzeln auch den Individualismus. Er verdunkelt die
Dimension des Menschen als Beziehungswesen und bringt ihn dazu, sich in seine eigene
kleine Welt einzuschließen, nur an die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu denken,
sich kaum um die anderen zu kümmern. Die Spekulation am Wohnungsmarkt, die schwierige
Eingliederung der jungen Leute in den Arbeitsmarkt, die Einsamkeit so vieler alter
Leute, die Anonymität des Lebens in den Stadtvierteln – sind das alles vielleicht
nicht Folgen dieser Mentalität?“
Der Glaube sage uns hingegen, „dass der
Mensch zu einem Leben in Beziehung berufen ist und dass das Ich sich findet durch
ein Du, das es akzeptiert und liebt“. Dieses Du sei „vor allem Gott, und es sind die
anderen, vor allem die Nächsten”. Benedikt wörtlich: „Wenn wir wiederentdecken, dass
zu unserem Dasein diese Berufung zur Beziehung gehört, dann tun wir den ersten Schritt
zu einer menschlicheren Gesellschaft“. Der Papst rief die Verantwortlichen Roms und
der Hauptstadtregion zu mehr Anstrengungen für die Integration von Fremden, für die
Familien und für eine „Kultur der Legalität“ auf.